Abbas Kiarostami: Mit offenen Augen gen Himmel

 Abbas Kiarostami (1940–2016).
Abbas Kiarostami (1940–2016).imago stock&people
  • Drucken

Der iranische Filmregisseur Abbas Kiarostami ist tot. Mit Filmen wie „Der Geschmack der Kirsche“ schuf er eine ganz eigene, der Lyrik seiner Heimat nahe Kinopoesie.

Für Martin Scorsese war er der „Repräsentant des höchsten künstlerischen Niveaus im Kino“, mit seinem Werk ende das Kino, sagte ein anderer Kollege, Jean-Luc Godard, einmal im Überschwang über ihn. Abbas Kiarostami ist tot, gestorben mit 76 Jahren in Paris, wo er wegen seiner Krebserkrankung behandelt werden sollte. Die filmischen Schätze, die er hinterlässt, wurden im Westen von Cineasten gerühmt, es gab Preise in Cannes und Venedig, Kiarostami wurde in gewissen Kreisen zum Kultkünstler (und inszenierte sich bei öffentlichen Auftreten dementsprechend); 2014 wurde er sogar von Österreich geehrt (mit dem Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst). Dennoch wurde der Name des Iraners in der breiteren Öffentlichkeit nie so berühmt, wie er es verdient hätte.

Ein Schicksal, das Kiarostami mit vielen Grenzgängern zwischen sehr unterschiedlichen Welten gemeinsam hat. Er zählte seit seinen ersten Filmen Anfang der Siebzigerjahre zu den Vertretern der iranischen Nouvelle Vague, griff westliche Kunsttraditionen, auch das Avantgardekino auf, war unter anderem inspiriert vom Italiener Roberto Rossellini und vom Franzosen Robert Bresson. Zugleich aber sind seine Filme tief beeinflusst von der persischen beziehungsweise der iranischen Lyrik, die er in Filmtiteln, Themen und Dialogen zitiert; so sehr beeinflusst, dass man die Filme fast als Fortsetzung dieser Lyriktradition mit anderen Mitteln sehen kann. „Kinopoesie“ – mit diesem Wort hat man versucht, seine Filme begrifflich einzufangen.

Selbstmord – ein Tabu im Iran

„Der Geschmack der Kirsche“ hieß jener Film, für den der damals bereits 56-jährige Kiarostami in Cannes 1997 die Goldene Palme davontrug. Darin fährt ein verzweifelter Mann um die vierzig durch die Vorstädte von Teheran, auf der Suche nach einem Menschen, der ihn nach seinem Selbstmord – im Iran ein absolutes Tabuthema – begraben könnte. Mehrere Personen steigen nacheinander ins Auto, jedes Mal entspinnt sich ein philosophisch-poetischer Dialog über das Leben; der dritte Mitfahrer schließlich, ein Angestellter des Naturhistorischen Museums, erzählt ihm Geschichten, die das Leben feiern, erklärt sich aber dennoch bereit, den Lebensmüden am nächsten Morgen zu begraben, sofern er ihn tot am Treffpunkt liegend vorfinde.

Das einprägsame offene Ende – der Mann im Grab, der mit offenen Augen den von einem Gewitter aufgewühlten Himmel fixiert – und die nachfolgende Distanzierung vom Geschehen (man sieht das Kamerateam, das am gleichen Ort an einem strahlenden Sommertag nach einem geeigneten Drehort sucht, mit dem Darsteller des Protagonisten mittendrin) sind typisch für Kiarostamis Filme. Seine ganz eigentümliche Bildsprache lebte stark vom Wechselspiel – und von der Gleichzeitigkeit – von Nähe und Ferne. Nicht umsonst liebte er auch den Schauplatz Auto, wo Menschen einander beim Sprechen nicht ansehen, aber durch die Enge und Geschlossenheit trotzdem Intimität entsteht. Für Kiarostami auch ideale Voraussetzungen, um Charaktere sichtbar zu machen.

Fixe Drehbücher verwendete er kaum, oft arbeitete er mit Laienschauspielern: etwa in dem an Beckett und Kafka erinnernden „Der Wind wird uns tragen“, das zwei Jahre nach „Der Geschmack der Kirsche“ in Venedig den Silbernen Löwen gewann. Journalisten kommen in ein kurdisches Dorf, um anlässlich eines Sterbefalls über Begräbnisriten zu berichten; doch die betreffende Frau stirbt und stirbt nicht – und einer der wartenden Fremden wird immer mehr ins Dorfleben hineingezogen.

Mit der Lüge der Wahrheit näher

Auch mit Kindern arbeitete Kiarostami sehr gern. In „Und das Leben geht weiter“ (1991) fahren ein Vater und sein Sohn von Teheran in ein Dorf, um nach einem dortigen Erdbeben zwei Buben zu suchen. Sie begegnen dabei Überlebenden und ihrem über die Zerstörung siegenden Lebensdurst. „Quer durch den Olivenhain“ zeigte drei Jahre später ein Kamerateam, das im vom Beben zerstörten Dorf einen Film drehen will. Kiarostami ließ nicht nur hier die Grenzen von Realität (ein Erdbeben von 1990) und Fiktion systematisch verschwimmen – unter dem einmal geäußerten Motto: „Nur mit der Lüge kann man sich der Wahrheit nähern“.

Politisch blieb der Regisseur in öffentlichen Äußerungen noch zurückhaltender als in seiner Kunst. Er wollte weiter Filme drehen können, und zwar dort, wo er sich zuhause fühlte; der Gang ins Exil kam für ihn trotz aller Schwierigkeiten nicht infrage. Ein Baum, den man in einen anderen Boden verpflanze, trage keine Früchte mehr, begründete er das; er fürchte, auch ihm würde es außerhalb des Iran so ergehen.

Seine Früchte waren nicht nur Filme, auch Fotografien, Malereien – sein Vater war Freskomaler – und Gedichte. 2004 erschien deren deutsche Übersetzung unter dem Titel „In Begleitung des Windes“. Eidola, griechisch für „Bildchen“, nannte der Nachwortschreiber die an japanische Haikus erinnernden Miniaturgedichte: Es war der leidenschaftliche Kinoliebhaber Peter Handke.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Film

Iranischer Regisseur Kiarostami gestorben

Der 76-jährige Filmemacher starb im Alter von 76 Jahren in Paris an Krebs.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.