Die Höllenfahrt der Working Class

(c) David Lee
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Heldenhafte Arbeiter retten sich aus den von einer abgehobenen Elite verschuldeten Flammen: "Deepwater Horizon" mit Mark Wahlberg ist vor allem populistisches Denkmalkino.

Über den Einfluss einzelner Filme auf zeitgenössische politische Entwicklungen kann nur gemutmaßt werden. Zum einen ist Kino schon lang kein Leitmedium mehr, zum anderen herrscht zwischen Laufbild (sofern es sich nicht um Propaganda handelt) und Publikum (gesetzt den Fall, es gibt eines) kein schlichtes Ursache-Wirkung-Prinzip: Welche Schlüsse ein Zuschauer aus dem zieht, was er sieht, hängt letztlich von seiner persönlichen Erfahrungswelt ab. Doch manchmal tritt die Gefühlsmaschinerie eines Films so offen zutage, dass gewisse Reaktionsszenarien ausgeschlossen werden können. Sagen wir so: Peter Bergs Katastrophenblockbuster „Deepwater Horizon“, der in den USA Anfang November mit mäßigem Erfolg gelaufen ist, wird sicher kein nennenswerter Wahlfaktor gewesen sein. Aber wenn er irgendwem geholfen hat, dann Donald Trump.

Der Titel des Films bezieht sich auf den Namen einer Bohrplattform im Golf von Mexiko, die 2010 nach einem heftigen Blow-out in Brand geraten ist, was elf Arbeitern das Leben gekostet und die schwerste Ölpest aller Zeiten nach sich gezogen hat. „Deepwater Horizon“ dramatisiert dieses Unglück, doch er handelt nicht von der Rache der Natur an der Hybris des Menschen. Stattdessen geht es um die Ignoranz abgehobener Eliten und die fatalen Konsequenzen ihrer Fehlentscheidungen für eine tüchtig-heldenhafte Working Class. Deren Hauptrepräsentant wird hier wie so oft von Mark Wahlberg verkörpert: Als bodenständiger Techniker Mike Williams (eine Figur mit realem Vorbild) sieht man ihn zu Beginn mit Bilderbuchfamilie frühstücken. „Mein Papa zähmt die Dinosaurier“, sagt seine kleine Tochter stolz, doch eine ominös überlaufende Cola-Dose signalisiert: Fossile Gefahr ist bereits im Verzug. Bald wissen wir, warum – die Bohrinsel, auf der Mike arbeitet, soll auf Geheiß des BP-Vertreters Donald Vidrine (ein schmierig-süffisanter John Malkovich) ohne ordentlichen Sicherheitstest in Betrieb genommen werden. Williams und sein Vorgesetzter Jimmy Harrell (schön grummelig: Kurt Russell) versuchen, Vidrine umzustimmen, doch dieser hört nicht auf einfache Leute und folgt blind dem Credo „Zeit ist Geld“.

Ein unkontrollierbarer Öl-Geysir

Also kommt es, wie es kommen muss: Der Überdruck steigt, die Armaturen spielen verrückt, und irgendwann verwandelt ein unkontrollierbarer Öl-Geysir die Förderanlage in einen „Well from Hell“; fast wirkt er wie ein kathartischer Vergeltungsstrahl, der einer im ersten Teil aufgestauten Wut über den Hochmut der Führungskräfte ihre verdiente Bahn bricht. Diese spektakulären Eskalationsszenen betonen in ihrer Wucht und Unmittelbarkeit die wesentlichen Stärken des Films, der sich im Look wie in der anfänglichen Schilderung des Ölarbeiteralltags um höchstmögliche Authentizität bemüht.

Die Realitätstreue steht im Einklang mit dem Respekt, den Berg seinen Blue-Collar-Figuren entgegenbringt. Im Unterschied zu den schrillen Americana-Karikaturen eines Michael Bay glaubt man dem Regisseur seine Heldenempathie selbst, wenn er wie im Kriegsfilm „Lone Survivor“ unverhohlen die Patriotismus-Keule schwingt. Aber das ist keine Entschuldigung für Kitsch und Pathos, und am Ende ist der Schwulst in „Deepwater Horizon“ dicker als der Rauch seines flammenden Infernos: Williams schlurft heroisch schnaufend durch die Hitzehölle und rettet seine Kameraden im Wiederschein der Feuersbrunst, später gibt es ein kollektives Vaterunser vor dem Hintergrund einer brennenden US-Flagge. Heraus kommt kompetent inszeniertes, aber äußerst schematisches und populistisches Denkmalkino für das im Stich gelassene Fußvolk einer Industrienation.

Mag sein, dass Berg selbst keine politische Agenda verfolgt. 2012 kritisierte er etwa den Republikaner Mitt Romney, weil dieser ein Zitat aus Bergs TV-Serie „Friday Night Lights“ für sich beansprucht hatte. Seine nächste Arbeit „Patriots Day“ über den Anschlag auf den Boston-Marathon (wieder mit Wahlberg) sei für Trump- und Clinton-Wähler gleichermaßen, wie er unlängst betonte. Doch angesichts von „Deepwater Horizon“ fällt es einem schwer, das zu glauben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.11.2016)

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