Die Wut auf den Inbusschlüssel

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Ein gescheiterter Möbelhändler nimmt Rache am Ikea-Gründer: Die norwegische Tragikomödie "Kill Billy" hat heitere Momente, bleibt dann aber in der Planlosigkeit stecken.

Harold Lunde (Bjørn Sundquist) ist ein Mann der Beständigkeit. Seit 40 Jahren ist er verheiratet, seit Hunderten Jahren wird der Sessel, den er in seinem Möbelgeschäft auch schon seit zig Jahren verkauft, nach dem gleichen Verfahren hergestellt. Aus Vollholz natürlich, mit hochwertigem Stoff, stabil gefertigt – es ist ja kein Lebensabschnittssessel, sondern einer für das ganze Leben. Aber die Beständigkeit währt in Harolds Fall nicht lang, schon in den ersten Minuten von „Kill Billy“, einer Tragikomödie des norwegischen Regisseurs und Drehbuchautors Gunnar Vikene, geht es Schlag auf Schlag: Er verliert sein Geschäft, sein Haus, seine Frau. Als er in seiner Verzweiflung den leeren Geschäftsraum und sich selbst mit Möbelpolitur übergießt und anzündet, rettet ihn nur die Sprinkleranlage – zumindest sie macht, wozu sie schon in den 40 Jahren davor gedient hat.

Wer an seiner Misere schuld ist, ist für Harold klar: Der gelb-blaue Klotz, der nebenan eröffnet hat, der seinen Kunden „billige Plastikstühle“ und Fleischbällchen und Regale verkauft, die sie selbst zusammenschrauben müssen. Der Gründer des Möbelimperiums, Ingvar Kamprad, soll dafür büßen. Entschlossen, ihn zu kidnappen, fährt Harold also los, über die Grenze nach Schweden, sammelt dort tatsächlich den Ikea-Boss (Björn Granath) auf und bugsiert ihn auf sein Hotelzimmer. Und jetzt?

So planlos, wie die Entführung vonstatten geht, gestaltet sich auch der weitere Film. Vikene, der für sein Drehbuch eine Novelle des norwegischen Schriftstellers Frode Grytten adaptiert hat und eine Geschichte über den existenziellen Kampf eines Menschen gegen die eigene Bedeutungslosigkeit erzählen will, scheitert daran, den Ereignissen seines Films Bedeutung zu verleihen: Nun stecken die Figuren zwar miteinander fest, was sie jetzt miteinander sollen, weiß aber keiner so recht. Und was das Ganze überhaupt sollte, weiß am Ende auch niemand.

Ein Zweig – nein: Ein Bleistift!

Immerhin gibt es schöne Bilder (die trostlose, winterliche Landschaft weckt Erinnerungen an „Fargo“ von den Coen Brothers, wenn auch Humor und der Einsatz von Blut sich grob unterscheiden), die über den ganzen Film erhaltene Grundstimmung einer skurrilen Tristesse und ein paar heiter-absurde Momente: Als etwa Harold auf seiner Reise nach Schweden bei seinem Sohn haltmacht und entdeckt, dass dessen Wohnung aussieht wie aus dem Ikea-Katalog, als er die Möbel inspiziert, Türen auf- und zumacht und schließlich in einer Schublade einen Inbusschlüssel findet – das verhasste Symbol der Selbstmontage-Unart –, da entflammt seine Wut. Schade, dass sie im weiteren Film im Schnee stecken bleibt.

Die Figur des Ingvar Kamprad, eine fiktive Version des Ikea-Gründers, dient als krasser Gegenentwurf zum soliden, aber gescheiterten Harold: Er ist ein Visionär mit dubioser Vergangenheit, der als Entführter bald den Verlauf seiner eigenen Entführung diktiert und nebenbei Weisheiten von sich gibt: Da hebt er einen Zweig auf – nein: „Einen Bleistift!“ Er bricht ihn auseinander, jetzt sind es zwei Bleistifte. „Kosteneffizienz!“, ruft er und wird dabei zu seiner eigenen Karikatur.

Vage bleiben die Nebenfiguren: die Jugendliche Ebba, die Harolds Nähe sucht, und Harolds Sohn, der damit beschäftigt ist, das eigene Scheitern zu vertuschen. Eine nachvollziehbare Entwicklung ist keinem der Charaktere gegönnt, und doch steht am Ende die Einsicht, dass man den Lauf der Dinge nicht immer ändern, aber akzeptieren kann. Das passt zu Kamprads Ikea-Philosophie: „Ich mache Möbel, die wie Menschen sind. Sie werden alt und gehen kaputt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2016)

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