Ruth Beckermann: „Diese Briefe lassen niemanden kalt“

„Ich suche bei jedem Film nach einer neuen Form“, sagt Ruth Beckermann.
„Ich suche bei jedem Film nach einer neuen Form“, sagt Ruth Beckermann.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Für „Die Geträumten“ verfilmte Ruth Beckermann die Korrespondenz zwischen Ingeborg Bachmann und Paul Celan. Mit der „Presse“ sprach sie über die Romantik von Radiostudios und die postfaktische Welt von früher.

Die Presse: Sie haben sehr lange Dokumentar- und Essayfilme gemacht. „Die Geträumten“ könnte man nun fast als eine Art Spielfilm bezeichnen.

Ruth Beckermann: Ich suche bei jedem Film nach einer neuen Form. Aber diesmal war sofort klar: Wenn ich diesen Briefwechsel verfilmen will, muss es um zwei junge Leute gehen, die ihn heute im Tonstudio eines Radios lesen.


Warum gerade in einem Tonstudio?

Weil Radio für die Verbreitung der Werke von Bachmann und Celan sehr wichtig war. Außerdem haben Radiostudios etwas Romantisches. Das Funkhaus-Studio ist vielleicht nicht mehr State of the Art – aber so ein holzgetäfelter Raum mit schönen Wandfresken passt hervorragend als Filmkulisse.


Was hat Sie an den Texten fasziniert? In den Biografien der Autoren – seine Eltern waren Opfer der Shoah, ihr Vater NSDAP-Mitglied – gibt es auch einen Bezug zu Aufarbeitung und Verdrängung, zwei Leitmotiven Ihres filmischen Werks.

Die Briefe hätten mich auch ohne Kenntnis der Autoren angesprochen – vor allem, weil sie die Höhen und Tiefen einer Beziehung so stark ausdrücken. Es geht um erste Verliebtheit, Leidenschaft und Eifersucht, aber auch um Freundschaft und das Anker-Sein für den anderen. Das lässt niemanden kalt, der ähnliche Erfahrungen gemacht hat.


Sie haben in den Siebzigern Fotografie in New York studiert, Gesichter waren dabei eines Ihrer Lieblingsmotive. Haben Sie die Schauspieler danach ausgesucht?

Als Dokumentarfilmerin lasse ich mich sehr stark von Gesichtern leiten. Diesmal habe ich natürlich auch auf die Stimmen geachtet. Am Ende zählt vor allem die natürliche Ausstrahlung, und die hatten sowohl Anja Plaschg als auch Laurence Rupp. Wichtig war, dass die Charaktere der Darsteller sich ergänzten. Während sie eher ein melancholischer Typ ist, hat er etwas Unbeschwertes und Direktes.


Mit wem konnten Sie sich eher identifizieren, mit Celan oder Bachmann?

Meine Sympathien schwankten ständig. Einerseits ist Celan das größere Opfer: Seine Eltern wurden ermordet, nach Kriegsende flüchtete er aus Bukarest vor der kommunistischen Herrschaft. Aber im Laufe der Beziehung merkt man, dass er Bachmann für Dinge verantwortlich macht, für die sie nichts konnte – und ihr ernsthaftes Bestreben, Schriftstellerin zu werden, nicht wahrnimmt. Erst nach zehn Jahren sagt er: Jetzt weiß ich endlich, wie deine Gedichte sind.


Die Rollen verschieben sich mit der Zeit: Anfangs hat Celan eine Art Mentorrolle für Bachmann.

Sein Einfluss war für ihre Lyrik bestimmt sehr wichtig. Sie hingegen half ihm dabei, bekannt zu werden: Ohne ihre Freundschaft und ihr Networking – da war sie genial – hätte er es viel schwerer gehabt, im Literaturbetrieb Fuß zu fassen. Sie hat ihn überall empfohlen, auch als Übersetzer.


Haben sich die Schauspieler vor dem Dreh mit dem Briefwechsel beschäftigt?

Sie haben das Skript kurz vor Drehbeginn bekommen, aber ich habe sie nicht gedrängt, die ganze Korrespondenz zu lesen – schließlich ging es darum, die erste Reaktion einzufangen. Darum habe ich auf Proben verzichtet und oft das erste oder zweite Take genommen. Das war ebenso Teil des Experiments wie die Vereinbarung, dass wir die Kamera in den Pausen weiterlaufen lassen – ganz egal, worüber geredet wird.


Die Pausenszenen sind also nicht geschrieben?

Nein, nur die Drehorte im Funkhaus waren festgelegt. Am liebsten hätte ich das ganze Haus drin gehabt, aber besonders wichtig war der Sendesaal. Dass dort gerade Wolfgang Rihm geprobt wurde, war dokumentarisches Glück. Seine Musik, die ja zum Teil von Celan inspiriert ist, passt in ihrer Dramatik und Modernität sehr gut zum Film.


Sie arbeiten gerade an einem Kompilationsfilm, der den medialen Umgang mit der Waldheim-Affäre aufarbeitet. Reagieren Sie damit auf aktuelle Entwicklungen?

Das Exposé zum Waldheim-Film stand schon vor „Die Geträumten“, ich habe nur seine Umsetzung verschoben. Dass das Projekt von der Gegenwart eingeholt wurde, irritiert mich eher. Es ging ja schon damals um eine Politik der Gefühle, die gegen Fakten antrat.


Auch in „Jenseits des Krieges“, Ihrem Film über Besucher der Wehrmachtsausstellung 1995, werden Dokumente nicht als solche anerkannt. War die Welt schon immer postfaktisch?

Der Unterschied ist, dass sich heute jeder Einzelne zum Meinungsmacher aufschwingen kann. Als der Buchdruck erfunden wurde, gab es zweihundert Jahre lang ein gesetzloses Feld, jeder konnte alles nachdrucken. Bei den sozialen Medien sind wir jetzt in einem ähnlichen Stadium. Man kann nur hoffen, dass die Durchsetzung einer Regelung nicht so lang dauert wie damals.


In einer Szene Ihrer dokumentarischen USA-Reise „American Passages“ wird Schülern ein Mantra eingetrichtert: „I am a winner, not a loser“. Heute muss man dabei natürlich an Trump denken.

Der Film entstand kurz nach der Wahl 2008. Es herrschte große Aufbruchsstimmung, aber die Gegenbewegung der Tea Party scharrte schon in den Startlöchern. Der Hass auf Obama vonseiten der weißen, unteren Mittelschicht war während der Dreharbeiten durchaus spürbar. Im Film treten auch zwei schwarze Frauen auf, die selbstbewusst behaupten, dass alle Minderheiten zusammen bald die Mehrheit in Amerika bilden werden. Das ist aber ein Trugschluss, weil Minderheiten nicht allein als Minderheiten wählen. Die alten Minderheiten haben Angst vor den neuen, sie wählen rechts, damit die anderen nicht nachkommen und ihnen etwas wegnehmen. Das ist bei uns nicht anders.

Zur Person

Ruth Beckermann, 1952 in Wien geboren, ist Autorin und eine der renommiertesten österreichischen Dokumentaristinnen. Ihre Filme sind derzeit im Rahmen einer umfassenden Retrospektive im Filmmuseum zu sehen. Im Synema Verlag erschien mit „Ruth Beckermann“ soeben ein Buch über sie. Ihr neuester Film, „Die Geträumten“, ist ab Freitag im Kino zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.12.2016)

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