Sieben Minuten nach Mitternacht

Ein Monster als Trauerbegleiter

Ein Baummonster (Stimme und Bewegung: Liam Neeson) soll dem 12-jährigen Conor (Lewis MacDougall) durch die schwere Kindheit helfen.
Ein Baummonster (Stimme und Bewegung: Liam Neeson) soll dem 12-jährigen Conor (Lewis MacDougall) durch die schwere Kindheit helfen. (c) Studiocanal
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Das düstere Coming-of-Age-Drama „Sieben Minuten nach Mitternacht“ steckt voller zauberhafter visueller Effekte. Schade, dass sie nur pseudo-therapeutischen Zwecken dienen.

Es kracht bedrohlich, wenn sich die große Eibe auf dem Hügel hinter Conors Haus mit Leben füllt. Erst wölbt sich der Boden, aus dem sie ihre Wurzeln reißt, dann entfalten sich aus dem massiven Stamm Arme und Beine. Ein in seinem Inneren glühendes Astgeflecht hievt sich hoch, krümmt sich, wirft seine grüne Krone ab und blickt mit grimmig funkelnden Augen in die Nacht. Schwerfällig stampft der hölzerne Riese über die Wiese und baut sich vor dem alten Haus auf, durchbricht mit seiner gigantischen Hand Conors Fenster und greift nach ihm. Was seine Erscheinung und seine Umgangsformen nicht gleich vermuten lassen: Das Monster kommt in Frieden. Und für den zwölfjährigen Conor wie gerufen.

Es ist ein beeindruckendes Spektakel, wenn das Baummonster mit der Stimme und der via Motion Capture eingefangenen Körpersprache von Liam Neeson im neuen Fantasy-Drama „Sieben Minuten nach Mitternacht“ durchs Bild poltert. Für das Drehbuch überarbeitete Autor Patrick Ness seinen gleichnamigen Jugendroman (im Original: „A Monster Calls“), der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona (bekannt durch den Tsunami-Survivalthriller „The Impossible“) inszenierte die Geschichte, die nicht nur von einer fantastischen Begegnung, sondern vor allem von kindlicher Trauer erzählt und dem schwierigen Prozess, mit Schicksalsschlägen fertig zu werden.

Mit Widrigkeiten wird dabei nicht gespart: Der einsame, künstlerisch begabte Conor (überzeugend: Lewis MacDougall) leidet an allem, was eine Kindheit in der Vorstellung von Buch- und Drehbuchautoren wohl unerträglich machen kann. Seine Mutter (Felicity Jones) ist todkrank, der Vater lebt mit neuer Familie in Übersee, die Großmutter (Sigourney Weaver), bei der Conor wohnen muss, ist eine schroffe Dame, in deren Haus man nichts angreifen darf. In der Schule ist er unsichtbar für alle bis auf ein paar Burschen, die ihn täglich nach Unterrichtsschluss verprügeln. Und dann wird er auch noch von nächtlichen Albträumen heimgesucht, in denen seine schwache Mutter über einem Abhang baumelt – und Conor sie nicht mehr lange festhalten kann.

Märchen können auch böse ausgehen

Was bleibt ihm also, als in der Welt der Fantasie nach Rettung zu suchen? Das Baummonster, das pünktlich um sieben nach zwölf erscheint, wird ihm zum Trauerbegleiter und zum Ventil für seine aufgestauten Aggressionen. Es erzählt Conor Märchen, die seine Vorstellung von einer heilen Welt auf den Kopf stellen: Da wird ein edler Prinz zum Mörder und trotzdem geliebt, und die böse Hexe, die eigentlich doch gut ist, wird vertrieben. Da würde ein Priester alles tun, um seine geliebten Töchter zu retten, und verliert sie dennoch. Dass Geschichten nicht immer gut ausgehen und es nicht immer gerecht zugeht im Leben, ist für Conor schwer zu verdauen – aber es ist eine notwendige Lektion für einen, der gezwungen ist, früher erwachsen zu werden, als ihm lieb ist.

Der Film ist visuell stark: Vor allem die Märchenszenen sind lebendig gewordene Aquarell-Kunstwerke, verträumt und bedrohlich – und ein stimmiger Kontrast zur düsteren englischen Kleinstadtkulisse. Allzu schade, dass hier Fantasy nicht einfach Fantasy sein darf. Jede wundersame Begebenheit dient pseudo-therapeutischen Zwecken, der Plot ist überfrachtet mit banaler Symbolik und Küchenpsychologie: Erst wenn Conor dem Monster seine eigene Geschichte erzählt – also seine Gefühle und Ängste ausspricht – wird er der Zukunft ins Auge schauen können . . .

Eine schlüssige Zusammenführung von Conors Fantasy-Erlebnissen und der tristen Realität bleibt der Film letztlich schuldig. Stattdessen verliert er sich in manipulativen Botschaften und Redundanz: Immer wieder schreit Conor das Baummonster bis zur Heiserkeit an, es solle doch einfach seiner Mutter helfen, immer wieder weist es diese Bitte mit donnernder Stimme ab. Das ist dramatisch, das ist toll animiert: Dem armen Buben hätte man aber besser einen richtigen Therapeuten gegönnt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.05.2017)

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