"Sully": Der in die Enge getriebene Held

(c) Courtesy of Warner Bros.
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Mit "Sully" ist Clint Eastwood ein meisterhaftes Drama über die Sensationslandung auf dem Hudson gelungen. Tom Hanks spielt den Starpiloten mit großväterlicher Weißhaarpracht, es ist eine seiner besten Rollen seit Langem.

Dreieinhalb Minuten: Mehr Zeit war nicht nötig, um das Leben des Piloten Chelsey Sullenberger auf den Kopf zu stellen. Im Jänner 2009 legte ein Vogelschlag kurz nach dem Abflug vom New Yorker Flughafen La Guardia beide Triebwerke seines Airbus lahm. Der Unfall forderte schnelles Handeln. Sullenberger entschied sich gegen die Empfehlungen der Fluglotsen für eine hochriskante Notwasserung auf dem Hudson River. Wie durch ein Wunder kam keiner der 155 Passagiere zu Schaden, und Amerika feierte einen neuen Helden. Aber Helden haben's schwer.

Das wäre ein angemessener Alternativtitel für „Sully“, Clint Eastwoods meisterhaftes Drama über die Sensationslandung und ihren Starpiloten. Statt einen simplen Denkmalfilm zu meißeln, macht die Schauspiel- und Regielegende das gleichermaßen schlichte wie komplexe Psychogramm des Protagonisten zum Spiegelbild der aktuellen US-Identitätskrise – und lässt damit die Schablonenhaftigkeit eines Großteils zeitgenössischer „True Story“-Filme hinter sich.

Von Reportern belagert

Denn für Eastwood sind wahre Helden keine blinden Tugendautomaten, sondern Zweifler – weil sich erst im Zweifel der Blick dafür schärft, „was wirklich zählt“ (so der Untertitel der autobiografischen Vorlage des Films). Und Sully (Hollywoods Saubermann Tom Hanks mit großväterlicher Weißhaarpracht in einer seiner besten Rollen seit Langem) wird von Anfang an in Zweifel gezogen. Von der strengen Flugsicherheitsbehörde, die meint, dass eine sichere Landebahn in Reichweite und sein Husarenritt unnötig war. Von seiner Frau (Laura Linney), die zu Hause von Reportern belagert wird und sich um ihre gemeinsame Zukunft Sorgen macht. Und immer mehr auch von sich selbst. Bestärkt wird er nur von seinem Kopiloten Jeff Skiles (stark: Aaron Eckhart) und den einfachen Leuten, die überall zu ihm aufblicken: „Es ist schon lang her, dass New York gute Nachrichten hatte.“

Doch der Heldenrummel gibt Sully keinen Halt. Stattdessen treibt er ihn in die Enge, wie die heimgekehrten Soldaten aus Eastwoods Weltkriegswerk „Flags of Our Fathers“. Immer wieder hat er Albträume und Halluzinationen von fatalen Abstürzen. Aus der Schlaflosigkeit und der Isolation unterbelichteter Hotelzimmer flüchtet er auf die winterlichen Straßen Manhattans und joggt vergeblich gegen seine Dämonen an, die sich in Form gigantischer Nachrichtenbilder auf den Videowänden vom Times Square manifestieren. Er hat nur seinen Job getan. Aber er hat ihn getan, indem er sich weigerte, ihn zu tun. Für ihn war die Entscheidung eine Selbstverständlichkeit. Aber Selbstverständlichkeiten kennt die moderne Welt nicht mehr. Bald ist klar: Das Dilemma ist unlösbar. Läuterung gibt es nur im Fegefeuer des anstehenden Untersuchungsausschusses.

Ein anderer Regisseur hätte aus dieser Geschichte womöglich eine Parabel über die Verkennung des rechtschaffenen Subjekts durch eine weltfremde Bürokratie gemacht. Zugegebenermaßen verweigert sich „Sully“ diesem Moment nicht ganz: Die Hauptfigur wird in den Gerichtsszenen zu einem Verteidiger des Bauchgefühls, des „menschlichen Faktors“, der in allzu abstrakten Auslegungen von Katastrophenszenarien ins Hintertreffen gerät. Und sie erscheint somit als brüchiger Fels in der Brandung einer Zeit, die den direkten Draht zu ihren innersten Werten verloren hat. Den Kontrast bildet eine sonnige Rückblende zu Sullys Jugendtagen bei der Air Force, als die Freiheit über den Wolken noch grenzenlos war. Doch im Kern steht der Film im Einklang mit der Idee, dass persönliche Prinzipien auf die gesellschaftliche Probe gestellt werden müssen, um Legitimität zu erlangen. Eastwood war schon immer konservativ – davon zeugen nicht nur seine Trump-Unterstützung und Interviewäußerungen über die „Weicherer-Generation“ der Gegenwart – aber nie ein Populist.

Kühle Digitalästhetik

Das merkt man auch an der Inszenierung der Notwasserung, deren tatsächlicher Ablauf wie bei der Aufarbeitung eines Traumas nur Stück für Stück preisgegeben wird: Völlig unpathetisch, fast schon protokollarisch, ohne Musik oder große Desasterdramatik führt die Crew die nötigen Manöver aus und landet das Flugzeug im Fluss, während Perspektivwechsel zu Einsatzkräften betonen, dass die Rettung eine Kollektivaktion war. Spannend bleibt es trotzdem. Die Bescheidenheit dieser Szenen passt zur Bodenständigkeit des Tiefstaplers Sully ebenso wie zur Kompaktheit des gesamten Films. Mit seinen ökonomischen 96 Minuten steht er ziemlich allein da im Wald der hypertrophen Großproduktionen. Seinem Erfolg in den USA tat das keinen Abbruch.

Die Nüchternheit der kühlen Digitalästhetik impliziert Wahrhaftigkeit, doch das Finale macht die Wahrheitsfindung selbst zum Thema. Es lässt uns die schicksalhaften dreieinhalb Minuten immer wieder als Computersimulation durchleben und misst die aufrichtige Pilotenschilderung an harten Daten und Fakten, darunter auch die berühmte Cockpit-Aufzeichnung des Geschehens (dass die Realitätstreue der Verhandlungssequenz von einem der behördlichen Ermittler angefochten wurde, ist dabei eine typische Traumfabrik-Ironie). Doch „Sully“ ist kein postfaktischer Film, der für die Unantastbarkeit der subjektiven Sichtweise plädiert. Vielmehr versucht er, das Postfaktische und das Faktische, Emotion und Vernunft, Individuum und Gemeinschaft zu versöhnen, indem er sie im Dialog zur Deckung bringt. Die Unmöglichkeit dieses Unterfangens ist vielleicht die Crux der amerikanischen Utopie. Aber im Kino muss man das vergessen dürfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.12.2016)

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