Kino: „Begehren ist nicht kontrollierbar“

Bruce LaBruce bricht als Regisseur, Autor und Fotograf kulturelle Normen. Seinen neuesten Film „The Misandrists“ zeigt er jetzt in Wien.
Bruce LaBruce bricht als Regisseur, Autor und Fotograf kulturelle Normen. Seinen neuesten Film „The Misandrists“ zeigt er jetzt in Wien.(c) imago stock&people (imago stock&people)
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Der kanadische Filmemacher Bruce LaBruce kreuzt Warhol mit Trash-Ästhetik und stößt Rechts und Links vor den Kopf. „Die Presse“ traf den Provokateur zum Gespräch.

Die Presse: Wie oft waren Sie schon in Wien?

Bruce LaBruce: Bestimmt ein halbes Dutzend Mal. Erstmals als Student, im Zuge einer Rucksacktour durch Europa. Ich war ein ziemlich klassischer Wien-Tourist, habe mir die Secession und das Kunsthistorische Museum angesehen. Erst gestern war ich wieder im KHM, dort gibt es immer etwas Neues zu entdecken. Einer meiner Lieblingsfilme ist übrigens „Bad Timing“ von Nicolas Roeg, der in Wien spielt – irgendwann werde ich alle seine Drehorte abklappern!

Gibt es hier etwas, was Ihrem europäischen Hauptquartier Berlin fehlt?

Ein wesentlicher Unterschied ist im Verschwinden begriffen, und zwar die hiesige Raucherlaubnis in Lokalen. Was mir immer an Wien gefiel, ist die Fin-de-Siècle-Atmosphäre, die Kaffeehauskultur, von der die Möglichkeit zu Rauchen immer ein großer Teil war. Und ich sage das als Nichtraucher.

In Ihrem jüngsten Langfilm „The Misandrists“ geht es um radikale lesbische Feministinnen, die den schlimmsten anti-feministischen Klischees entsprechen: Sie wollen wirklich alle Männer töten.

Es ist der Versuch einer Kritik postfeministischer Ideen. Etwa jener, dass Gleichheit bedeutet, in patriarchalen Institutionen neben Männern bestehen zu können – also genauso skrupellos sein zu dürfen wie sie. Das ist für mich der falsche Ansatz.


Ihre Filme bekunden Sympathie für radikale Gedanken, zeugen aber von einer starken Aversion gegen jede Art von Dogmatismus. Waren Sie irgendwann selbst Dogmatiker?

Ja – als Student waren meine wichtigsten Mentoren unerschütterliche Marxisten, und ich habe nach wie vor großen Respekt vor ihnen. Aber ihre Ideen waren auch etwas naiv und politisch korrekt, vor allem in Bezug auf Sexualität. Zum Glück hatte ich Freunde, die mir relativ bald klar machten, dass man Begehren nicht kontrollieren kann.

Sie hielten kürzlich einen Workshop in Wien, an der Friedl-Kubelka-Schule für unabhängigen Film. Sehen Sie sich als „unabhängigen“ Filmemacher?

Unabhängiger als die meisten, denke ich. Das US-Indie-Kino ist ja heute nur noch Hollywood im Kleinformat.


Ihr letzter Film „Gerontophilia“ wurde von der kanadischen Filmförderung subventioniert.

Stimmt, aber meine neuesten Arbeiten sind wieder stärker eigenfinanziert. Ich versuche, dem medial erwünschten Narrativ, dass sich auch die Radikalen im Alter anpassen, entgegenzuwirken. Was nicht heißt, dass ich mich der Filmförderung komplett versperre.


Mussten Sie bei „Gerontophilia“ viele Kompromisse eingehen?

Wenn das Budget steigt, steigt auch das Risiko. Man muss mehr auf Geldgeber und Verleiher hören, natürlich hat das Einfluss auf den Film. Aber das war mir schon immer bewusst. Ich hatte bei „Gerontophilia“ die dezidierte Absicht, ein größeres Publikum zu erreichen – ohne die Bissigkeit der Prämisse zu reduzieren. Anfangs wurde ich gebeten, den Fetischismus-Aspekt runterzuschrauben. Es sollte eine einfache Liebesgeschichte zwischen einem jungen und einem alten Mann werden, aber ich konnte mich durchsetzen. Für viele war es dennoch schockierend, dass der Film nicht so schockierend war wie meine früheren Arbeiten.


2011 haben Sie im Berliner Theater Hebbel am Ufer Schönbergs „Pierrot Lunaire“ inszeniert. Sind Sie ein Klassik-Fan?

Es ist mir etwas peinlich, aber nein. „Pierrot Lunaire“ war ein Auftragswerk. Doch was mich an Schönberg interessierte, war sein Bestreben, die musikalische Hochkultur für populäre Formen des Theaters zu öffnen. Etwa Grand Guignol, dessen Brutalität nach wie vor verblüfft.

Sie sind berüchtigt für Ihre Ablehnung der Schwulenehe. Was stört Sie daran?

Ich bin selbst seit zehn Jahren verheiratet. Der Grund für die Ehe war aber, meinem kubanischen Mann dabei zu helfen, eine kanadische Staatsbürgerschaft zu bekommen. Die Schwulenehe wird Konsequenzen haben, die ihre Befürworter nicht intendieren. Es ist nicht viel anders als beim Feminismus: Sobald man sich als Minderheit in das System integriert, das einen diskriminiert, läuft man Gefahr, selbst zum Unterdrücker zu werden.

Aber gehört nicht zu jedem Freiheitsanspruch das Bedürfnis, genauso langweilig sein zu dürfen wie alle anderen?

Das stimmt natürlich. Aber ich gehöre zu einer Generation, für die der Bruch mit sozialen und sexuellen Konventionen enorm wichtig war und immer noch ist. Manche finden das antiquiert, sogar schädlich für die Bewegung. Geschichte wird bekanntlich von den Siegern geschrieben – wenn dieses Lager triumphiert, bin ich redundant.

FILMFESTIVAL

„/slash einhalb“. Das „Festival des fantastischen Films“, ausgerichtet vom ehemaligen „Presse“-Filmkritiker Markus Keuschnigg, geht von 4. bis 6. Mai in seine Frühlingsausgabe, die in Kooperation mit dem Linzer „Crossing Europe“ ausgerichtet wird. Neben der Premiere der Gangster-Serie „4 Blocks“ von Marvin Kren werden im Filmcasino einige europäische Filme gezeigt, darunter der schwarzhumorige spanische Thriller „El Bar“ und die rotzige Komödie „The Misandrists“ von Bruce LaBruce: Der 53-jährige Kanadier ist einer der wichtigsten Regisseure des unabhängigen queeren Kinos. Mit seinen Filmen verwischt er die Grenzen zwischen Kunst und Pornografie.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.05.2017)

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