Die Verfilmung von „Angerichtet“: "Lauter Affen mit Handys"

Dinner mit erwartbaren Abgründen für zwei Brüder (Steve Coogan, Richard Gere) und Partnerinnen.
Dinner mit erwartbaren Abgründen für zwei Brüder (Steve Coogan, Richard Gere) und Partnerinnen.(c) Tobis
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Oren Moverman hat Herman Kochs Bestseller "Angerichtet" verfilmt. Das bitterböse Drama demontiert bürgerliche Scheinmoral, ächzt aber unter einem Übermaß an Themen.

Jedes Dinner ist eine dramaturgische Steilvorlage. Die Einheiten von Zeit, Ort, Handlung sind vorgegeben. Der Wechsel der Menügänge bietet eingebaute Wendepunkte. Und oft birgt die Figurenkonstellation erhebliches Konfliktpotenzial. Da sitzen Menschen am selben Tisch, die einander zu kennen meinen. Aber tun sie das wirklich? Welche Geheimnisse lauern hinter den Fassaden? War die Einladung, sich zu treffen, eine Freundschaftsgeste – oder heimtückische List? Schon die antike Mythologie schürte die Dinner-Paranoia: Als der mykenische König Atreus von einer Liebschaft zwischen seiner Frau und seinem Bruder erfuhr, lud er Letzteren zum Festmahl – und setzte ihm dessen Söhne vor. Diese unappetitliche Rachegeschichte wiederholt sich leicht abgewandelt in Shakespeares Frühwerk „Titus Andronicus“ – und in einer berüchtigten Folge der Zeichentricksatire „South Park“.

Aber so weit muss es gar nicht kommen, damit ein Dinner zum Albtraum mutiert. Wie Thomas Vinterbergs Durchbruchsfilm „Das Fest“ zeigt, reicht schon ein Familienmitglied, das (abseits der Küche) ein Hühnchen mit seinen Verwandten zu rupfen hat – und den jahrelang verschwiegenen Kindesmissbrauch des Patriarchen beim Namen nennt. Oder zwei Stiefbrüder, die sich nicht ausstehen können und ein groteskes Ego-Duell vom Zaun brechen, wie in der Comedy-Perle „Step Brothers“. Dass ein Dinner in einem Film völlig reibungslos verläuft, ist eher die Ausnahme als die Regel. Und wenn man die Soiree aus unerfindlichen Gründen nicht mehr verlassen kann, wie in Luis Buñuels surrealistischem Klassiker „Der Würgeengel“, bleibt sowieso kein Stein auf dem anderen.

Vielleicht hat sich der holländische Autor Herman Koch für seinen Bestseller „Angerichtet“ ja von diesen Katastrophenbanketts inspirieren lassen. Die Fallhöhe seiner Eskalationsdramaturgie ist allerdings kleiner: Im Argen liegen die Dinge schon von Anfang an. Kochs Buch wurde in Europa bereits zweimal verfilmt. Nun hat sich der israelisch-amerikanische Regisseur Oren Moverman daran versucht und den Stoff nach Amerika verlegt. Im Zentrum steht ein Brüderpaar. Steve Coogan gibt den verkorksten Geschichtelehrer Paul – eine ungewohnt düstere Rolle für den britischen Komiker. Richard Gere den Kongressabgeordneten Stan. Die beiden meiden sich sonst wie Öl und Wasser. Doch ein schreckliches Ereignis im Zusammenhang mit ihren Söhnen zwingt sie zur Aussprache. Also treffen sie sich in einem Nobelrestaurant, mit Ehepartnern (Laura Linney, Rebecca Hall) im Schlepptau. Dass sich im Verlauf des Abends Abgründe auftun, versteht sich von selbst.

Koch verstand sein Buch in erster Linie als sardonische Demontage bürgerlicher Scheinmoral. Moverman will mehr erzählen und bürdet sich (viel zu) große Themen auf: Die Verkommenheit der Nationalseele, Rassismus und soziale Ungleichheit, die Vernachlässigung psychisch Kranker. Sein Film franst darob unweigerlich aus, wechselt wiederholt den Tonfall und ergeht sich in Rückblenden und bizarren Stilschnörkeln – etwa einem Fiebertraum über die Schlacht von Gettysburg. Wirklich aufgehen tut das alles nicht. Aber immerhin wagt hier jemand etwas, formal wie narrativ. Und dringt dabei in finstere Gefilde vor. Als Rettungsanker für den Zuschauer fungiert Stan – kein Saubermann, aber trotzdem das gute Gewissen des Films. Doch Paul ist fraglos die interessantere Figur, ein unzuverlässiger Erzähler und vom Leben gezeichneter Zyniker im ständigen Zwist mit sich selbst, von Coogan mit Gusto gespielt. Ihm gehört das bitterböse Schlussurteil in Sachen Menschheit: „Lauter Affen mit Handys!“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.06.2017)

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