„Hidden Figures“: Der Triumph der Rechnerinnen

Hidden Figures
Hidden Figures(c) Twentieth Century Fox
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Der Charme seiner Hauptdarstellerinnen kann nicht darüber hinwegtäuschen, wie simpel Theodore Melfis „Hidden Figures“ eigentlich gestrickt sind.

Nach kurzem Zögern reicht der führende Nasa-Wissenschaftler, Al Harrison (Kevin Costner), seiner schwarzen Mitarbeiterin, Katherine Johnson (Taraji P. Henson), ein Stück weißer Kreide, damit diese den versammelten Experten und Entscheidungsträgern an der Tafel vorrechnen kann, wie man eine Raumkapsel sicher auf den Erdboden zurückbringt. Eigentlich sollte sie gar nicht hier sein; bislang waren Frauen bei diesen Meetings unerwünscht, von Afroamerikanerinnen ganz zu schweigen. Doch Harrison vertraut seiner Rechnerin. Mit Grips, Courage und Hartnäckigkeit hat sie sich den Platz in der exklusiven Runde erkämpft.

Dies ist der vielleicht schönste Moment im dreifach oscarnominierten Überraschungserfolg „Hidden Figures“ (an dessen Erfolg im Grunde kaum etwas überrascht). Erstmals nimmt er sich zurück, um seine Hauptmotive in einer unscheinbaren, aber kraftvollen Geste zu bündeln. Die Kreideweitergabe gewährt Selbstbestimmung und Mitspracherecht; ein kleiner Schritt für Katherine, ein großer für Rassen- und Geschlechtergleichheit. Man wünscht sich mehr solcher Szenen, doch das erbauliche True-Story-Kino hatte nie viel mit Subtilität am Hut. Der Hinweis auf den Beitrag schwarzer Frauen zu epochemachenden Weltraumprogrammen ist mehr als berechtigt. Aber muss er so komplexitätsbereinigt ausfallen?

Regisseur Theodore Melfi („St. Vincent“) fegt diese Frage schon nach kurzer Zeit mit dem ganz großen Pinsel vom Tisch. 1961, in der damaligen Rassentrennungshochburg Virginia: Katherine und ihre Freundinnen, Dorothy Vaughan (resolut: Octavia Spencer) und Mary Jackson (spritzig: Soulsängerin Janelle Monáe), arbeiten als „Computer“ (sprich: menschliche Rechenmaschinen) im Langley Research Center. Sie wollen höher hinaus, doch ihre Hautfarbe versperrt den Weg. Nur mangels Personal wird Supertalent Katherine ins weiße Kernteam befördert, wo man sie zunächst mit einer Putzfrau verwechselt. Wenn sie aufs Klo will, dauert das 40 Minuten, weil es im Trakt kein WC für „Coloreds“ gibt. Dennoch lässt sie sich nicht unterkriegen, trotzt den Demütigungen und rechnet sich Stück für Stück in den Aufmerksamkeitsradius ihres Vorgesetzten Harrison.

Keine weiße Erlöserfigur

Was folgt, ist ein dramaturgischer Hürdenlauf, bei dem Melfi kein Pathos auslässt: Der Zorn gegen offenkundige Ungerechtigkeit, die Genugtuung, jemandem die Meinung trompeten zu können, der Triumph erfolgreicher Emanzipation, schließlich das Frohlocken über den gelungenen Raketenstart. Der Elan, mit der diese moralischen Etappensiege aneinandergereiht werden, reißt mit, im Kontext seines behäbigen Genres ist „Hidden Figures“ virtuos. Romantik, Humor und Musik nutzt er als Schmiermittel, die Bürgerrechtsbewegung als Kontext. Dem Charme seiner famosen Darstellerinnen kann man sich schwer entziehen. Doch irgendwann, nach der zehnten Einstellung verdutzter weißer Männergesichter, die nicht fassen können, dass eine schwarze Frau sie überflügelt, merkt man, wie simpel gestrickt alles ist.

Und brav noch dazu: Der Mittelbau (verkörpert von Kirsten Dunst und Big-Bang-Theory-Star Jim Parsons) wird als bigott vorgeführt, während der Anstand der Autoritätsfigur Harrison nie in Zweifel gezogen wird. Überdies verkoppelt der Film sein Gleichstellungsnarrativ zwecks leichterer Verdaubarkeit bewusst mit Werten des Nationalismus (Schmeißt die Russen aus dem All!) und der Exzellenz (Wer begabt ist, hat Rassismus nicht verdient!). Zumindest in einer Hinsicht unterscheidet sich „Hidden Figures“ aber positiv von Vorgängern wie „The Help“ (2011): Eine weiße Erlöserfigur haben seine Protagonistinnen nicht mehr nötig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.02.2017)

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