Geyrhalter: "Wir würden der Natur nicht abgehen"

Filmausschnitt
Filmausschnitt(c) Nikolaus Geyrhalter
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Der österreichische Regisseur Nikolaus Geyrhalter entwirft in „Homo Sapiens“ die Vision einer menschenlosen Zukunft. Der „Presse“ erklärt er, warum seinem Werk auch ein versöhnliches Moment innewohnt.

Untergangsfantasien gibt es im zeitgenössischen Kino genug, aber keine davon gleicht „Homo Sapiens“ von Nikolaus Geyrhalter. In seiner letzten Arbeit, der Doku „Über die Jahre“, stand der Mensch im Mittelpunkt. Diesmal scheint er wie vom Erdboden verschluckt: Der avantgardistisch angehauchte Film bietet eine Diashow aus dem Nirgendwo, in der verlassene, von der Natur überwucherte Orte eindrucksvoll unsere Antiquiertheit beschwören. Statische Einstellungen leerer Unterhaltungstempel, zugewachsener Prunkbauten und moosbehangener Kriegsgeräte fügen sich zu einem dichten Bild der Menschenleere. Das mutet so friedvoll wie gespenstisch an und enthält ein gesellschaftskritisches Moment, doch am besten funktioniert „Homo Sapiens“ als meditatives Zeitporträt: Irgendwo zwischen den Spuren kultureller Vergangenheit und der Ahnung einer möglichen Zukunft entfaltet sich in diesem erhabenen Sci-Fi-Vanitas-Motiv der Geschmack von Ewigkeit.

Die Presse: Verlassene Orte gibt es genug. Wie sind Sie bei der Auswahl vorgegangen?

Es gab eine Reihe von Themen, die ich unbedingt anschneiden wollte, um an unserer Spezies Kritik zu üben. Mir war wichtig, dass Müll vorkommt, Kriegsgerät, Schlachthöfe, Spuren der Konsumgesellschaft. Dabei sollte man stets erkennen, welche Funktion die Schauplätze einst innehatten. Man musste den Menschen in seiner Abwesenheit spüren. Wenn ein Ort zu verwahrlost war, kam er nicht infrage. Auch verlassene Privathäuser haben wir bewusst ausgelassen – es ging eher um das System Menschheit.

War es leicht, diese Plätze zu finden?

Nur weil man im Netz ein schönes Foto findet, weiß man nicht automatisch, wo es aufgenommen wurde. Und wenn es ein paar Jahre alt ist, kann es sein, dass sich der Ort inzwischen sehr stark verändert hat. Also haben wir die Fotografen angeschrieben oder uns bei den Gemeinden informiert. Trotzdem kam es vor, dass man enttäuscht wurde. Die Halbwertszeit aufgelassener Orte ist relativ kurz. Meistens stehen sie leer, weil die Eigentumsverhältnisse ungeklärt sind, irgendwann werden sie abgerissen.

Gab es Schwierigkeiten, an manche Orte heranzukommen?

Wenn man sich bemüht, kommt man fast überall hin. Aber nur fast: Ich hätte wirklich gern in einem Städtchen in Kasachstan gedreht, wo ein halb eingestürzter Hangar steht, in dem zwei Raketen unter Taubendreck und Staub verrotten. Aber die dortige Raumfahrtbehörde wollte nicht in einem abbruchreifen Ambiente erscheinen. Nebenan funktioniert ja noch alles.


Welcher Schauplatz hat den stärksten Eindruck bei Ihnen hinterlassen?

Das kommunistische Denkmal Busludscha in Bulgarien, mit dem der Film beginnt und endet – weil sich sein Erscheinungsbild durch unterschiedliche Wetterbedingungen so stark verändert. Aber auch das ehemalige Bergwerk, in dem in den Siebzigern Autowracks deponiert wurden.

Eines der sonderbarsten Motive zeigt eine Achterbahn, die am Ufer eines Meeres steht. Wo haben Sie das aufgenommen?

In New York. Die Achterbahn stand ursprünglich auf einem Pier, der dann von einem Hurrikan verwüstet wurde. Kurz nach unserem Dreh wurde sie abgerissen.

Die Tonebene von „Homo Sapiens“ ist in der Postproduktion entstanden. Warum?

Wenn ein Film als menschenlose Vision der Zukunft funktionieren soll, darf man im Ton keine Menschen mehr hören. Aber die meisten verlassenen Orte sind in Städte eingebettet oder von belebter Umwelt umgeben. Man hört Verkehr, Hundegebell, Flugzeuge. Meistens war es unmöglich, einen wirklich sauberen Ton aufzunehmen. Also haben unsere Sounddesigner Klänge gesammelt.

Haben Sie manchmal auch etwas an den Motiven für die Kamera verändert?

Man sollte „Homo Sapiens“ nicht als reinen Dokumentarfilm sehen. Ich habe mich oft gefühlt wie auf einem Spielfilmset – mit dem Unterschied, dass unsere Drehorte die Schauspieler waren. Wichtig war, die Präsenz der Natur spürbar zu machen und alles, was nur im Entferntesten an menschliche Gegenwart erinnert, zum Verschwinden zu bringen. Manchmal haben wir zum Beispiel das eine oder andere Detail digital entfernt – Graffiti oder unsere Fußspuren im Schnee.

Waren Sie die einzigen Menschen dort?

Wir haben oft Fotografen getroffen, Urban Exploration ist ja derzeit ein Trend. Gelegentlich begegnet man auch Obdachlosen. Einmal wurde jemand aus unserem Rechercheteam vom Eigentümer eines Geländes voller alter Militärfahrzeuge bedroht, weil dort immer wieder Teile abmontiert werden.

Mit der Zeit erzeugt der Leerlauf des Films eine fast schon beruhigende Wirkung.

Er ändert sich langsam in seiner Struktur. Am Anfang geht es noch um sehr konkrete Orte, am Ende eher um Aggregatzustände: das Wasser, den Schnee, den Sand und den Regen. Die Kulturanthropologie weicht dem Anblick einer Natur, die sich alles zurückholt. Und das hat tatsächlich etwas sehr Beruhigendes. Ich finde, der Film ist in dieser Hinsicht sehr versöhnlich.

Glauben Sie, dass die Menschheit tatsächlich irgendwann aussterben könnte?

Die Meinung der Forscher, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen, ist eher: Nein. Aber in meinem Film hat man den Eindruck, dass wir niemandem abgehen würden. Die Natur schafft das schon. Und es wäre nach wie vor ein sehr belebter Planet.

Sind wir nicht Teil der Natur?

Schon, aber der mühsamste.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2016)

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