Der ehrliche Poet des deutschen Kinos

Der deutsche Dokumentarfilmer Peter Nestler feiert im Juni seinen 80. Geburtstag. Das Filmarchiv widmet ihm bis 28. Mai eine umfassende Retrospektive.

Manche nannten Peter Nestler spröde in seiner strengen dokumentarischen Ethik – er hielt sich immer unspektakulär an Fakten –, andere fanden ihn zu aufrührerisch, woran vor allem sein Film „Von Griechenland“ (1965) Schuld trägt: In ihm skizziert Nestler die Geschichte Griechenlands als Kampf gegen den Faschismus und konfrontiert die Vergangenheit mit der Gegenwart der Sechziger.

Auch die deutsche Schuldfrage spielt dabei wie oft in seinem Werk eine entscheidende Rolle. Obwohl Nestler, geboren 1937 in Freiburg im Breisgau, im Jahr 1968 bereits in Schweden lebte – er war mit 29 Jahren aufgrund der verheerenden Auftragslage aus Deutschland in das Land seiner Mutter emigriert –, ist er ein Kind jener Generation, die nicht damit einverstanden war, mit welcher Selbstverständlichkeit nationalsozialistisches Gedankengut weiter existieren durfte.

Schwaben, Südamerika, Ungarn

Mit dieser Haltung hat sich Nestler Menschen, Orten und Arbeitsvorgängen angenähert. Sei es im tiefsten Schwaben wie in seinem grandiosen „Ödenwaldstetten“, in Südamerika, Spanien oder Ungarn, dem Herkunftsland seiner Mitarbeiterin und Gattin Zsóka.

Der Grund für Nestlers relative Unbekanntheit ist wohl schlicht, dass sich sein Kino schwer verkaufen lässt. Bei ihm müssen Zuseher mitarbeiten. Das Sichtbare und der Kommentar der Erzählstimme stehen selten in einem direkten Verhältnis. Aber wenn man sich darauf einlässt, kann man eine Poesie entdecken, die nicht aufgesetzt ist, sondern aus einer ehrlichen Wahrnehmung der Welt erwächst und zum Kern gesellschaftlicher Dynamiken vordringt.

Nestler verschwindet fast hinter seiner Kamera: Den Menschen, die er filmt, begegnet er auf Augenhöhe, sie dürfen sich im Drehprozess einbringen. Diese Zurückhaltung hat nichts mit Resignation zu tun, sie ist gefüllt mit Leidenschaft. Sein Schaffen ist von einer immensen Notwendigkeit beseelt. Das zeigt sich schon darin, dass Nestler immer einem Brotjob nachgehen musste. Die Auswahl des Filmarchivs enthält – mit wenigen Ausnahmen, etwa „Die Donau rauf“ – die zentralen Werke seines Werks und bietet einen inspirierenden Einblick in das Schaffen eines Mannes, der an die Welt und ihre Menschen glaubt. Er wird bei einzelnen Vorführungen anwesend sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.05.2017)

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