Berlinale: Österreicher Georg Friedrich bester Darsteller

Georg Friedrich
Georg FriedrichAPA/AFP/TOBIAS SCHWARZ
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Der 50-jährige Schauspieler gewann in Berlin mit seiner Rolle im Film "Helle Nächte". Den Goldenen Bären bekam die Lovestory "Körper und Seele". Haders "Wilde Maus" ging leer aus.

"In the desert i saw a creature, naked, bestial, who, squatting upon the ground, held his heart in his hands, and ate of it. I said, ,Is it good, friend?‘ – ,It is bitter – bitter‘, he answered; ,But I like it, because it is bitter, and because it is my heart.‘“ Mit diesem schönen Gedicht von Stephen Crane nahm der österreichische Charakterdarsteller Georg Friedrich (50) am Samstagabend seinen Silbernen Bären als Bester Schauspieler der diesjährigen Berlinale in Empfang. Er erhielt ihn völlig verdient für seine angespannt-verletzliche Darstellung in Thomas Arslans „Helle Nächte“, einen Film über den Verlust familiären Zusammenhalts.

Es ist der Kulminationspunkt einer stark unterschätzten Karriere als Nebendarsteller. Nach seiner Schauspielausbildung in Wien wurde Friedrich dank seines unverkennbaren Dialektdralls und seiner körperlicher Dringlichkeit mit zwischen Zärtlichkeit und Jähzorn changierenden Proletenfiguren in österreichischen Film- und Fernseharbeiten bekannt, allen voran in Ulrich Seidls „Hundstage“, aber auch in Filmen von Barbara Albert und Michael Glawogger. Friedrich spielte immer wieder auch in deutschen Produktionen, zuletzt etwa in „Wild“ von Nicolette Krebitz. In „Helle Nächte“ gibt er einen Bauingenieur, der mit entfremdetem Sohnemann zum Begräbnis des Vaters nach Norwegen fährt. Seine Versuche, dem Jungen („Tschick“-Nachwuchstalent Tristan Göbel) wieder näherzukommen, treffen auf wenig Gegenliebe. Der Film besticht mit Klarheit: jener des ewigen Tages seiner berückenden Schauplätze wie der einer präzis-meditativen Inszenierung.

Georg Friedrich
Georg FriedrichAPA/AFP/POOL/BRITTA PEDERSEN

Der finnische Filmemacher Aki Kaurismäki (59) erhielt den Preis für die Beste Regie („The Other Side of Hope“), den Goldenen Bären verlieh die Jury der 67. Berlinale an „Teströl es lelekröl“ von Ildiko Enyedi. Der Film handelt von zwei einsamen Seelen, die sich in einem Budapester Schlachthaus näherkommen: Die autistische Qualitätskontrolleurin Mária (Alexandra Borbély) und ihr zugeknöpfter Vorgesetzter Endre (Géza Morcsányi). Anfangs stoßen sie einander nur vor den Kopf, doch ein zaghaftes Fantastik-Element legt ihre Seelenverwandtschaft offen: Wie sich bei einer psychologischen Untersuchung herausstellt, haben beide eines Nachts denselben Traum geträumt, schlüpften in die Rolle von Hirschen im Wald. Empathie und Einfühlungsvermögen, die Voraussetzung für eine Beziehung, müssen sich die beiden aber erst erarbeiten. In ruhigen, hellen und unaufgeregten Bildern schildert „On Body and Soul“ ihr langsames Herantasten, durchzogen von sinnlichen Details – um ihre Berührungsängste zu überwinden, zerdrückt Mária in Großaufnahme eine Portion Kartoffelpüree mit der Hand. Die Sanftheit der Erzählung, ihren Fokus auf „compassion“, wie Verhoeven bei der Preisvergabe betonte, versteht die Jury als Gegenposition zu der Schroffheitskultur der Gegenwart. In gewisser Hinsicht ist es eine gewagte Entscheidung – für gewöhnlich prämiert die Berlinale Filme, deren politische Brisanz viel deutlicher hervortritt. Dennoch wirkt sie etwas unspezifisch, wie eine Kompromisslösung in einen durchwachsenen Wettbewerb ohne klare Favoriten.

Das Festival ohne Eigenschaften

Denn was der Berlinale seit langem fehlt, ist eine klare kuratorische Haltung, eine Vorstellung davon, was interessantes Kino ausmacht und was nicht. Der Wettbewerb belegt‘s: Gediegene Alterswerke deutscher Autorenfilmer standen direkt neben chinesischen Cartoons oder fernsehtauglichen Künstlerdokus wie „Beuys“. Die unebene Auftragskiller-Dramödie „Mr. Long“ schien nur dabei zu sein, weil ihr japanischer Regisseur, Sabu, Stammgastprivilegien genießt. Formaler Wagemut war wie so oft eine Ausnahme: Will man Linien durch die Hauptsektion ziehen, bleibt nur eins übrig: das Berlinale-Spiel mitspielen und inhaltlich vorgehen.

Sei's drum: Allgemein betrachtet standen viele Wettbewerbsfilme im Zeichen der Krise, Schlaglichter auf private und gesellschaftliche Schieflagen punktierten das Programm. In Josef Haders „Wilde Maus“, dem angeblich einzigen österreichischen Bären-Kandidaten, wird ein vom Regisseur selbst gespielter Musikkritiker wegrationalisiert und sinnt darob auf Rache: Die Tragikomödie zeigt auf zugespitzte Weise, wie weit die Furcht vor sozialem Abstieg einen Mittelstandsmenschen treiben kann. Dabei sind seine Existenzängste unbegründet – im Gegensatz zu denen der portugiesischen Familie in Teresa Villaverdes „Colo“. In langen, angespannten, leicht stilisierten Einstellungen schildert Villaverde, wie die existenzielle Unsicherheit schleichend das häusliche Gemeinwesen zersetzt.

Während die passiv-aggressiven und frustgestörten Männerfiguren daran scheitern, ihre Wut zu kanalisieren, demonstrieren eine Handvoll Geschichten um widerständige Frauen, wie man einer feindlichen Umwelt Paroli bieten kann. In „Félicité“ von Alain Gomis muss eine kongolesische Barsängerin (Véro Tshanda Beya) Geld für die Notoperation ihres Sohnes auftreiben und macht sich damit unbeliebt – findet aber Halt in der Beziehung zu einem zärtlichen Schwerenöter, ohne ihre Unabhängigkeit aufzugeben. Sebastián Lelios „Una mujer fantástica“ erzählt vom Kampf einer Transfrau (Daniela Vega) um ihr Recht auf Trauer: Nach dem plötzlichen Tod ihres Geliebten wollen dessen Angehörige die „Perversion“ verdrängen. Ausgezeichnet wurde das Drehbuch des Films.

Die Preise der Berlinale 2018

Eine klare ästhetische Handschrift hatten nur zwei Beiträge. Mit „The Other Side of Hope“ legte der finnische Lakoniemeister Kaurismäki Teil zwei seiner geplanten Hafenstadttrilogie vor und verschränkte seine Trademarks (Loser-Humor, melancholische Musik) erneut mit einer Solidaritätsbekundung für Flüchtlinge. Das bietet wenig, was man nicht schon aus „Le Havre“ kennt – doch im Unterschied zur Konkurrenz sitzt hier jede Pointe, jedes Bild. Ein verdienter Regiepreis. Gleichfalls unverkennbar: „On the Beach at Night Alone“ von Hong Sang-soo, der eine persönliche Affärenerfahrung des Regisseurs zu einer verspielten Meditation über Sehnsucht verarbeitet. Schlicht und ergreifend – mehr muss Kino nicht sein. GOLDENER BÄR: "Körper und Seele" ("Teströl es lelekröl") von Ildiko Enyedi (Ungarn)

SILBERNER BÄR, GROSSER PREIS DER JURY: "Felicite" von Alain Gomis (Frankreich)

SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE REGIE: "Die andere Seite der Hoffnung" ("Toivon tuolla puolen") von Aki Kaurismäki (Finnland)

SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE DARSTELLERIN: Kim Min-hee in "On the Beach at Night Alone" ("Bamui haebyun-eoseo honja") von Hong Sang-soo (Südkorea)

SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN DARSTELLER: Georg Friedrich in "Helle Nächte" von Thomas Arslan (Deutschland)

SILBERNER BÄR FÜR HERAUSRAGENDE KÜNSTLERISCHE LEISTUNG: Dana Bunescu für den Schnitt von "Ana, mon amour" von Calin Peter Netzer (Rumänien)

SILBERNER BÄR FÜR DAS BESTE DREHBUCH: Sebastian Lelio und Gonzalo Maza für "A Fantastic Woman" ("Una Mujer Fantastica") von Sebastian Lelio (Chile)

SILBERNER BÄR FÜR DIE BESTE DOKUMENTATION (neu): "Ghost Hunting" ("Istiyad Ashbah") von Raed Andoni (Frankreich/Palästina/Schweiz)

ALFRED-BAUER-PREIS: "Pokot" von Agnieszka Holland (Polen)

BESTER ERSTLINGSFILM: "Summer 1993" ("Estiu 1993") von Carla Simón (Spanien/Katalanien, ab 11 Jahre)

GOLDENER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM: "Kleine Stadt" ("Cidade Pequena") von Diogo Costa Amarante (Portugal)

SILBERNER BÄR FÜR DEN BESTEN KURZFILM: "Träumerei in der Prärie" ("Ensueno en la Pradera") von Esteban Arrangoiz Julien (Mexiko)

Preise der unabhängigen Jurys:

PREISE DER ÖKUMENISCHEN JURY: "Körper und Seele" ("Teströl es lelekröl") von Ildiko Enyedi (Wettbewerb); "Investigating Paradise" ("Tahqiq fel djenna") von Merzak Allouache (Panorama Dokumente); "Mama Colonel" von Dieudo Hamadi (Forum)

FIPRESCI-PREIS DES INTERNATIONALEN VERBANDES DER FILMKRITIK: "Körper und Seele" ("Teströl es lelekröl") von Ildik Enyedi (Wettbewerb); "Pendular" von Julia Murat (Panorama); "A Feeling Greater Than Love" ("Shu'our akbar min el hob") von Mary Jirmanus Saba (Forum)

PREIS DER GILDE DEUTSCHER FILMKUNSTTHEATER: "The Party" von Sally Potter

PREISE DER CICAE (Internationaler Verband der Filmkunsttheater): "Centaur" von Aktan Arym Kubat (Panorama); "Newton" von Amit V Masurkar (Forum)

AMNESTY INTERNATIONAL FILMPREIS: "Devil's Freedom" ("La libertad del diablo") von Everardo Gonzalez

LABEL EUROPA CINEMAS (Initiative zur Förderung des europäischen Films): "Insyriated" von Philippe Van Leeuw

TEDDY AWARD (Queerer Filmpreis): "A Fantastic Woman" ("Una mujer fantastica") von Sebastian Lelio (Spielfilm); "Small Talk" ("Ri Chang Dui Hua") von Hui-chen Huang (Dokumentation); "My Gay Sister" ("Min Homosyster") von Lia Hietala (Kurzfilm)

CALIGARI-FILMPREIS: "Der See die See" ("El mar la mar") von Joshua Bonnetta und J.P. Sniadecki

HEINER-CAROW-PREIS der DEFA-Stiftung: "Fünf Sterne" von Annekatrin Hendel

PANORAMA PUBLIKUMS-PREIS: "Insyriated" von Philippe Van Leeuw

GLÄSERNER BÄR (Bundeszentrale für Politische Bildung): "Butterfly Kisses" von Rafael Kapelinski (Generation 14plus); "Das fünfte Schiff" ("Piata lod'") von Iveta Grofov (Generation Kplus)

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