Gangster? Aber nur mit Herz!

Gangster in Tampa, Florida, in der Zeit der Prohibition: Ben Affleck (links) als kühler Kriegsveteran, der für die Mafia Rum schmuggelt, in „Live by Night“. Regie hat er selbst geführt.
Gangster in Tampa, Florida, in der Zeit der Prohibition: Ben Affleck (links) als kühler Kriegsveteran, der für die Mafia Rum schmuggelt, in „Live by Night“. Regie hat er selbst geführt.(c) Claire Folger (Claire Folger)/Warner
  • Drucken

„Live by Night“ von und mit Ben Affleck erzählt von einem Kriegsveteranen, der Gangster wird, um nie wieder Befehlen folgen zu müssen. Ein solider Mafiafilm.

Dreizehn Jahre lang, von 1920 bis 1933, waren Verkauf, Herstellung und Transport von Alkohol in den Vereinigten Staaten verboten. Rechnet man alle Filme und Serien zusammen, die diese Zeit thematisieren, würde man die Prohibition wohl länger schätzen. Das mag an dem Einschnitt liegen, den die amerikanische Kultur mit diesem Verbot gespürt hat – in fast jeder Kultur ist ein geregelter Gebrauch bestimmter Rauschmittel Tradition. Und sicherlich an den Möglichkeiten, die sich durch die Verschiebung der Grenze zwischen legal und kriminell für Filmemacher und Schauspieler bietet: Wer möchte nicht einmal einen dieser Gangster spielen, die im Nadelstreifenanzug und Hut in alten Automobilen herumfuhren? Oder ein Party-Girl im Charleston-Kleid mit Feder im Haar und mit Zigarettenspitz zwischen den Fingern?

Praktisch, wenn man sich eine solche Rolle gleich auf den Leib schneidern kann wie Ben Affleck in „Live by Night“. Bei der Verfilmung des Krimis von Dennis Lehane führte er Regie und übernahm gleich die Hauptrolle. Vor sechs Jahren war das Duo mit „Gone Baby Gone“ höchst erfolgreich. Die US-Einspielergebnisse für den 65 Millionen Dollar teuren Gangsterfilm blieben bisher weit unter den Erwartungen.

Affleck verkörpert in „Live By Night“ den kühlen Kriegsveteranen Joe Coughlin. Der Sohn eines Bostoner Polizeipräsidenten hat sich nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg geschworen, nie wieder Befehlen zu folgen: „Ich ging weg als Soldat und kam als Gesetzloser zurück“, erklärt er als Erzähler aus dem Off. So verdingt sich Coughlin als Kleinkrimineller und verliebt sich. Die Beziehung zu der Bardame Emma (Sienna Miller), zudem Geliebte des Bosses der irischen Verbrecherbande Bostons, findet erwartungsgemäß ein trauriges Ende. In Tampa, Florida, versucht Coughlin einen Neuanfang und schmuggelt für die italienische Mafia Rum. Statt der Blautöne ist seine Welt nun in Orangerot getaucht. Auch hier begegnet er einer Frau und kämpft gegen die Konkurrenz . . .

„Es reicht nicht, die Regeln zu brechen“

Solide inszeniert, kann „Live By Night“ dem Genre Mafiafilm keine neuen Facetten abgewinnen. Er ist weniger familiär als John Hillcoats „Lawless“ (2012), der im ländlichen Amerika spielte. Martin Scorseses Serie „Boardwalk Empire“ (2010 bis 2014) war opulenter und tiefgründiger, Klassiker wie Sergio Leones „Once Upon a Time in America“ (1984) bleiben freilich unerreicht, erstaunlicherweise auch in ihrer Härte. Denn Afflecks Gangster ist zwar fähig zur Brutalität – aber sein Herz bleibt immer am rechten Fleck. So fehlt die Reibungsfläche, die Frage: Wie lange kann eine Figur Böses tun, bis man als Zuschauer aufhört, mit ihr zu sympathisieren? Joe überschreitet diese Grenze nie. Er wird als schlau und charmant beschrieben – letzteres lässt sich durch Afflecks gewohnt reduzierte Spielweise, die sich an der Grenze zum Hölzernen bewegt, schwer nachvollziehen.

In den Dialogen hat „Live By Night“ einen Hang zur Plattitüde: „Es reicht nicht, die Regeln zu brechen. Man muss stark genug sein, eigene Regeln aufzustellen“, lautet einer der Sätze, die an Kalendersprüche erinnern. Andere: „Du bist beinahe du selbst, ich will dein wahres Selbst!“ und „Du lebst nicht wirklich, bevor du nicht etwas gefunden hast, für das du sterben würdest“.

Abzweigungen in weniger ausgetretene Pfade des Erzählens verpasst der Film, etwa bei der zweiten großen Liebe Coughlins, der dunkelhäutigen und sozial engagierten Kubanerin Graciela (Zoe Saldana). Im Film feindet der Ku Klux Klan das Paar an. Die Frauenfigur selbst bleibt blass, von ihrer politischen Agenda ist nicht viel übrig.

Herausragend ist – wieder einmal – Elle Fanning in einer Nebenrolle. Die erst 18-jährige hat das Potenzial, die Meryl Streep ihrer Generation zu werden. Sie spielt die Tochter des Sheriffs (intensiv: Chris Cooper), deren Hollywoodträume im Heroinrausch untergehen. Clean und bekehrt, beginnt sie in Kirchen gegen Alkohol und Glücksspiel zu predigen – und kommt Coughlin damit in die Quere. Im Gespräch mit dem Gangster zeigt sich mehr Seele, mehr Herz, als in beiden Liebesgeschichten des Films zusammen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2017)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.