Kino: Catherine Deneuve als todkranke Lebefrau

Michael Crotto / Thimfilm
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Im Film „Ein Kuss von Beatrice“ begegnet eine gealterte Hedonistin der Tochter ihres Ex-Geliebten, einer Hebamme: Ein zuversichtliches Kammerspiel über die Annäherung zweier gegensätzlicher Frauen, ein Plädoyer fürs schlichte Leben.

Müsste man eine Königin des französischen Kinos küren, den meisten Menschen würde vermutlich Catherine Deneuve einfallen. In ihrer Generation, ja in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert, hat keine Schauspielerin eine so – ja, majestätische Wirkung entfaltet wie sie. Symbolträchtig wurde nach ihrem Gesicht in den 1980er-Jahren die Büste der französischen Nationalfigur Marianne neu gefertigt.

Da hatte die Deneuve bereits viele ihrer bedeutendsten Rollen gespielt: in Louis Buñuels „Tristana“ und „Belle de Jour“ etwa oder in Polanskis Thriller „Ekel“. Auch jene Rolle, auf die sie in ihrem Leben so stolz war wie auf keine andere – in François Truffauts bis heute tief bewegendem Drama „Die letzte Metro“ (1980). Darin spielt Deneuve neben Gérard Depardieu die Frau eines deutschen Juden (Heinz Bennent) im von den Nazis besetzten Paris. Andere Auftritte waren ihr im Nachhinein eher genant und sind auch zu Recht fast vergessen. Zum Beispiel, dass sie in Terence Youngs Kommerzfilm „Mayerling“ an der Seite von Omar Sharif als Rudolf die Mary Vetsera spielte . . .

Auch wenn ihre Gesichtszüge merklich starrer und maskenhaft wirken: Ihre raumfüllende Präsenz auf der Leinwand hat die mittlerweile 73-Jährige bis heute nicht verloren, das zeigt der Film „Ein Kuss für Béatrice“. Deneuve spielt darin eine gealterte Lebefrau, bei der vor Kurzem ein Gehirntumor diagnostiziert wurde. Im Wunsch, einen einstigen Geliebten wiederzusehen, den sie einst verlassen hat, kontaktiert sie dessen Tochter Claire (fabelhaft: Catherine Frot) – nur um zu erfahren, dass der Gesuchte sich kurz nach ihrer Trennung umgebracht hat.

Die eine lebt, die andere verhilft dazu

Statt der erhofften Begegnung aber entwickelt sich unvermutet eine ganz andere, nämlich zwischen den zwei so gegensätzlich erscheinenden Frauen Beatrice und Claire. Hier die laute, extrovertierte Beatrice, die vom Leben stets in übervollen Zügen genossen und auch von sich stets alles gegeben hat; eine, die raucht, trinkt und (zumindest noch beim Kartenspiel) viel riskiert. Da die zurückhaltende, vorsichtige und verantwortungsvolle Claire, deren Leben mehr darauf abzuzielen scheint, Leben zu ermöglichen als selbst zu leben. Claire ist Hebamme – und eine beeindruckend gute, wie der Film gleich in den ersten Sequenzen vorführt. Man erlebt sie, wie sie seelenruhig eine panische Mutter beruhigt und mit ein paar sicheren Griffen die Nabelschnur löst, die sich während der Geburt um den Hals des Babys gelegt hat. Oder wie sie eine verzweifelte junge Frau, die sich nicht untersuchen lassen will, dazu bringt, ihr zu vertrauen.

Diese Arbeit ist kein Nebenschauplatz, sondern ein, ja das Leitmotiv des Films, der im Original „Sage femme“ heißt – das französische Wort für Hebamme. Immer wieder erlebt der Zuseher, wie ein Baby schleimbedeckt zur Welt kommt. „Sie erscheinen einfach so, wie aus dem Nirgendwo“, sagt Claire zur schwangeren Freundin ihres studierenden Sohnes. Ob sie dabei Angst habe?, fragt diese sie, worauf Claire erwidert, nein: „Das darf ich nicht.“

Die Körperlichkeit ist in „Ein Kuss von Beatrice“ rätselhaft, furchterregend und tröstlich zugleich. „Ein Körper weiß genau, was er will, der Geist ist das Problem“, sagt Claire einmal, als sie vom Geburtsvorgang erzählt. Und so sind es auch gemeinsame elementare Lebenserfahrungen, die diese zwei Frauen – die kinderlose Beatrice und die mit ihrer leiblichen Mutter hadernde Claire – trotz ihrer Unterschiede zusammenführen. Claire wird ihren Job aufgeben, weil ihre Klinik, wie sie sagt, in eine riesige „Geburtsfabrik“ umgewandelt wird, und sie macht sich Sorgen um ihren Sohn, der sein Studium aufgibt; Beatrice weiß, dass sie bald sterben wird, ihr Blick (das vielleicht Eindringlichste an Deneuves Darstellung) zeigt die unausgesprochene Angst. Angst vor der Einsamkeit verbindet sie beide – und ein tief sitzendes Gefühl, als Kind nicht gewollt gewesen zu sein.

Die Konzentration auf Frauenfiguren ist typisch für das Werk des Regisseurs Martin Provost, der unter anderem für den Film „Séraphine“ über die autodidaktische Malerin Séraphine de Senlis gedreht hat. „Ein Kuss von Beatrice“ ist ein zuversichtliches und dabei ganz kitschfreies Kammerspiel, in dem zwei Frauen ihren Frieden miteinander und mit sich selbst machen.

Seelenruhe, bei Mann und Garten

Dabei hilft Claire auch die neue Beziehung zu ihrem Gartennachbarn, dem Lkw-Fahrer Paul. Auch wenn dessen unerschütterliche heitere Seelenruhe ein plakatives Gegenbild zu den Gemütswirren der zwei Frauen liefert, berührt sie. Paul und Claires Garten – sie verkörpern am ehesten das wortlose Plädoyer dieses Films, das auch in den fließenden Bildern, dem am Ende sanft untergehenden Boot im Teich zum Ausdruck kommt. Eine Einladung, sich schlicht dem Leben anzuvertrauen. Und was soll dabei der deutsche Titel „Ein Kuss von Beatrice“? Das hat mit Claires Vater zu tun. Keine Frau, die er kannte, habe geküsst wie Beatrice, sagte er einmal – nur sie konnte, meinte er, mit einem Kuss „alles“ geben.

So wie die Deneuve einst mit ihrem Spiel – und in einzelnen Momenten: heute noch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2017)

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