„The Accountant“: Talent für Zahlen und Gewalt

The Accountant
The Accountant(c) Warner
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In dem soliden Thriller „The Accountant“ spielt Ben Affleck einen wehrhaften Buchhalter mit Asperger-Syndrom, der Kriminellen bei der Geldwäsche hilft.

Chris verhält sich schon als Kind ungewöhnlich. Er hasst laute Geräusche, helles Licht, Berührungen. Außer seinem kleinen Bruder mag er keine anderen Kinder. Puzzles baut er mit der Rückseite nach oben zusammen, und er bekommt Wutanfälle, wenn er etwas nicht zu Ende bringen kann. Der Psychologe, der ihn untersucht, möchte ihn gleich in seiner Spezialklinik behalten, wo man auf seine Bedürfnisse eingehen kann. Aber sein Vater erhebt Einspruch. „Die Welt ist keine reizarme Umgebung“, sagt der ranghohe Militär. Seine Strategie: Er will den Buben abhärten. Wie gut solche Maßnahmen funktionieren, kann man etwa bei Kronprinz Rudolf nachschlagen. Doch Chris, die von Ben Affleck gespielte Hauptfigur in „The Accountant“, schafft es als Erwachsener tatsächlich, ein annähernd normales Leben zu führen, zumindest nach außen hin. Abends wendet er immer noch die Methode seines Vaters an: Unter Stroboskop-Licht und Metal-Musik walzt er mit Holz über seine Schienbeine, um sich abzuhärten.

Buchhalter für Drogenkartelle

Tagsüber arbeitet Chris als Buchhalter. In seiner ersten Szene hilft er – auf wenig empathische Art – einem Paar, das wegen Steuerschulden seine Farm zu verlieren droht. Doch der nett wirkende Chris steht auch im Fokus der Ermittlungen einer Finanzstrafrechtsbehörde (J. K. Simmons, Cynthia Addai-Robinson), denn er hilft kriminellen Vereinigungen wie dem Sinaloa-Drogenkartell bei der Geldwäsche; zudem ist er ein exzellenter Schütze und Kämpfer. Die Suche nach ihm wird geschickt mit seinem Leben und Rückblenden gegengeschnitten, hinzu kommt ein dritter Handlungsstrang über einen Söldner für Verbrecher (Jon Bernthal).

Von anderen Thrillern hebt sich „The Accountant“ durch die Hauptfigur ab, die das Asperger-Syndrom hat – oder eine andere milde Form von Autismus (die Diagnose wird nie genannt). Der Film folgt dabei einer bewährten Hollywood-Regel: Die Figur darf nicht „nur“ eine Entwicklungsstörung, sondern sollte auch ein besonderes Talent haben. Schon in „Rain Man“ (1988) war Dustin Hoffmann Autist und Mathematikgenie – Chris weiß ebenfalls mit Zahlen umzugehen. Schade, dass Regisseur Gavin O'Connor („Warrior“) keine neuen Bilder für seine Fähigkeit einfallen: Einmal schreibt Chris reihenweise Zahlen auf ein Whiteboard und, als es voll ist, auf die Glaswände des Besprechungsraums. Scheiben vollgekritzelt hat vor ihm schon Russell Crowe in „A Beautiful Mind“, in „Good Will Hunting“ war es eine Tafel. Sind Zahlen für Hollywood so flüchtig, dass sie mit dem Wisch eines Schwamms ausgelöscht werden können?

„The Accountant“ ist trotzdem ein solider, unterhaltsamer und zuweilen überraschender Thriller. Bei der Beurteilung der Performance von Hauptdarsteller Ben Affleck, der im nächsten Batman-Film die Titelrolle spielen und Regie führen wird, gehen die Meinungen auseinander. US-Kritiker rechnen mit einer Oscar-Nominierung, man kann ihn aber auch stoisch und zu unterspielt finden. Eine Glanzleistung liefert hingegen Jeffrey Tambor (Star der wunderbaren Serie „Transparent“) in einer Nebenrolle ab. Geduldig lehrt er Chris, menschliches Verhalten zu interpretieren. Ein sanfter, versöhnlicher Ziehvater als Gegengewicht zum Verfechter der brutalen Abhärtungsstrategie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2016)

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