Lars Eidinger: "Schauspieler sind eigentlich arme Schweine"

(c) Dor Film / Foto: Patrick Wally
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Lars Eidinger spielt in "Die Blumen von gestern" einen aggressiv-depressiven Holocaust-Forscher. Ein Gespräch über Hitler-Witze, Impotenz und seine größte Angst: dass die Menschen nicht erkennen, was er kann.

Die Presse: Die Grundfrage Ihres jüngsten Films ist, ob man sich über Hitler, über den Holocaust lustig machen darf. Darf man?

Lars Eidinger: Das ist eine schwierige Frage. Ich tue mir bei dieser Einteilung in Komödie und Tragödie schwer. Es geht darum, ein Leben abzubilden – und das Leben ist mindestens so tragisch wie komödiantisch. Im Drehbuch des Films „Der Ursprung der Gewalt“ (von Elie Chouraqui, 2015; Anm.) gab es einen Satz, der mir gut gefällt. Da unterhalten sich zwei Juden und sagen, sie haben noch nie so viel gelacht wie im KZ. Das ist ein interessanter Gedanke. Trotzdem spüre ich eher die Gefahr, dass es ein Thema ist, über das man sich relativ leicht lustig machen kann. Hitler ist einfach zu parodieren und immer gut für einen vordergründigen Gag. Das ist eine Verharmlosung oder Banalisierung. Das Thema darf nicht verarbeitet werden, indem man es abschließt. Es ist viel wichtiger, dass es wie eine Wunde immer offen bleibt.

Der Film begibt sich in das recht gut bestellte Feld der Holocaust-Satire. Gibt es etwas, dass ihn von anderen Filmen dieses Genres abhebt? Warum haben Sie sich entschieden, die Rolle anzunehmen?

Erstmal habe ich mich wirklich gefreut, mich mit dem Thema auseinander zu setzen. Und weil es auch unsere jüngste Vergangenheit ist. Ich bin immer wieder erschrocken, wie kurz das erst her ist. Und alles, was ich in dem Genre gesehen und angeboten bekommen habe, habe ich nicht adäquat gefunden. Zum Beispiel, wenn die Geschichte in Rückblenden nacherzählt wird. Da läuft man Gefahr, dass die Zuseher denken, sie wüssten wie das damals war. Wenn ich ein Konzentrationslager abbilde, habe ich automatisch ganz bestimmte Bilder im Kopf. Das verklärt Geschichte und unterläuft die Dimension. Man muss da ganz behutsam sein, sonst ist das wie eine Geschichtsverfälschung. Da war ich froh, dass der Film es aus der heutigen Perspektive erzählt. Außerdem hatte ich das Gefühl bei Chris Kraus (Regisseur, Anm.), der selber Historiker und Holocaust-Forscher ist, hier weiß jemand, wovon er redet.

Im Film tut sich Totila (oder kurz: Toto), der Nachkomme der Täterseite, schwerer mit der Verarbeitung als Zazie, die Erbin der Opferseite. Sie traut sich etwa zu sagen, dass Hitler auf einem Kindheitsbild süß aussah.

In dieser Szene wird thematisiert, wie er werden konnte, der er war, wenn er doch auch einmal ein süßes Baby war. Und auch im kleinen, privaten Kreis gibt es diesen Widerspruch, wenn Zazie Totila fragt, wie sein Nazi-Großvater war, und er sagt: „Lieb.“ Diesen Widerspruch muss man aushalten.

Erinnerungsforscher wie Aleida Assmann sagen, es gibt schon jetzt junge Menschen, die den Zweiten Weltkrieg nicht einmal mehr aus Erzählungen ihrer Großeltern kennen. Gibt es ein falsches und ein schlechtes Erinnern?

Erinnern ist immer geprägt von subjektiven Wahrnehmungen. Mein Großvater zum Beispiel saß stets in seinem Fernsehsessel, sagte kaum etwas, redete nie vom Krieg. Ab und zu hat er mich auf den Schoß genommen und gesagt: „Rattattatong. Rattattatong, weg ist der Balkon.“ Ich fand das als Kind lustig, erst später wurde mir bewusst, was das für ein Spruch war. Dass er sich vermutlich daran erinnerte, wie er mit den Soldaten im Schützengraben gesessen ist und auf Fassaden schoss. Ich konnte das erst mit einer gewissen Reife in einen anderen Kontext setzen. So verändert sich der Blick auf Ereignisse. Es ist natürlich leicht, aus der heutigen Perspektive zu sagen, ich wäre kein Nazi gewesen. Aber damals war eigentlich jeder ein Nazi, die allerwenigsten waren im Widerstand, und heute tun alle so, als hätte man sich davon so leicht frei machen können.

Wie sehr beobachten Sie politische Ereignisse wie die USA-Wahl?

Nicht sehr. Natürlich gibt es Parallelen zu Entwicklungen von heute und damals. Aber diese Form der Fremdenfeindlichkeit, die Parteien wie die AfD begünstigt, hat für mich nichts mit der Dimension oder dem Phänomen des Holocaust zu tun.

Die „Wehret den Anfängen“-Rufe sind also überzogen?

Ja. Da fängt gar nichts an, es ist nur die Bestätigung dafür, dass die Masse unverbesserlich dumm ist. Mir macht ein Donald Trump auch keine Angst. Mir machen die Menschen Angst, die ihn oder die AfD wählen. Deswegen ist der Toto auch als Misanthrop gezeigt. Als einer, der die Menschen nicht mehr lieben kann, weil er an ihnen verzweifelt.

Es geht in dem Film auch um Läuterung und Verzeihen können. Wie viele Chancen hat ein Mensch im Leben verdient?

Ich habe kein Problem damit, wenn Leute Fehler machen. Ich bin der Letzte, der nachtragend ist. Man muss an den Punkt kommen, an dem man jeden Morgen als völlig neuer Mensch aufwacht und das Recht hat, seine Meinung vom Vortag über den Haufen zu werfen. Ich sehne mich danach, dass am Ende einer Talkshow einmal jemand sagt: ,Wissen Sie was, Sie haben mich überzeugt.‘

Machen Sie das, Ihre Meinung ändern? Zum Beispiel auch bei Rollen.

Ständig. Ich verzeih mir das auch. Ich habe wahnsinnige Angst beim Spielen und überhaupt. Aber ich habe den Mut, mich dieser Angst zu stellen. Dieser Mut heißt auch, dass man das Risiko eingeht zu scheitern. Wir sind so geprägt, dass der Superheld mutig ist, wenn er sich vom Haus stürzt, jemanden rettet und sicher landet. Aber man sieht nie den Superhelden, der abstürzt und unten aufschlägt. Wenn man die Fehlbarkeit des Menschen kultiviert, dann ist das eine Befreiung.

Alles, was Sie zuletzt gemacht haben, von „Polizeiruf“ bis „Richard III.“ wird beklatscht. Denken Sie hie und da, dieser Höhenflug könnte irgendwann zu Ende sein?

Manche Kollegen sagen in Interviews oft, dass sie Angst haben, dass irgendwann alle merken, dass sie es gar nicht können. Bei mir ist das umgekehrt. Meine größte Angst ist, dass die Leute nicht sehen, was ich kann. Ich habe das Gefühl, dass mein Potenzial erst zu einem geringen Teil ausgeschöpft wurde. Wenn ich einen Film drehe, denke ich immer, das ist jetzt die Möglichkeit für einen noch größeren Film. Da liegt auch die Gefahr darin, dass man nie im Moment leben kann. Ich habe es für mich geschafft, dass ich auf das Fahrrad steige, zum Theater fahre und mich auf das Spielen freue.

Sie haben auch beim Hauptabendfilm „Terror“ nach der Vorlage von Ferdinand von Schirach mitgespielt. Beobachten Sie die Rezeption eines solchen TV-Ereignisses – oder ist der Film vorbei, wenn er abgedreht ist?

Ich habe das alles verfolgt, auch die extremen Kritiken im Feuilleton. Aber für mich waren sie eher Bestätigung dafür, dass man die Menschen damit zum Denken angeregt hat. Ich kann die Vorwürfe, die da kamen, alle nachvollziehen. Auch dass sich hier gar keine rechtliche Frage stellt. Aber allein dass sich 6,8 Millionen Zuseher danach einen trockenen Polittalk ansehen, ist doch Gewinn. Das zeigt, dass man die Menschen zum Denken anregen konnte. Ich versuche das auch im Theater zu machen, dem Zuseher einen aktiven Part zu geben. Damit er nicht nur Stumpf dasitzt und sich bedröhnen lässt.

Wie viele Filme gehen sich neben dem Theaterspielen für Sie aus?

Ich schaffe es ganz gut, das Beides nebeneinander stattfindet. Ich spiele nach wie vor sehr viel Theater, immer noch „Hamlet“ und „Richard III“. Ich merke immer mehr, dass ich das Theater unbedingt brauche. Die Option, mit dem Theater auszusetzen, gibt es für mich nicht. Meine Art zu spielen, ist so geprägt von den Erfahrungen, die ich im Theater mache, das ist wie meine Grundlage. Ich gehe viel unaufgeregter in Dreharbeiten hinein. Es gibt mir eine Sicherheit, zu wissen, ich funktioniere drei Stunden vor Publikum. Das ist ein bisschen wie Training im Sport.

Sie spielen in dem aktuellen Film "Blumen von gestern" einen Mann mit Impotenz. War es schwer, das zu spielen?

Nein. Schwer war nur, die Szene zu drehen, in der ich ihr gestehe, dass ich impotent bin. Chris Kraus (der Regisseur, Anm.) wollte, dass ich mich schäme, wenn ich ihr das sage. Da bin ich an meine Grenzen gekommen, weil ich das als Schauspieler gar nicht kann, mich schämen. Man ist schamhaft in allem, was man macht. Als Schauspieler betreibt man viel Aufwand, so zu tun, als ob das nicht so wäre. Deswegen denken viele, dass Schauspieler selbstbewusst und sogar arrogant sind, dabei sind sie eigentlich arme Schweine. Trauer oder Wut spielen ist viel einfacher als Scham. Aber es geht auch gar nicht um pathologische Impotenz, sondern es ist mehr ein Symbol dafür, dass jemand die Menschen und sich selbst nicht mehr lieben kann.

Sie sind gebürtiger Berliner, haben immer dort gelebt. Haben Sie schon einmal Sehnsucht verspürt, woanders zu wohnen?

Immer. Ich bin auch froh, wenn ich in anderen Städten bin. Ich bin gerne in Wien und liebe Städte wie Köln, die mit ganz anderen Reizen und Qualitäten als Berlin aufwarten. In Wien weiß ich, wo man das beste Schnitzel isst und in Köln, wo man am besten trinken kann. In Berlin gibt es diese Beständigkeit nicht.

 Den Jedermann?

Würde ich sofort spielen

Teile des Films wurden in Wien gedreht. Wie war das?

Es war ein ganz toller Sommer und wir waren viel draußen. Ich bin jeden Tag ins Burgtheater gegangen, wenn es möglich war, und habe den gesamten Spielplan gesehen. Wien ist auch eine gute Stadt zum Gehen. Und ich finde die aktuelle Popkultur aus Österreich interessant. Vordergründige Sachen wie Wanda und Bilderbuch, aber auch diese Rap-Szene rund um Yung Hurn finde ich sehr spannend. Und mir gefällt, dass in Wien der Raucherbereich größer ist als der für Nichtraucher. Dabei rauche ich gar nicht, aber ich sympathisiere stark mit Rauchern. Ich bewundere es, dass sie durchhalten, obwohl es diese furchtbaren Bilder auf den Zigarettenschachteln gibt.

Und was fällt Ihnen zu Salzburg ein?

Da fällt mir als erstes Gert Voss ein, den ich über alles geliebt habe. Ich  hatte auch dort eine sehr gute Zeit, als ich „Maß für Maß“ gespielt habe bei den Salzburger Festspielen mit ihm.

Ich frage auch deshalb, weil Ihr Name vergangenen Sommer beim Rätselraten um die Besetzung des „Jedermann“ gefallen ist. Würde Sie die Rolle reizen?

Die würde ich sofort spielen. Sie ist mir aber noch nie angeboten worden. Ich sag das jetzt so. Unter Schauspielern ist es beinahe verpönt, den Jedermann spielen zu wollen. Ich weiß noch, dass mich Birgit Minichmayr einmal gefragt, ob sie mich als Tod vorschlagen soll – und ich habe gesagt, wenn schon, als Jedermann. Ich habe es nur einmal gesehen mit Nicholas Ofczarek und mir gefiel diese Art zu spielen, dieses unverstärkte Volkstheater-hafte. Ich hätte da Lust darauf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.01.2017)

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