Politik und Popkultur: Obamas Mythologisierung hat begonnen

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Barack Obama ist noch im Amt, doch schon ist der erste biografische Spielfilm über ihn erschienen, „My First Lady“. Obama begreift das Spiel mit der Unterhaltungsindustrie wie kein Präsident vor ihm - mit Licht und Schatten.

Man kann „Southside with You“, den Spielfilm über das erste Rendezvous von Barack und Michelle Obama im Chicagoer Sommer 1989 auf zweierlei Weisen sehen. Einerseits ist dies das charmante Porträt eines jungen Paares, das einander einen Tag und einen Abend lang, vom Besuch im Museum über die Teilnahme an einer Bürgerversammlung bis zum Kinobesuch, voll Esprit, Klugheit und schonungslos offen beflirtet, ehe es auf einer Parkbank bei einem Schokoladeeis zum schüchternen ersten Kuss kommt.

„My First Lady“, wie dieser seit dem Wochenende in österreichischen Kinos laufende erste Spielfilm des Regisseurs Richard Tanne auf dem deutschsprachigen Markt heißt, lässt sich andererseits auch als Vorbote einer Legendenbildung rund um den ersten schwarzen Präsidenten der USA festhalten, die nach Ende seiner nur mehr vier Monate dauernden Amtszeit rasant an Fahrt aufnehmen wird. Und wie es jede Mythologisierung an sich hat, ist auch Bedenkliches schon an diesem ersten biografischen Film über Obama zu erkennen.

Kein Date, das letztlich doch eines war

Zum geschichtlich verbürgten Rahmen der Handlung: Im Sommer 1989 machte der damals 29-jährige Obama ein Sommerpraktikum in der prestigeträchtigen Chicagoer Wirtschaftsanwaltskanzlei Sidley Austin. Dem Harvard-Studenten, der sich in der von Armut und Gewalt zerrütteten Southside Chicagos bereits erste Sporen als Sozialarbeiter verdient hatte, wurde die damals 25-jährige Junganwältin Michelle Robinson als Mentorin zur Seite gestellt. „Er klang zu gut, um wahr zu sein“, sagte sie später zur „Chicago Tribune“. Doch Robinson hielt sich zurück, denn die Firma war überwiegend weiß, und sie hatte Sorge, dass man über sie reden würde, wenn sie mit einem der wenigen Schwarzen im Haus anbandelte – zumal einem, der formal ihr Protégé war. Obama jedoch blieb beharrlich, und eines Tages willigte sie ein, mit ihm auszugehen. „Aber wir nennen es kein Date“, forderte sie. Der keusche Bestemm war zwecklos: Nach einem Besuch im Chicago Art Institute, Mittagessen und dem Spike-Lee-Film „Do the Right Thing“ landeten die beiden bei Eis und erstem Kuss. „Am Ende dieses Tages war ich hin und weg“, erklärte sie später. Dieser Sommertag ist in „My First Lady“ mit genauem Blick fürs Detail inszeniert, mit Parker Sawyers und Tika Sumpter schlüpfen zwei engagierte und glaubwürdige Darsteller in die Rollen des künftigen First Couple.

Aus dem Radio des zerbeulten Datsun Obamas klingt Janet Jackson, im Museum beeindruckt er seine Zukünftige mit Wissen über den afroamerikanischen Maler Ernie Barnes, bei einem Bürgertreffen rührt eine schwarze Mutter, deren Sohn der Sozialaktivist Obama in seinem Traum, zur Marine zu gehen, bestärkt hatte, Robinsons Herz.

Doch genau diese Sequenz, die in einer famosen Rede Obamas gipfelt, wie man sie später von ihm als Senator und als Präsident kennen sollte, trübt die Güte von „My First Lady“. Denn diese Veranstaltung gab es nicht; in David Remnicks Obama-Biografie „The Bridge“ etwa kommt sie nicht vor.

Es ist klar, wieso Regisseur Tanne sich diese künstlerische Freiheit erlaubte: Die rhetorische Strahlkraft des jungen Aktivisten im Kirchenhaus soll dem Zuseher einerseits die Vorstellung vermitteln, Obamas historische Ankunft im Weißen Haus sei gleichsam schon Jahre zuvor klar vorgegeben gewesen. Andererseits wird damit jedes Tun des damals noch anonymen Obama im Rückblick überhöht und außer Frage gestellt.

Sehnsucht nach Politik ohne Zynismus

Das ist problematisch, denn wer Obamas Biografie kennt, der weiß, dass sein Weg in die Politik keineswegs vorgezeichnet war. Bei seiner ersten Kandidatur für den US-Senat im Jahr 2000 erlitt er eine bittere Schlappe. Und die Grenzen der Wirksamkeit seiner betörenden Rhetorik wurden ihm selbst während der schon fast acht Jahre im Weißen Haus deutlich aufgezeigt. „Wir alle haben verschiedene Absichten. Aber tief im Herzen ist jeder Mensch gut“, sagt Obama im Film. Nach seinen Erfahrungen mit den Republikanern, Wladimir Putin und Xi Jinping sieht der echte Obama dies wohl anders.

Der erste US-Präsident, der in einer Late-Night-Show auftrat, weiß die Unterhaltungsindustrie virtuos für sich zu nutzen. Hollywood liegt ihm zu Füßen und kann es kaum erwarten, Hagiografien aus seinem Lebensweg herauszuschnitzen. Will Smith ist mit dem Präsidenten im Gespräch über eine autorisierte Filmbiografie, beim Festival in Toronto läuft dieser Tage „Barry“, ein Film über Obamas Collegezeit an der Columbia University. Doch wer wird es wagen, seine Misserfolge zu verfilmen – allen voran die kalkulierte Untätigkeit des Friedensnobelpreisträgers angesichts des Schlachtens in Syrien?

Der zynische Wahlkampf um seine Nachfolge, mit Donald Trumps Entgleisungen und Hillary Clintons Geheimnistuerei, macht die Sehnsucht nach dem strahlend-aufrichtigen Kandidaten Obama des Jahres 2008 besonders schmerzhaft. Doch vielleicht ahnte Michelle, diese kluge, klarsichtige Frau, schon ganz früh, was das Amt mit ihrem Mann anstellen würde. „Ich bin sehr misstrauisch gegenüber der Politik“, sagte sie ein paar Jahre nach der Hochzeit, die 1991 stattfand. „Ich glaube, er ist ein zu guter Mensch für diese Art von Brutalität.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2016)

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