Und ewig droht der weiße Hai

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Kann ein Meeresbestien-Thriller 41 Jahre nach Spielbergs Erfolgsfilm noch funktionieren? "The Shallows" bringt zumindest Dynamik ins Wasser. Ab Freitag im Kino.

Wenn Haie die Möglichkeit hätten, würden sie Hollywood wohl wegen Rufschädigung verklagen: Obwohl jährlich mehr Menschen durch Bienenstiche ums Leben kommen als durch Haiangriffe, obwohl den meisten dieser Attacken keine räuberische Absicht zugrunde liegt und obwohl der Mensch spätestens seit Einführung der kommerziellen Schleppnetzfischerei eine weitaus größere Gefahr für den Hai darstellt als umgekehrt, gehören die Meeresprädatoren zu den verfemtesten Tierarten überhaupt. Das liegt nicht zuletzt an Erfolgsfilmen wie Steven Spielbergs „Der weiße Hai“ (1975), in denen der titelgebende Riesenfisch nach allen Regeln der siebten Kunst zum heimtückischen Monstrum mit unersättlichem Menschenblutdurst hochstilisiert wird.

Zugegeben: Morphologisch betrachtet sind Haie mit ihren stechenden Knopfaugen, der säbelförmigen Rückenflosse und dem mehrreihigen Revolvergebiss wie geschaffen für die Versinnbildlichung maliziöser Fauna. Doch in den vergangenen Jahren ist ihnen der Nimbus filmischer Bedrohlichkeit abhandengekommen. Die Popularität augenzwinkernder Trash-Produktionen mit selbsterklärenden Titeln à la „Snow Shark“, „Sand Shark“ und „Sharknado“ haben den Schrecken der Meere der Lächerlichkeit preisgegeben.

Ob der Thriller „The Shallows“ daran etwas ändern wird, ist fraglich. Zumindest hält sich sein Killerhai anfangs ganz klassisch unter Wasser, statt wie in „Sharknado“ per Wirbelsturm durch die Lüfte zu segeln, und fungiert primär als Suspense-Motor für ein relativ reduziertes Survival-Szenario. Die texanische Medizinstudentin Nancy (Blake Lively, bekannt aus der Serie „Gossip Girl“) ist auf Selbstfindungstrip in Mexiko. An einem abgelegenen Traumstrand, von dem schon ihre kürzlich verstorbene Mutter geschwärmt hat, warten perfekte Wellen und kathartische Surfekstasen. Die pulsierenden Anfangsszenen malen ein sonnenbekränztes Sporturlaubsidyll in Türkis und Azurblau, irgendwo zwischen Reiseprospekt, Red-Bull-Promovideo und – dank haarscharf am Schmuddel vorbeischrammender Baywatch-Fetischisierung der Hauptdarstellerin – Männermagazinfotostrecke. Kurz vor Anbruch der Dunkelheit mutiert das Paradies zur Vorhölle: Nachdem Nancy auf einen verwesenden Walkadaver stößt, beißt ihr ein Hai unvermittelt in den Oberschenkel. In letzter Sekunde kann sie sich auf einen kleinen Felsen retten – doch bald kommt die Flut, und das Ufer ist fern.

Leinwand in albtraumhaftem Rot

Der erste Angriff ist schön unheimlich inszeniert: Eine schwarze Silhouette huscht vorbei, zieht Nancy in die Tiefe, der Ton wird verschluckt, die Leinwand in albtraumhaftes Rot getaucht. Doch dann beginnt die lange Warterei, und dem Film gehen schnell die Ideen aus. Potenzielle Retter werden mangels Vorwarnung wenig überraschend und äußerst unspektakulär zu Fischfutter verarbeitet, während die Protagonistin vom Drehbuchkonzept zu stark in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist, um auf spannende Gedanken zu kommen. Also sitzt sie großteils herum, schaut erschöpft drein und quatscht mit einer streunenden Möwe. Am besten funktioniert noch eine frühe Körperhorroreinlage, als ein Paar Ohrringe zur Wundschließung zweckentfremdet werden – gar nicht hingegen die plumpen Psychologisierungen der Hauptfigur: Ihre Mutter hat den Kampf gegen den Krebs verloren, darum muss sie nun den Kampf gegen den weißen Hai gewinnen!

Zu 80 Prozent im Studio gedreht

Interessanter ist „The Shallows“ aus technischer Perspektive. Der spanischstämmige Regisseur Jaume Collet-Serra hat mit einer Reihe unterhaltsamer Liam-Neeson-Actionthriller („Unknown“, „Non-Stop“) seinen formalen Einfallsreichtum als Genre-Stilist unter Beweis gestellt. Hier planscht er ausgiebig im Wasser herum und nutzt verschiedenste Kameras, darunter auch die von Profisportlern bevorzugten Gopros, um die Ästhetik zu dynamisieren und ein Gefühl von Unmittelbarkeit zu erzeugen.

Zunächst merkt man tatsächlich kaum, dass „The Shallows“ zu 80 Prozent im Studio gedreht wurde. Leider lässt sich der CGI-Hai nicht ewig verbergen. Sein großer, leinwandfüllender Auftritt macht sämtliche Authentizitätsambitionen des Films zunichte und wirkt wie ein Freibrief für Übersteigerung. Das finale Duell zwischen Mensch und Fisch schlittert schnurstracks ins Groteske – und man wundert sich fast, dass am Ende nicht doch noch ein Sharknado durchs Bild fegt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.08.2016)

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