Stefan Sagmeister: „Die Schönheit ist zutiefst ein Teil von uns“

„Bei vielen Szenen ist mir schon mulmig geworden.“ Stefan Sagmeister in einer tristen Szene von „The Happy Film“.
„Bei vielen Szenen ist mir schon mulmig geworden.“ Stefan Sagmeister in einer tristen Szene von „The Happy Film“.(c) Polyfilm
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Designer Stefan Sagmeister präsentiert derzeit seinen recht persönlichen „Happy Film“. Als Nächstes forscht er über Schönheit. Mit der „Presse“ sprach er über Glück und Geld, Pfauen und Mick Jagger, Adolf Loos und Fenster mit Augenbrauen.

Die Presse: Wer Ihren „Happy Film“ gesehen hat, weiß viel über Sie, zumindest – fast – alles, was Ihnen in den zwei Jahren Ihrer Experimente zum Thema Glück passiert ist. Wie fühlt man sich so als öffentliche Person?

Stefan Sagmeister: Das war ein Problem. Zum einen wusste ich, dass der Film nur dann sehenswert sein wird, wenn er ehrlich ist. Zum anderen ist es mir bei vielen Szenen, in denen ich wie ein Idiot ausschaue, schon mulmig geworden. Mein eigener kleiner Leitspruch „Trying to look good limits my life“ wurde sehr auf die Probe gestellt . . .


Goethes Faust wettet mit dem Teufel, dass er nie den Satz „Verweile doch, du bist so schön“ zu einem Augenblick sagt. Sagen Sie das manchmal?

Goethe spricht hier vom sehr kurzen Glück, vom Glücksmoment. Es gibt aber auch das mittellange Glück, die Zufriedenheit, und das lange Glück, das heißt, das zu finden, für das man gut ist im Leben. Alle drei, das kurze, das mittlere und das lange Glück, gehören zu einem lebenswerten Leben dazu.


Und verliert man dabei seine Seele?

Nein.


Sie lieben Systeme, Listen. Ist es schon Glück für Sie, Dinge zu ordnen?

Chaos, das Unwissen, wo es hingehen soll, macht mich immer ein wenig nervös.


In dieser Obsession für Listen, für das Ordnen von Dingen erinnern Sie mich ein wenig an David Byrne, für dessen Talking Heads Sie ja ein Cover gemacht haben. Haben Sie sich mit ihm gut verstanden?

Er ist mein Lieblingskunde!


Mögen Sie den Song „Once in a Lifetime“?

Sehr. Und auch: „Road to Nowhere“ und „Thank You for Sending Me an Angel“.


Ist es möglich, dass Mick Jagger, ein weiterer Ihrer Kunden, auch gern Listen führt?

Das weiß ich nicht. Ich habe ihn leider nie gefragt.


Oder nur Listen von Zahlen?

Geld ist ihm erstaunlich wichtig, ich hätte angenommen, wenn man schon Schlösser in Frankreich und England besitzt, dann nimmt das ab . . .


Macht Geld glücklich, wenn man rechtzeitig darauf schaut, dass man's hat, wenn man's braucht?

Geld macht umso glücklicher, je weniger man hat. Wenn man wenig Einkommen hat, macht eine kleine Steigerung glücklicher. In den USA liegt die Latte, über der ein Mehrverdienen keinen messbaren Unterschied beim Wohlbefinden mehr bringt, bei 85.000 Dollar im Jahr, also ca. bei 7000 Euro im Monat. Das ist ein gutes Gehalt. Alles, was mehr ist, macht keinen Unterschied mehr, weil sich die Vorteile mit den Nachteilen aufwiegen. Man darf erste Klasse fliegen, aber der dumme Cousin haut einen andauernd um Geld an. Bei sehr reichen Leuten macht Geld dann besonders glücklich, wenn sie es für andere ausgeben.


Am Ende Ihres „Happy Film“ träumen Sie vom Fliegen, sagen: „One day I will fly.“ Da musste ich an Lou Reeds großen Song „Dirty Boulevard“ denken, wie er am Schluss fast mit Tränen in der Stimme die Hauptfigur davon träumen lässt, aus all diesem Dreck davonzufliegen. Darf, soll man auch vom Davonfliegen träumen, wenn man gar nicht im Elend lebt?

Ich glaube, dass die Frage nach dem Glück überhaupt nur dann gestellt werden kann, wenn die Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken, Behausung etc. gestillt sind. Fragen darf man trotzdem.


Freud schreibt im „Unbehagen in der Kultur“: „Die Absicht, dass der Mensch glücklich sei, ist im Plan der ,Schöpfung‘ nicht enthalten.“ Schließlich, so meint er, können wir nur den Kontrast genießen, den Zustand nur wenig. Stimmt das?

Ich glaube, dass das Glück von der Evolution als eine Art Karotte gestaltet wurde. Sie hängt immer vor uns, aber wir erreichen sie nie für sehr lang.


Sie wollen sich nach dem Studium des Glücks dem Studium der Schönheit zuwenden. Kann man das als weiteres Kapitel Ihrer Glücksuche sehen?

Obwohl ich mir selbst geschworen hatte, nie wieder ein so großes Thema anzugehen, bin ich jetzt mit der Schönheit beschäftigt. Mir ist die Schönheit lieber, weil ich dabei als Designer eine Art Experte bin.


„All art is quite useless“, sagt Oscar Wilde. Gilt das auch für die Schönheit?

Nein. Die Schönheit ist zutiefst ein Teil von uns. Schon als Urzeitmenschen haben wir Handbeile gehauen, die perfekt symmetrisch waren, obwohl das für die Funktion derselben absolut nicht notwendig war: Man könnte den Säbelzahntiger auch mit einem unsymmetrischen Werkzeug häuten.


Biologen sagen, dass bei Tieren der Schmuck, den auch wir schön finden, die Schwanzfeder beim Pfau etwa, keinen Vorteil fürs Überleben bringt, sondern eher hinderlich ist. Ist das ein Merkmal der Schönheit, dass sie überflüssig ist?

Der arme Pfau kann zwar von jedem daherkommenden Tier aufgefressen werden – ich habe ein Foto, das zeigt, wie ein Panda (!) einen Pfau frisst! Der Vorteil, dass der Pfau mit dem prächtigsten Pfauenrad die beste Pfauenhenne bekommt, ist trotzdem evolutionstechnisch wichtiger.


Die Tante Jolesch sagt: „Alles, was ein Mann schöner ist als ein Aff, ist ein Luxus.“ Hat sie recht?

Ich höre gerade Leonard Cohen: „You told me again, you preferred handsome men, but for me you'd make an exception.“ I prefer Leonard Cohen.


Sie tragen gern einfärbige Hemden in klaren, starken Farben. Finden Sie die schöner als gemusterte Hemden?

Ich habe auch gemusterte. Die Kameramänner mögen aber lieber einfärbige, weil es sonst so schimmert auf dem Schirm.


Mir hat gut gefallen, wie Sie bei Ihrem Vortrag im MAK die These von Adolf Loos kritisiert haben, dass Verzierungen unangemessen seien. Glauben Sie, dass diese funktionalistische Doktrin wieder verschwinden wird?

Ja. Wir werden in 20 Jahren auf das 20. Jahrhundert mit Kopfschütteln zurückschauen und uns wundern, wie wir ein ganzes Jahrhundert durchgestanden haben, in dem die Schönheit als Ziel des Designs und der Architektur verbannt war. Ich hoffe, dass ich mit dieser Prognose richtiger liege als bei den US-Präsidentenwahlen.


Werden wir noch erleben, dass man wieder Häuser mit Ornamenten baut? Fenster mit Augenbrauen?

Das erleben wir schon heute: Am 11. Jänner wird die Elbphilharmonie in Hamburg eröffnet, gebaut vom vielleicht wichtigsten Architekturbüro der Welt, den Schweizern Herzog und de Meuron. Die ist nicht nur schön, sondern auch ornamental.


Ich glaube, dass wir Menschen uns mit Ornamenten wohlfühlen, die wie lebendige Strukturen fraktale Muster haben, wie Blumen, Muscheln, Bäume. Solche baut aber heute niemand. Warum nicht?

Der kanadische Avantgarde-Architekt Philip Beesley, mit dem wir auch für die Ausstellung über die Schönheit im MAK in Kontakt sind, macht genau das. Der wird sehr groß werden.


Wie kann man eine Grenze zur Behübschung, zum Kitsch ziehen? Soll man das überhaupt tun?

Kitsch ist unehrliche Schönheit. Diese wird häufig ironisch eingesetzt, der gute Jeff Koons hat seine ganze Karriere darauf aufgebaut.


Können Sie der Camp-Ästhetik – „So kitschig, dass es schon wieder cool ist“ – etwas abgewinnen? Ihre Designs sehen nicht danach aus.

Ich finde das Ironische – wie auch das Zynische – langweilig. Da muss ich mich nie auf etwas festlegen, kann alles immer mit Abstand betrachten.

„The Happy Film“ und Stefan Sagmeister sind derzeit auf Premierentour: 30. 12. (20.15) in Salzburg (Das Kino), 31. 12. (19 Uhr) in Linz (City), 1. 1. (18 Uhr) in St. Pölten (Cinema Paradiso), 1. 1. (15 Uhr) und 2. 1. (20.15) in Wien (Filmcasino). Ab 5. Jänner läuft der Film in den Kinos.

Zur Person

Stefan Sagmeister, geboren 1962 in Bregenz, studierte Grafik und Design an der Uni für angewandte Kunst in Wien. Er wurde u. a. mit Plattencovers – für die Rolling Stones, Lou Reed, David Byrne usw. – berühmt, für zwei bekam er je einen Grammy. Seit 1993 führt er in New York eine Agentur, seit 2012 gemeinsam mit Jessica Walsh. Seine „Happy Show“ lief 2015 im Wiener MAK, für Herbst 2018 ist „The Beauty Show“ geplant, für die er jetzt schon recherchiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.12.2016)

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