Ulrich Seidl: „Gibt es Leute, die keine Tierfreunde sind?“

Safari
Safari(c) Ulrich Seidl Filmproduktion
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Er sei der Wahrheit verpflichtet, sagt der Filmemacher. In seinem neuesten Werk "Safari" widmet er sich der Großwildjagd in Afrika. Wie sehr das Töten die Menschen zusammenbringt, habe ihn selbst überrascht.

Die Presse: Die Rezeption Ihres neuen Films war bei der Premiere in Venedig überwiegend positiv. Hätten Sie angesichts des Reizthemas Jagd und der zum Teil recht wütenden Reaktionen auf den „Safari“-Trailer im Netz mit mehr Gegenstimmen gerechnet?

Ulrich Seidl: Man kann so etwas nie voraussehen. Und das, was im Vorfeld aufgrund des Trailers im Internet stattgefunden hat, interessiert mich nicht besonders, ich habe das nicht verfolgt. Natürlich ist bei so einem Thema damit zu rechnen, dass sich Leute aus den verschiedensten Richtungen bemerkbar machen.

Was hat Sie dazu bewogen, sich filmisch mit der Großwildjägerei auseinanderzusetzen?

Jagd hatte ich als Thema schon länger im Hinterkopf. Dass ein Mensch ein Tier tötet, ist nichts Alltägliches. Mich interessierte, warum er es tut und was dabei in ihm vorgeht. Die Initialzündung des Projekts kam bei den Dreharbeiten zu meinem letzten Film „Im Keller“ durch die Begegnung mit einem österreichischen Ehepaar, das schon seit über zehn Jahren nach Südafrika zur Jagd fährt und nun auch in „Safari“ zu sehen ist. So hat sich das Thema Jagd mit der für mich ebenfalls wichtigen Urlaubsthematik zusammengetan, was ich spannender und komplexer finde, als die Jagd für sich genommen zu behandeln.

Nach welchen Kriterien haben Sie Ihre Protagonisten ausgesucht? War Ihnen von Anfang an wichtig, eine Familie beim gemeinsamen Jagen zu zeigen?

Natürlich freut man sich, wenn man Leute für den Film gewinnen kann, bei denen es persönliche Verbindungen gibt – Ehepaare, Freunde, Brüder – weil sich während der Jagd emotional einiges zwischen ihnen abspielt. Im Konzept stand zwar nichts von einer Familie, aber wir suchten sehr wohl nach einer Vater-Sohn-Beziehung. Und ich glaube, man bekommt letztlich immer die Menschen, die man gerne hätte, wenn man nur lange genug Ausschau hält.

Sind Ihnen beim Casting viele Familien begegnet, oder ist diese Konstellation eher eine Ausnahme im Jagdtourismus?

Wir haben in Namibia eine steirische Familie mit zwei Buben kennengelernt. Einer davon war sechs Jahre alt und hat auch schon geschossen. Diese Familie sagte uns aber ab, weil sie sich aufgrund des schlechten Rufs der Jägerei nicht der Öffentlichkeit preisgeben wollte. Die meisten Menschen, bei denen wir anfragten, haben im Übrigen aus ebendiesem Grund abgelehnt.

War es schwierig, eine „Hunting Lodge“ zu finden, die bereit war, mit Ihnen zu kollaborieren?

Das war kein großes Problem. Die Lodge-Besitzer wollen ja Öffentlichkeit, das ist schließlich ein Geschäftszweig. Sie fahren in der Welt herum und werben auf Jagdmessen für ihre Unternehmen. Aber natürlich gab es auch Absagen. Dass ich keinen Imagefilm für sie drehen werde, haben die meisten schnell begriffen.

Die Kernstücke von „Safari“ sind ausgedehnte Sequenzen, bei denen man die Jäger auf der Pirsch begleitet. Waren die Unwägbarkeiten des Jagdprozesses eine Herausforderung beim Dreh?

Ich habe als Regisseur sehr genaue Vorstellungen, arbeite aber immer mit dem Zufall, auch bei Spielfilmen. Die Pirsch läuft so ab, wie man es im Film sieht. Ich habe mich bewusst dafür entschieden, keine ausgefallene Jagdsituation zu zeigen – etwa die Jagd auf Löwen oder andere Vertreter der sogenannten „Big Five“ – sondern das Durchschnittliche und Alltägliche. Die Ansage war, dass die Jäger ihrer Tätigkeit nachgehen wie immer, ich aber für die Kamera eingreifen kann, also z.B. bestimmen, wer im Bild vorne und wer hinten steht.

Sie zeigen die Schüsse, aber nicht, wie die Tiere getroffen werden. Warum?

Weil meine Absicht war, sich auf die Menschen und ihre Emotionen zu konzentrieren, also die äußeren und inneren Vorgänge bei der Jagd, und nicht auf das Zusammenbrechen der Tiere, wie man es aus Naturfilmen kennt.

In einer Szene beobachtet man dennoch den Todeskampf einer angeschossenen Giraffe. Wie geht man als Filmemacher um mit so einer Situation? Haben Sie damit gerechnet?

Wenn man einen Film über Jagd macht, muss man grundsätzlich mit allem rechnen, sonst braucht man gar nicht anzufangen. Mehr als die Abschüsse, die man im Film sieht, habe ich nicht gefilmt, aber natürlich sind die Tiere nicht immer gleich tot, sondern flüchten und sterben erst nach einer gewissen Zeit. Das ist also keine Einzelsituation.

Ich hatte den Eindruck, dass „Safari“ ihr erster Film ist, in dem es in keiner Form um Einsamkeit geht, es sei denn um die Einsamkeit der sterbenden Giraffe. Die Menschen kommen durch das Töten hingegen erst richtig zusammen.

Tatsächlich sieht man, dass da durch das Schießen eine plötzliche Verbrüderung und Nähe erzeugt wird. Das war auch für mich eine Überraschung.

Die selbstdarstellenden Trophäenfotos, die die Jäger inszenieren, erinnern von sich aus an typische Seidl-Tableaus. Mussten sie da überhaupt noch nachhelfen?

Ich inszeniere ja immer, aber es stimmt, diese Bilder, die man ja auch im Internet findet, erinnern ein wenig an meine eigenen. Wie die Jäger das Tier zurecht drapieren, das Blut wegwaschen, damit alles schön aussieht, das sieht man ja im Film. Es gibt dann noch Kleinigkeiten, die ich in meinem Sinne ändere, aber eigentlich ist es eine ideale Verbindung.

Im Abspann führen Sie Geräuschemacher an. Sind sie in „Safari“ anders mit Ton umgegangen als bei ihren anderen Arbeiten?

Eigentlich nicht, jedenfalls nicht inhaltlich. Es ist ein technischer Aspekt: Bei der Pirsch waren nur der Kameramann und ich dabei. Einerseits ist mein Tonmann schon etwas älter, außerdem war die Gefahr, dass wir zu laut und präsent sind, wenn ein Dritter mitgeht, zu groß. Wir durften nicht stören, sonst wäre nichts passiert. Insofern wurde nur Fernton aufgenommen, der später repariert und ergänzt wurde.

Würde sie sich selbst als Tierfreund bezeichnen?

Was ist ein Tierfreund? Gibt es Menschen, die keine Tierfreunde sind? Ich jedenfalls fühle mit Tieren mit, genauso wie mit Menschen. Ich bin kein militanter Tierschützer, finde aber, dass man jedem Tier ein artgerechtes Leben zugestehen muss, was wir im Fall unserer Massentierhaltung ja nicht tun. Das sind im Gegensatz zu den Tieren in der Savanne von der Geburt bis zum Tod gequälte Kreaturen. Aber die Frage, ob es moralisch gerechtfertigt ist, Tiere zu Schießen oder die Jagd zum Geschäft zu machen, stellt mein Film natürlich auch.

In einem ihrer älteren Werke, „Tierische Liebe“, sagt jemand: „Die Tiere haben mehr Moral als wir Menschen“. Würden Sie zustimmen?

Das kann man so nicht sagen. Tiere haben keinen Sinn für Moral, und der Überlebenskampf ist in der Natur etwas ganz Normales. Vernunft und Moral gehören dem Menschen – die Frage ist, wie er damit umgeht.

Haben die Protagonisten den Film gesehen?

Ja, und sie sind sehr zufrieden. Obwohl es meine Gestaltung ist, fanden sie das, was sie vor der Kamera gesagt und getan haben, unverfälscht wiedergegeben. Sie sehen sich so und sie stehen dazu, darum haben sie auch beim Film mitgemacht. Das Interessante an „Safari“ ist, dass die Darsteller keine Einwände haben, aber auch Tierschutzvereine ihn für sich reklamieren wollen.

Die schwarzen Jagdhelfer porträtieren sie in Ihrem Film hauptsächlich in wortlosen Tableaus. Manche Kritiker warfen ihnen vor, so die Ausbeutungsverhältnisse in Afrika zu perpetuieren.

Ich agiere aus meiner Erfahrung heraus. Meiner Arbeit gehen immer Recherchen voran, und ich zeige dann, wie ich die Welt wahrgenommen habe. Ich kannte diese Art der Jagd im Vorfeld nicht. Irgendwann, nachdem ich viele Jagdausflüge begleitet und beobachtet hatte, traf ich die bewusste Entscheidung, den Jagdhelfern keine Stimme zu geben, weil ich der Wahrheit verpflichtet bin und nicht der Ausgewogenheit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2016)

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