Wenn Origami-Figuren laufen lernen

Kubo – der tapfere Samurai
Kubo – der tapfere SamuraiUniversal Pictures
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Das japanisch inspirierte Stop-Motion-Märchen „Kubo – der tapfere Samurai“ ist visuell herausragend – da kann man über die spirituell aufgeladene, allzu konstruierte Handlung fast hinwegsehen. Jetzt im Kino.

Während die Animationsfilme großer Produktionsstätten immer ausgereifter und damit naturnaher werden – jüngstes Beispiel dieser Entwicklung ist der entzückende Vorfilm zu Pixars „Findet Dorie“, in dem erstaunlich echt aussehende digital modellierte Vögel am Strand nach Muscheln graben –, setzt die vergleichsweise kleine, in Oregon abseits der Hollywood-Geschäftigkeit werkelnde Stop-Motion-Filmschmiede Laika auf gute alte Bastelarbeit. Nicht ausschließlich, natürlich: An dem Studio, das schrullig-schaurige Abenteuer wie „Coraline“, „Paranorman“, „Boxtrolls“ produziert hat, sind auch die technologischen Fortschritte nicht vorbeigegangen: 3-D-Drucker spucken digital errechnete Gesichter aus, Computer legen visuelle Effekte auf die Bilder – doch im Zentrum der Filmproduktion stehen noch immer Puppen und physisch modellierte (Miniatur-)Umgebungen, die in akribischer Feinarbeit bewegt und abfotografiert werden, bis sie am Ende laufen lernen.

Handgefaltete Figuren

Mit dem 3-D-Abenteuer „Kubo – der tapfere Samurai“ (im Original: „Kubo and the Two Strings“) legt Laika nun seinen neuesten Streich vor. Inspiriert von der japanischen Kunst und Tradition ist der von Laika-Chef Travis Knight inszenierte Film vor allem visuell ein Kunstwerk: Der japanische Holztafeldruck gab nicht nur die ästhetische Linie vor, die alte Technik wurde auch für Oberflächen und Hintergründe eingesetzt. Die Kleidung der Charaktere wurde mit Blick auf die schnörkeligen Roben aus der Edo-Zeit angefertigt, sogar die Augenklappe des kleinen Protagonisten Kubo soll an die von historischen japanischen Kriegern erinnern. Origami ist ein zentrales Motiv, in der Handlung wie auch in der ästhetischen Umsetzung des Films: Zahlreiche Figuren wurden tatsächlich per Hand aus Papier gefaltet und mit der Kamera zum Leben erweckt.

Papierfiguren zum Leben erwecken, das ist auch, was Kubo kann: Auf den Straßen seines Dorfes zieht er die Menschen mit seinen Geschichten in den Bann. Sobald er dazu die Saiten seiner Laute (genauer: seiner Shamisen) zupft, falten sich Papierblätter in seiner Nähe zu beweglichen Figuren und folgen Kubos Willen. Abends kümmert sich der Bub mit den zotteligen Haaren (im Original gesprochen von Art Parkinson) um seine Mutter, die ihm einschärft, stets vor Anbruch der Nacht zuhause zu sein, sonst würde er von seinem bösen Großvater entdeckt, der Kubos Vater, einen mächtigen Samurai, einst getötet, Kubo ein Auge geraubt hat – und entschlossen ist, sich auch das zweite zu holen.

Abgelenkt von einem Laternenfest im Dorf vergisst Kubo auf die wichtige Weisung und wird von seinen Tanten (hexenhafte Geschöpfe hinter unheimlichen Porzellanmasken und mit der Stimme von Rooney Mara) aufgespürt. Von da an befindet sich Kubo auf der Flucht und Suche – nach dem Geheimnis seiner Familie und der Rüstung des Vaters, die ihm eine Chance im Kampf gegen die bösen Geister verspricht. Begleitet wird er von einem in den Körper eines tollpatschigen Riesenkäfers gezwungenen und von seinem Gedächtnis befreiten Samurai-Meister (Matthew McConaughey) sowie von einer strengen, zynischen Affendame mit Beschützerinstinkt (Charlize Theron).

Keine Angst vor schaurigen Bildern

Die Reise geht durch wunderschön arrangierte Landschaften: sattgrüne Bambuswälder, Wüsten, eisige Höhlen, stürmische Wellen (Wasser mittels Stop-Motion darzustellen gilt als besonders schwierig, hier gelingt es dank digitaler Hilfsmittel wunderbar). Auch vor schaurigen Bildern schreckt der Film nicht zurück: Da gibt es einen See, der von überdimensionalen, gespenstisch starrenden Augen bevölkert ist und ein wandelndes Skelett mit glutroten Knöpfen in den Augenhöhlen – eine düstere Abwechslung zu den oft visuell glatten und vor übertriebener Familienfreundlichkeit strahlenden Animations-Blockbustern der großen Hollywood-Schmieden.

Die Schwächen des Films liegen in seiner Handlung, die gegen Ende hin zunehmend konstruiert wirkt. Leerstellen und gar viele Wendungen trüben den Zauber der melancholischen, spirituell ziemlich aufgeladenen Geschichte – das ist schade für einen Film, der sich die Macht des Geschichtenerzählens zum zentralen Motiv gemacht hat. Die liebevoll komponierten, mystischen Bilder trösten darüber hinweg: Sie fügen sich so nahtlos ineinander, dass man vergisst, dass es sich um einen Stop-Motion-Film handelt. Das ist die eigentliche Zauberei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.10.2016)

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