Filmmuseum: Der Keim von Japans Kinoaufstand

(C) Ōshima Nagisa
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Das Filmstudio Shōchiku ließ in den 1960ern Jungregisseure ans Werk: wegweisend, wie man in Wien sehen kann.

Dass das französische Kino in den Sechzigern von einer „Nouvelle Vague“ erfasst wurde, ist hinlänglich bekannt. Dass sich zur selben Zeit auch in Japan ein Laufbildersturm zusammenbraute, weniger. Heute werden seine zentralen Akteure unter einem Begriff versammelt, der dem französischen ähnlich klingt: Nuberu Bagu. Dabei handelte es sich um ein völlig eigenständiges Phänomen – mit nationalspezifischen Beweggründen, Entwicklungslinien und Bezugspunkten.

Im Unterschied zu Frankreich war die „Neue Welle“ Japans eine Revolution von innen. Der Siegeszug des Fernsehens hatte der Kinoindustrie schwere Schläge verpasst, Studios suchten unverbrauchte Leinwandattraktionen – und fanden sie in Filmen über die Sorgen, Probleme und Begierden der Jugend. Das vorwiegend auf gediegene Melodramen abonnierte Produktionshaus Shōchiku folgte dem Trend spät, aber konsequent: Es ließ eine Reihe begabter Azubis unter dreißig frühzeitig ans Regiesteuer.

Keine Manieren, kein Respekt

Deren Studio-Arbeiten waren ungestüm, düster und politisch, beseelt vom turbulenten Klima jener Zeit und auf Konfrontationskurs mit überkommenen Werten. Im Fokus stehen oft junge Menschen im Abseits der Wirtschaftswunderwelt: schlechte Manieren, kein Respekt, No Future. Sie hören Musik mit dem ganzen Körper, streifen wie Wölfe herum und wissen nicht, wohin mit ihrer Leidenschaft.

„Nackte Jugend“: So heißt ein wegweisendes Frühwerk von Nagisa Oshima. Es folgt dem Todestaumel eines Liebespaars im Schatten der studentischen Protestbewegung. Sein nächster Film legt die Latte höher: „Das Grab der Sonne“, ein Albtraum in schillerndem Cinemascope, macht den Slum von Osaka zum Symbol einer kaputten Nation. Im Vergleich zu Oshimas wütenden Attacken auf die herrschende Ordnung erscheint der Stil seines Kollegen Yoshishige Yoshida kühl und reserviert – aber nicht weniger kritisch. Irgendwann lösten sich die Revoluzzer vom System und gründeten eigene Firmen. Die Filmmuseums-Retro „Shōchiku New Wave“ zeigt anhand einer Auswahl von Arbeiten aus dem Jahr 1960, wie alles begann. Zu sehen sind auch Klassiker von Yasujir Ozu und Keisuke Kinoshita: Als Shōchiku-Altvordere und Qualitätskinogranden waren sie erklärte Feindbilder der jungen Wilden. Dennoch stehen die beiden Regiegenerationen in einem dialektischen Verhältnis zueinander – manchmal wirken ihre Zugänge wie zwei Seiten derselben Medaille.


Shōchiku New Wave: Noch bis 19. Juni.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.06.2017)

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