Singen gegen eine enge Welt

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Verbotene Texte und eine Stimme der Hoffnung: Zwei Filme zeigen, wie junge Menschen in der arabischen Welt mit Musik nach Selbstverwirklichung und Freiheit streben.

Mein Land, Land aus Staub. Deine Tore sind verschlossen und bringen Unglück. Die Hungernden essen Hohn. Dreh die Lautstärke auf!“ Das Publikum quittiert die politisch aufgeladene Musik, die die 18-jährige Farah (Baya Medhaffer) mit ihrer Rockband in den Bars von Tunis spielt, mit begeistertem Jubel. Die tunesischen Behörden verfolgen ihre Konzerte ebenfalls aufmerksam. 2010, kurz vor dem Beginn des Arabischen Frühlings, können solche Texte leicht als Aufruf zum Aufruhr verstanden werden.

Und wenn schon: Farah lässt sich nicht bändigen, weder durch politischen Druck noch durch ihre Mutter, die sie zur Zurückhaltung drängt. „Kaum öffne ich die Augen“, der erste Spielfilm der jungen tunesischen Regisseurin Leyla Bouzid, ist das einnehmende Porträt einer jungen Frau, die sich weigert, sich einengenden Strukturen zu unterwerfen. Voller Freiheitsdrang lehnt sie die vorbestimmte Karriere – sie soll Medizin studieren – ab, stürzt sich in eine Beziehung mit einem Bandkollegen, trinkt Bier und schlendert in zerrissenen Jeans über Straßen, auf denen hauptsächlich Männer zu sehen sind.

Ihre Energie trägt den ganzen Film. Bouzid erzählt von Sehnsucht und Aufbruchsstimmung, und bleibt dabei stets nuanciert: Ihre Farah ist nicht nur eine trotzige Rebellin, sondern auch ein verletzliches Mädchen, das Zweifel zulässt. Auch ihre Mutter ist spürbar hin- und hergerissen zwischen der Notwendigkeit, sich anzupassen, und dem Drang, die Dinge zu ändern. Schließlich wird das Singen für Farah immer gefährlicher, und sie muss sich fragen: Wie sehr kann man sich selbst treu bleiben, ohne dabei unterzugehen?

Lauter, bunter und – trotz der geschilderten Repressionen – unbeschwerter wirkt die Welt in „Ein Lied für Nour“: Regisseur Hany Abu-Assad („Omar“, „Paradise Now“) erzählt darin die fiktiv erweiterte Geschichte von Mohammed Assaf, der 2013 als erster Teilnehmer aus dem Gazastreifen die Castingshow „Arab Idol“ gewann. Er spult dafür zunächst in die Kindheit des Sängers zurück: Mohammed und seine Schwester Nour tollen im Meer herum, fangen Fische, mit deren Verkauf sie ihre ersten richtigen Instrumente finanzieren wollen. Sie sind wild und furchtlos, und sie haben einen Traum, an dem Mohammed auch festhält, als seine Schwester einer Nierenkrankheit erliegt: groß rauskommen.

Er will nur weg aus Gaza

Hierin liegt wohl der größte Gegensatz zwischen dem intensiven, stimmungsvollen Film „Kaum öffne ich die Augen“ und dem dramatisch erzählten „Ein Lied für Nour“: Ist die Musik für Farah ein Ventil des persönlichen Ausdrucks und eine Bedrohung für die Mächtigen, so ist sie für Mohammed vor allem ein Vehikel zu Aufstieg und (persönlicher) Freiheit. Am Rande kommt zur Sprache, dass radikale Muslime die Musik für etwas Verbotenes halten – doch die wahren Hindernisse sind nicht religiöser Natur: Im abgeriegelten Gaza grassieren Elend und Perspektivlosigkeit. Mohammeds Musizieren ist kein Aufbegehren gegen herrschende Verhältnisse, kein rebellischer Akt, sondern schlicht der Versuch, von hier wegzukommen.

Es sind die anderen, die Mohammeds Gesang politisch überhöhen, indem sie all ihre Hoffnungen in ihn stecken: Wenn seine Bekannten schwülstig klingende Sätze wie „Unsere Stimme muss gehört werden!“ oder „Singe für die gute Sache!“ sagen, wenn er doch nur für die eigene Selbstverwirklichung singt. Sein Volk feiert ihn dennoch wie einen Helden. Die Palästinenser hätten in den vergangenen Jahren ihrer Geschichte vor allem Frust und Niederlagen erlebt, schreibt Regisseur Abu-Assad im Presseheft: „Aber Mohammed hat uns einen Triumph geschenkt, nach dem sich ein ganzes Volk gesehnt hat.“

An (über)dramatischen Elementen mangelt es dem Film nicht. Gleich die allererste Szene spielt mit Action-Elementen: Mohammed und Nour fliehen vor drei älteren Buben, klettern dabei auf Dächer und laufen über fahrende Busse. Später springt der erwachsene Mohammed (gespielt von Tawfeek Barhom) auf seiner Flucht aus dem Gazastreifen im letzten Moment in einen fahrenden Lastwagen, in dem er sich durch den Grenzposten schmuggelt, um rechtzeitig in Kairo zum Casting zu erscheinen. Mit Willensstärke kann man alle Grenzen überwinden, lautet das ständige Credo des Films.

Die Botschaft wäre auch ohne diese Deutlichkeit angekommen. Spannende Aspekte der wahren Geschichte blieben dagegen ausgespart: Über zwanzig Mal sei er in seinem Leben von der Hamas verhaftet und dazu gedrängt worden, das Singen aufzugeben, erzählte Mohammed Assaf dem „Guardian“. Als seine Fernsehauftritte von den Palästinensern schließlich gefeiert wurden, war die Hamas dann aber auffallend still.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2016)

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