Viennale: Ein Fest der Widersprüche

Ambivalenz. Peter Handke zeigt sich vor der Kamera auch einmal grantig.
Ambivalenz. Peter Handke zeigt sich vor der Kamera auch einmal grantig.Viennale
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Die Viennale zeigt heuer besonders viele Porträtfilme: über launische Künstler, Politiker und Monster, die gar keine sind.

Was macht einen guten Porträtfilm aus? Hans Hurch, der Direktor der Viennale, hat darauf viele Antworten. Und sein heuriges Programm bietet viel Stoff, die Frage weiter zu erörtern: Denn unter den Dokumentarfilmen findet sich heuer eine beachtliche Auswahl an Porträts, die sich auf höchst unterschiedliche Weise mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten widmen. Und die uns nicht nur diese Menschen, sondern auch die Welt, in der sie sich bewegen oder bewegt haben, näherbringen.

Vor allem Künstlerporträts sind im Programm zahlreich vertreten: Es gibt Filme über Filmemacher (etwa über die im Vorjahr verstorbene portugiesische Legende Manuel de Oliveira, den Regisseur Mike Nichols sowie Brian de Palma, der von Noah Baumbach und Jake Paltrow por trätiert wird), über Schriftsteller (Peter Handke, John Berger), Musiker (Frank Zappa, den Jazztrompeter Lee Morgan, den weitgehend unbekannten russischen Komponisten Oleg Karavaychuk). Einige Filme widmen sich politischen Persönlichkeiten, ein heimischer Film beleuchtet das Leben einer Frau, die aus künstlerischer wie auch politisch-historischer Sicht interessant ist: Peter Stephan Jungks materialreiches Porträt "Auf Ediths Spuren", das bei der Viennale seine Premiere feiert, dreht sich um seine Großtante, die österreichische Fotografin Edith Tudor-Hart (geborene Suschitzky), die vor den Nazis nach England geflüchtet ist und dort einen Spionagering für die Sowjetunion aufgebaut hat.

Zwischen privat und öffentlich. Reich an (nie gesehenem) Material ist auch Steven Rileys Film "Listen to Me Marlon". Er zeigt vor allem das politische Engagement des großen Schauspielers Marlon Brando, der sich sehr für die indigene Bevölkerung Amerikas eingesetzt und 1973 etwa die Ureinwohnerin Sacheen Littlefeather an seiner Stelle zur Oscar-Verleihung geschickt hat. Beachtenswert an dem Film, sagt Hans Hurch, sei, wie er eine klischeebehaftete Figur der Filmgeschichte zeigt (Brando hat erst als junger Wilder gegolten, dann als alternder Star), und dabei den Klischees gekonnt ausweicht.

"Filmische Porträts sind nur dann interessant, wenn sie nicht eine Bestätigung der üblichen Bilder und Aussagen sind", sagt Hurch. Und wenn sie das Bekannte, also das Öffentliche, mit dem Privaten verbinden und die Spannungen aufzeigen, die zwischen diesen Welten liegen. Das sei etwa bei "Weiner" gut gelungen, einer Dokumentation über den New Yorker Politiker Anthony Weiner, der wegen eines Sexskandals er hatte via Twitter exhibitionistische Fotos von sich verschickt als Kongressabge ordneter zurückgetreten war und 2013 als Bürgermeisterkandidat in New York sein politisches Comeback versuchte. Die Regisseure Josh Kriegman und Elyse Steinberg begleiteten ihn während seines Wahlkampfs, im Zuge dessen kamen weitere Enthüllungen ans Tageslicht. "Weiner ist ein wahnsinnig intelligenter, faszinierender, schneller Typ. Und er hat eine große persönliche Schwäche, die er nicht unter Kontrolle hat", sagt Hurch. Der Film zeige aber nicht nur ihn und seine Geschichte, sondern auch die "sexual correctness" der amerikanischen Öffentlichkeit und das in den USA beliebte Konzept der Second Chance. Eine gelungene Mischung zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, zwischen einem Menschen und dem Bild eines Menschen biete auch Jim Jarmuschs "Gimme Danger", eine "klassische, wenn auch nicht videoclipartige Musikdoku" über Iggy Pop und seine Band The Stooges.

Der Filmemacher als Komplize? Der Indie-Regisseur Jarmusch ist mit Iggy Pop be freundet. Besteht da nicht die Gefahr, den Musiker zu glorifizieren, aus Mangel an Objektivität nur seine tollen Seiten zu zeigen? Jarmusch sei eine persönliche Hommage gelungen, meint Hurch und ohne eine gewisse Faszination für einen Menschen könne ein Filmemacher ohnehin kein gutes Porträt über ihn drehen. "Jeder hat zu dem Gegenstand, mit dem er arbeitet, eine starke Beziehung." Man könne der Faszination aber ebenso erliegen: "Es gibt auch Filmemacher, die zu Komplizen werden, bewusst oder unbewusst."

Komplizenschaft kann ein heikles Thema sein, und manchmal kann es schon an ein Tabu grenzen, Menschen zu porträtieren, ohne ihre Überzeugungen zu verurteilen. In "Dugma: The Button" begleitet der norwegische Journalist P l Refsdal Anhänger der al-Qaida in Syrien, die auf ihren Einsatz als Selbstmordattentäter warten. Er zeigt ihren Alltag und ihre Motivationen, ihre Zweifel und ihren tiefen Glauben daran, dass man in den Himmel kommt, wenn man für seine Sache Menschen tötet. Es sei ein "wahnsinnig interessanter, trauriger, auch berührender Film", sagt Hurch. "Das sind keine Monster, auch wenn wir es gern hätten. Das sind mehr als ferngelenkte, wahnsinnige muslimische Killermaschinen. Das sind lebendige junge Burschen. Der Film zeigt einem etwas, was man im Fernsehen nicht verstehen kann. Er ist mir lang nicht aus dem Kopf gegangen." Den Vorwurf der Komplizenschaft kann man Corinna Belz jedenfalls nicht machen. Die deutsche Filmemacherin hat den österreichischen Dichter Peter Handke porträtiert und er scheint nicht allzu begeistert von dem Projekt gewesen zu sein: "Man spürt, dass er grantig ist, dass er sich dem Film widersetzt. Er entzieht sich diesem Gefilmtwerden." Das wirke manchmal kokett, hebe das Porträt aber auch auf eine Metaebene: "Es ist auch ein Film darüber, wie es ist, einen Film über jemanden zu machen."

Schwierige Leute. Belz suche sich immer "die schwierigen Leute, die sich nicht gern filmen lassen", erzählt Hurch. 2011 erschien ihr Porträt "Gerhard Richter Painting" über den deutschen Maler. Die Viennale zeigt nun "Peter Handke Bin im Wald. Kann sein, dass ich mich verspäte...". Zum Filmtitel kann Hurch eine persönliche Geschichte erzählen: "Ich habe ihn in Paris besucht, da ist mir etwas ganz Ähnliches passiert. Rund um sein Haus ist Wald, er geht sehr gern dort spazieren, Schwammerln suchen." Auch als Hurch ankam, war Handke gerade im Wald. An der Tür hing ein Zettel, auf dem stand, er solle schon hineingehen. "Er hat mir aus dem Wald eine Vogelfeder mitgebracht. Die habe ich dann peinlicherweise gleich bei ihm vergessen", erzählt Hurch. Handke vergaß sie nicht: Bei seinem nächsten Besuch in Wien brachte er sie Hurch mit.
Belz Film weise eines der schönen Merkmale eines guten Porträtfilms auf: Er ist nicht eindeutig. "Da spürt man schon auch die Ambivalenz dieser Menschen", sagt Hurch. "Dass der Handke ein launischer Mensch ist, der mit Menschen auch ziemlich herb um gehen kann. Man könnte versuchen, das herauszuschneiden, aber damit ein Porträt lebendig ist, muss es Widersprüche haben."

Geister erwecken. Das sei es, was das Kino schaffen kann: ein unglaublich lebendiges Bild eines Menschen zu entwerfen und die Erinnerung an jene Menschen, die schon verstorben sind, aufzubewahren. "Der Film kann die Geister erwecken", sagt Hurch. Und er befriedigt das zutiefst menschliche Bedürfnis, die Vergänglichkeit, das drohende Vorbeigehen der Zeit, aufzuhalten. Ein wahres, unverstelltes Bild eines Menschen könne es dabei aber nie geben, sagt Hurch. "Ein filmisches Porträt ist immer auch die Erfindung einer Person. Jeder Mensch, der weiß, dass er gefilmt wird, wird sich inszenieren. Er spielt sich." In jedem Dokumentarfilm stecke somit auch Fiktion, so wie in jedem Spielfilm ein Stück Dokumentation steckt. Gute Porträtfilme verbinden diese Art der Inszenierung mit dem dokumentarischen Blick auf eine Person. Das sei es, sagt Hurch, was Porträtfilme letztlich so inte ressant mache: "Weil sich in ihnen der ganze Widerspruch zwischen Kunst und Leben verdichtet."

("Kultur Magazin", 21.10.2016)

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