Filmkritik: Die Heiligsprechung des Edward Snowden

Snowden
Snowden(c) Universum Film
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Dass Oliver Stones „Snowden“ mehr eine Hagiografie als ein differenziertes Porträt des gesuchten Whistleblowers ist, überrascht nicht. Ästhetisch greift Stone zum Holzhammer, um die Erzählung in großes Kino zu verwandeln. Es funktioniert.

Es war nur eine Frage der Zeit, bis Hollywood sich des Falls Edward Snowden annehmen würde. Heikel oder nicht: Die Geschichte des weltberühmten Whistleblowers ist schlichtweg zu filmreif, um von der Traumfabrik übergangen zu werden, ein aus dem Leben gegriffener Politthriller mit vorgefertigter Spannungsdramaturgie. Und unter allen möglichen Regisseuren schien Oliver Stone stets der ideale Kandidat für den Stoff. Der ewig Unangepasste ist das schlechte Kinogewissen seiner Nation, bekannt für epische, kraftvolle und kritische Dramen über dunkle Stunden der US-Historie („Platoon“, „Nixon“, „JFK“). In vielerlei Hinsicht ist Snowden eine prototypische Stone-Figur: Ein junger Patriot, der sich nach dem Verlust seiner Illusionen zum erbitterten Regierungskritiker entwickelt – durchaus vergleichbar mit Ron Kovic, dem Vietnam-Veteranen und Antikriegsaktivisten aus „Geboren am 4. Juli“.

Vom Eiferer zum Häretiker

Insofern könnte sich Snowden keinen besseren Filmbiografen wünschen. Im Unterschied zu vielen seiner Landsleute – darunter Barack Obama, Hillary Clinton und Donald Trump – sieht Stone ihn als Helden und nicht als Verräter. Trotzreaktionen wie jene von WikiLeaks-Mitbegründer Julian Assange auf das Biopic „The Fifth Estate“ braucht man nicht erwarten: Stone ging von Anfang an auf Kuschelkurs mit dem im russischen Exil lebenden NSA-Enthüller, traf diesen mehrfach in Moskau und konnte ihn sogar zu einem kleinen Gastauftritt überreden. Dass „Snowden“ eher eine Hagiografie darstellt als das differenzierte Porträt eines kontroversen Gewissenskriegers, sollte also niemanden überraschen. Das macht den Film angreifbar, aber auch politisch im klassischen Sinne: Er bezieht Stellung zu einem brisanten Thema, und seine Haltung ist – zumindest aus amerikanischer Sicht – keineswegs opportun.

Wer die Oscar-prämierte Doku „Citizenfour“ gesehen hat, dem wird die Rahmung des Films bekannt vorkommen: Filmemacherin Laura Poitras (mütterlich: Melissa Leo) und „Guardian“-Journalist Glenn Greenwald (Zachary Quinto) treffen den noch unbekannten Informanten Snowden, um in einem befremdlich sterilen Hongkonger Hotelzimmer die Globalüberwachung der Gegenwart zu offenbaren. Der Anfang schürt die Atmosphäre eines Spionagethrillers, doch den Handlungskern bildet eine Charakterstudie der Titelfigur, deren Werdegang vom Eiferer zum Zweifler zum Häretiker in ausgedehnten, dramatisch verdichteten Flashbacks nachgezeichnet wird.

Als junger Konservativer will Edward Snowden (betont reserviert: Joseph Gordon-Levitt) seinem Land dienen. Für die Army mangelt es an Körperkraft, doch die CIA braucht Hirnsoldaten für den Cyberkrieg. Amerika sei das „beste Land der Welt“, beteuert Snowden standhaft beim Eignungstest mit dem Lügendetektor. Nach seinen Vorbildern gefragt, nennt er Joseph Campbell, „Star Wars“, Henry David Thoreau und Ayn Rand – und wird genommen.

Sein Talent sorgt schnell für Aufsehen, und zwei fiktionale Vaterfiguren weisen die Richtung gen dunkler und heller Seite der Macht. Der vom Briten Rhys Ifans gespielte Corbyn O'Brien (eine Anspielung auf den Antagonisten aus George Orwells „1984“) predigt die Souveränität von Geheimdiensten als Voraussetzung für Sicherheit, während der resignierte Hank Forrester (gespielt von Nicolas Cage) selbiges infrage stellt. Zugleich lernt Snowden seine zukünftige Partnerin Lindsay Mills (Shailene Woodley) kennen, deren liberale Einstellung langsam auf ihn abfärbt.

Kaugummi kauende Berufsvoyeure

Der Wendepunkt kommt während eines Auslandseinsatzes, als Snowden in die Geheimnisse des Datensammlungsprogramms „XKeyscore“ eingeweiht wird – in einer Szene, die die schlimmsten Befürchtungen eines jeden Paranoikers wahr werden lässt: Völlig unverblümt zapft ein hemdsärmeliger Techniker die Kameras beliebiger Zielobjekte an, dringt in ihre innerste Privatsphäre ein, beobachtet witzelnd eine muslimische Frau, die sich zu Hause ihre Burka auszieht. Dass der Berufsvoyeur Kaugummi kaut, betont die Obszönität des Geschehens. Später mampft ein anderer seinen Mittagssnack, während eine Drohne Terrorverdächtige pulverisiert.

Stone ist ein Mann des breiten Pinsels, nicht der feinen Klinge. Er greift auch ästhetisch zu Holzhammermethoden, um die doch recht trockene und abstrakte Erzählung in seine Vorstellung von großem Kino zu verwandeln. Als Snowden mit seiner Freundin schläft, fokussiert ein ominöser Zoom den bösen Blick der Webcam. Die Umtriebe eines schmierigen Agenten, der die Spionagetechnologie skrupellos für Karrierezwecke nutzt, erinnern an Gangsterfilme, und gegen Ende erscheint Oberboss O'Brien auf einem übergroßen Bildschirm endgültig als Big-Brother-Bösewicht.

Subtil ist das alles nicht, aber effektiv, genauso wie die Personalisierung des Politischen: Die Wucherung des Überwachungsstaats wirkt sich direkt auf Snowdens psychische und physische Gesundheit aus, und nicht zuletzt auch auf seine Beziehung, deren Krisen den menschlichen und emotionalen Kern des Films bilden. Als er sich dazu entschließt, zum Landesverräter zu werden, geht er lächelnd ins Licht, ein gerechtfertigter Märtyrer. Ob sich dieses Heiligenbild Snowdens in den USA jemals durchsetzen wird, bleibt abzuwarten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.09.2016)

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