„Hacksaw Ridge“: Kain, Abel und die Kriegspassion Christi

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Mel Gibsons Comeback-Film über einen heldenhaften Waffenverweigerer im Zweiten Weltkrieg ist nur auf den ersten Blick ein Plädoyer für Pazifismus. Dahinter verbirgt sich erst recht religiöser Gewaltfetischismus.

Wie gebannt starrt der Bub an die Wand, eine Darstellung des Kain-und-Abel-Mythos hält seinen Blick gefangen. Darüber prangt das sechste Gebot: „Du sollst nicht töten“. Desmond Doss fühlt sich angesprochen. Eben erst hat er sich mit seinem Bruder gestritten und ihn beinahe mit einem Ziegelstein totgeschlagen. Hinter ihm naht schon der Vater mit dem Gürtel in der Hand, doch der Sohn hat seine Lebenslektion bereits gelernt. Nie wieder wird er den Allmächtigen verärgern, indem er seine Hand gegen einen Mitmenschen erhebt.

Wenn es im groß budgetierten Gegenwartskino dermaßen deutlich um Glauben und Gewalt geht, handelt es sich meist um einen Film von Martin Scorsese – sein Missionarsdrama „Silence“ startet bei uns aber erst im März. Daher kommt als Urheber eigentlich nur jemand infrage, den die meisten schon längst abgeschrieben haben: Mel Gibson. Nach seiner letzten Regiearbeit, dem Maya-Epos „Apocalypto“ (2006), sorgte der Schauspieler und Filmemacher vor allem mit rassistischen, sexistischen und antisemitischen Auszuckern für Aufsehen und manövrierte sich so konsequent ins Hollywood-Abseits.

Wahre Geschichte von Desmond Doss

Doch als Katholik weiß Gibson um die Bedeutung von Bußfertigkeit. Er zog sich zurück, ließ die Skandale ruhen und gab sich in Interviews betont reumütig. Mit Erfolg: Zur Premiere seines jüngsten Werks, „Hacksaw Ridge“, bei den jüngsten Filmfestspielen von Venedig war das mediale Blätterrauschen in Bezug auf seine früheren Vergehen kaum vernehmbar. An den US-Kassen konnte der Film bereits reüssieren, inzwischen zählt er mit satten sechs Nominierungen – darunter auch Beste Regie – zu den vordersten Oscar-Anwärtern. Das Comeback ist gelungen.

Man könnte fast meinen, Gibson hätte bewusst einen Stoff gewählt, der seinem Image als erzkonservativer Gewaltfetischist zuwiderläuft: Die wahre Geschichte von Desmond Doss, einem Waffengebrauchsverweigerer, der für seine Tätigkeit als Sanitäter im Zweiten Weltkrieg mit der höchsten Militärauszeichnung der USA gewürdigt wurde. Und auf den allerersten Blick wirkt „Hacksaw Ridge“ tatsächlich wie ein Plädoyer für Pazifismus. Doch es dauert nicht lange, bis der Groschen fällt: Natürlich hat man es wieder mit einem blutrünstigen Jesus-Film zu tun.

Aber selbst die Zeichentrick-Extremsatiresendung „South Park“, die Gibson wiederholt als Sadomaso-Knallcharge verspottete, musste eingestehen: Der Mann weiß, wie man eine Handlung aufbaut. Am Anfang das Provinzidyll: Der herzensgute Desmond (charmant: Andrew Garfield) buhlt um eine Krankenschwester (Teresa Palmer darf leider nicht viel mehr als hübsch lächeln). Dann die erste Hürde: Obwohl er als Siebenten-Tags-Adventist nicht zur Armee muss, meldet sich der Bauernjunge nach der Kriegserklärung freiwillig. Während der Ausbildung setzt es aufgrund der Gewehr-Aversion schlimme Schikanen, ganz wie in „Full Metal Jacket“ – doch Doss bleibt standhaft und darf in Okinawa seine Feuertaufe antreten.

Die beeindruckenden Schlachtsequenzen bilden das Herzstück des Films. Gibson schmeißt den Zuschauer mit derber Wucht ins Pandämonium aus Explosionen, schreienden Soldaten, fliegenden Gliedmaßen und zerfetzten Körpern. Das ist arg, aber darob nicht weniger unterhaltsam: Die Inszenierung erinnert eher an ein Splattermovie als an „Saving Private Ryan“, mit der japanischen Armee als gnadenlose Monsterhorde. Hier, in der Hölle, findet Doss seine Berufung. Er wird zum Turboschutzengel und rettet selbstlos, was das Zeug hält: „Einer geht noch“, hat ihm Gott geflüstert, selbst verletzten Feinden steckt er Morphium zu.

Bis er irgendwann selbst auf der Trage landet und die titelgebende Klippe heruntergelassen wird, umkränzt von goldenem Gegenlicht. Doch die Hagiografie des sympathischen Samariters hinterfragt das Kriegsgeschehen keineswegs. Im Gegenteil: Doss nimmt die Sünden der anderen auf sich und liefert so als progressive Alibifigur die Legitimation für religiös verbrämtes Heldenpathos, das in seiner Hemmungslosigkeit locker mit „Bravehart“ mithalten kann. Also alles beim Alten im Gibson-Universum: Verwunderlich ist eigentlich nur, dass der Regisseur die Rolle des Strenggläubigen, der erst geächtet, dann geläutert und schließlich gefeiert wird, nicht selbst übernommen hat.

ZUM REGISSEUR

Mel Gibson, geboren 1956 in New York, wurde Ende der 80er-Jahre mit Actionrollen, etwa in „Lethal Weapon“, zum Superstar. Als Regisseur drehte er „Braveheart“ (1995) und „Die Passion Christi“ (2004), dem u. a. Antisemitismus vorgeworfen wurde. Rassistische und sexistische Aussagen machten den neunfachen Vater und erzkonservativen Katholiken zur Persona non grata in Hollywood. Sein Comeback „Hacksaw Ridge“ läuft jetzt im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.02.2017)

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