­Tricky Women: Illusionen und Abgründiges

Auf der Suche. Anna Vasof (l.) und Michaela Mandel  erproben Möglichkeiten des Animationsfilms.
Auf der Suche. Anna Vasof (l.) und Michaela Mandel erproben Möglichkeiten des Animationsfilms.(c) Katharina Fröschl-Roßboth
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Im internationalen Wettbewerb des Animationsfilmfestivals ­Tricky Women laufen auch zwei österreichische Beiträge: Sie zeigen, wie verschiedenartig Trickfilm sein kann.

Wenn Anna Vasof von der Arbeit an ihren Animationsfilmen erzählt, neigt sie dazu, im Plural zu reden. Das „Wir“, das ihr ab und zu herausrutscht, existiert allerdings nicht. Vasof arbeitet allein, wie es beim Animationsfilm geläufig ist. Doch es gibt Momente im Prozess ihres Schaffens, in denen sie sich nicht sehr einsam fühlt: Wenn sie eine Beziehung zu den Dingen aufbaut, die sie animieren will. Das geschehe besonders dann, wenn diese nicht spuren, etwas nicht funktioniert oder länger dauert als gedacht. Dann werde es zur Folter, sagt Vasof. Damit stimmt auch Michaela Mandel, die ebenfalls Trickfilme macht, überein; mit Augenzwinkern, denn so ernst kann man die Qual der beiden nicht nehmen. Schließlich sei Animation vor allem eines: faszinierend. „Weil jede Technik, jedes Experiment im Animationsfilm einen Platz hat“, so Mandel.

Seit Jahren machen die in Wien ansässigen Künstlerinnen Filme, die auch bereits prämiert wurden. Dieses Jahr laufen zwei ihrer Werke im internationalen Wettbewerb von Tricky Women – dem Herzstück des Animationsfilmfestivals für Frauen, das bald zum 14. Mal animierte Bilder auf Kinoleinwände bringt. Und sosehr Vasof und Mandel beim Scherz mit der Folter auf einer Wellenlänge liegen: Ihre Festivalbeiträge und divergierenden Zugänge zeigen doch exemplarisch, wie unterschiedlich Animation sein kann, gerade in Österreich.

Sein und Schein. „Trilogy of Leaving“ spielt mit der Illusion, dass die hängenden Federn flattern.
Sein und Schein. „Trilogy of Leaving“ spielt mit der Illusion, dass die hängenden Federn flattern.(c) Trilogy of Leaving/Anna Vasof

Erweiterung. Mandel, die gelernte Theaterausstatterin ist und Kunst und Kulturwissenschaften studiert hat, ist der erste Animationsfilm „einfach so passiert“, als sie während ihres Studiums in Holland experimentierte. „Dort hatte ich meine gewöhnlichen Arbeitsmaterialien nicht und musste mir etwas suchen. Ich habe einen Bauch aus einem Magazin ausgeschnitten und mir dann überlegt, dass es schön wäre, wenn er atmen könnte.“ Schnell war ein 3-D-Modell gebaut und eine Geschichte ausgedacht. Animation bedeutet für sie seitdem eine Erweiterung der Künste auf verschiedenen Ebenen. Sie ist bemüht, dass sich ihre Theaterarbeit und Filme gegenseitig befruchten, arbeitet fächer- und medienübergreifend. „Ich habe in den vergangenen Jahren auch für einen Spiel- und einen Dokumentarfilm Animationen gemacht. Das ergab sich aus der Suche nach einem Medium, das mehr erzählen kann, das Leerstellen illustriert.“ Ihr Kurzfilm „The Hungry Sisters“, der nun bei Tricky Women gezeigt wird, beruht auf einem Märchen der Brüder Grimm, das ob seiner Grausamkeit unveröffentlicht blieb: Eine Mutter will in Hungersnot ihre Töchter umbringen, um selbst zu überleben. Diese Geschichte ist der letzte Teil einer Trilogie über brutale Märchen. Solche seien nun mal weitaus spannender als Prinzessinnengeschichten, meint die Film-noir-Liebhaberin: „Sie dokumentieren menschliche Abgründe. Repräsentationen weiblicher Monstrosität haben mich immer interessiert. Als ich sie gelesen habe, wusste ich: Das ist der richtige Stoff.“

Um diesen Stoff filmisch umzusetzen, hat Mandel Bewegungen von drei Frauen nach einem konkreten Storyboard fotografiert. Nachdem sie Bild für Bild bearbeitet und ausgeschnitten hatte, setzte sie die Figuren in ein Raummodell, das sie mit denselben Perspektiven fotografierte. Eine aufwendige Vorgehensweise: „Ich habe mit Unterbrechungen vier Jahre lang gearbeitet.“ Ganz konträr dazu geht Anna Vasof an ihre Filme heran. „Mir gefällt es, schnell und ohne Storyboards zu arbeiten“, sagt die studierte Architektin und Medienkünstlerin. Für den Film „Trilogy of Leaving“, der im Festival-Wettbewerb laufen wird, hat Vasof drei Monate gebraucht. Ihre Animationen sind stets ein spielerisches Experiment mit Zeit, Bewegung und Täuschungen der Wahrnehmung. So auch der aktuelle Kurzfilm, der in drei Sequenzen Aspekte des Verlassens verhandelt: „Die Betrachter können gleichzeitig die Realität und eine Illusion sehen und zwischen den zwei Ebenen wechseln. Diese Verwirrung gefällt mir gut“, erzählt Vasof.

In der ersten Sequenz verwendet die Künstlerin etwa einen Regenschirm, auf dem sie Landschaftsbilder angebracht hat. Sie bewegt ihn und stoppt bei jedem Bild, eine Kamera filmt mit – das sieht man auch im fertigen Film: „Es ist interessant, das Medium manchmal zu reflektieren“, erklärt Vasof. Digital wurde dann die Drehgeschwindigkeit erhöht, sodass der Eindruck einer echten Reise entsteht. Vasof hat für ihre Technik, die ähnlich wie ein Daumenkino funktioniert, einen eigenen Begriff gefunden: „Non-Stop Stop-Motion“. Für den Effekt brauche sie nicht viel, nur eine Idee: „Ich spiele mit einfachen Alltagsdingen: Wie kann man diese Wirklichkeit aus einer anderen Perspektive sehen?“

Hinterlist. In „The Hungry Sisters“ will eine Frau ihre Töchter (Maresi Riegner, Mira Reisinger) töten.
Hinterlist. In „The Hungry Sisters“ will eine Frau ihre Töchter (Maresi Riegner, Mira Reisinger) töten.(c) The Hungry Sisters/Michaela Mandel

Offenes Feld. Die Verschiedenheit von Mandels und Vasofs Filmprojekten spiegelt ein wenig die allgemeine Situation des österreichischen Animationsfilms. Hiesige Trickfilmerinnen verwirklichen besonders vielfältige Projekte, was daran liegen mag, dass es keine gemeinsame Ausbildung rein für Animationsfilm gibt, die alle Filmemacher durchlaufen. Galt früher, dass aus Österreich in erster Linie künstlerischer Experimentalfilm komme, so gibt es heute ganz unterschiedliche Hintergründe. „Es ist auch niederschwelliger geworden, gibt sogar Handy-Apps, mit denen man Animationen machen kann“, beschreibt Waltraud Grausgruber, eine der beiden Leiterinnen von Tricky Women, die Situation.

„Wir leben ja in einer Welt der Bilder, Animation boomt überall, ob in der Werbung oder als Material bei Präsentationen“, so Grausgruber, die sich wundert, dass hierzulande trotzdem nicht viel Verständnis für den Trend der animierten Bilder herrscht, während in anderen Ländern Animation ein wichtiger Teil der Kultur ist —Musterbeispiel Japan, das Land, zu dessen Filmschaffen es dieses Jahr beim Festival auch einen Schwerpunkt geben wird. Das läge an den Strukturen und zu geringen Förderungen, die besonders für Frauen, die in der Filmbranche meist noch immer kleinere Budgets hätten, aber wichtig wären. Diesen Frauen will Tricky Women eine Plattform sein und neuen Trends und Strömungen des weiblichen Animationsfilmschaffens nachspüren. Und dabei zeige sich dennoch, so Grausgruber: „Es brodelt“, auch in Österreich. Die Branche ist im ständigen Wandel begriffen, viele neue Filme entstehen.

Auch Mandel und Vasof überlegen bereits, welche neuen Experimente sie wagen könnten. „Ich versuche, Non-Stop Stop-Motion auch in eine Live-Form zu bringen, will Performances oder Installationen machen“, meint Vasof, die keiner Kunstrichtung den Vorzug geben will. Als reine Animationsfilmerin betrachtet sie sich ebenso wenig wie Mandel, die gerade eine Dokumentation plant.Daneben sammelt Mandel schon Ideen für weitere Trickfilme: „Vielleicht werde ich mit Found Footage arbeiten oder mit Malerei. Animation ist ein offenes Feld.“

Tipp

Tricky Women. Internationales Festival für Animationsfilm von Frauen, 15. bis 19. März in Wien, u. a. Metro Kinokulturhaus. trickywomen.at

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