„Die Verführten“: Geschlechterkrieg mit Platzpatronen

Die forsche Martha Farnsworth (Nicole Kidman) soll ihre Schützlinge zu braven Damen erziehen – mitten im Krieg.
Die forsche Martha Farnsworth (Nicole Kidman) soll ihre Schützlinge zu braven Damen erziehen – mitten im Krieg.(c) Universal Pictures
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Ein Yankee auf der Flucht versetzt ein Mädcheninternat in Aufruhr: In Cannes wurde „Die Verführten“, Sofia Coppolas Remake eines Clint-Eastwood-Films, mit dem Regiepreis ausgezeichnet. Warum, lässt sich schwer nachvollziehen.

Ungebetene Gäste gehören zu den dankbarsten Archetypen des Kinos. Fremde, Eindringlinge, Störenfriede, Findelkinder, Bittsteller und Aliens – sie alle eignen sich hervorragend als Spannungsmotoren und dramaturgische Reibungsflächen, an denen sich Konflikte entzünden und Krisensituationen zuspitzen lassen. Im Beisein eines Außenseiters zeichnen sich die Konturen eines sozialen Gefüges besonders deutlich ab. Man merkt, was die Gemeinschaft im Innersten zusammenhält, wie ihre Grenzen verlaufen und wo diese durchlässig sind. Wie ihre Mitglieder ticken und was sie zum Austicken bringt. Welche Begierden sie hegen – und welche sie verdrängen.

Ein Musterexemplar des losen Genres, in dem unerwartete Besucher bestehende Ordnungen erschüttern, ist Pier Paolo Pasolinis surreale Parabel „Teorema“ (1968). Das Leben einer bourgeoisen Familie wird darin von einem mysteriösen Mann und seinem sexuellen Befreiungsprogramm unwiderruflich auf den Kopf gestellt. 2001 drehte der japanische Vielfilmer Takashi Miike mit „Visitor Q“ ein indirektes Remake des Italo-Klassikers, wobei er dessen erhabenen 35-mm-Look gegen digitale Ramschästhetik und die Suche nach Transzendenz gegen die Auslotung von Perversionen tauschte. Die Wendung des Motivs ins Düster-Groteske scheint sich nachgerade anzubieten: In François Ozons Langfilmdebüt „Sitcom“ ist es die Anwesenheit einer weißen Ratte, die einen angeknacksten Haushalt zusammenbrechen lässt, und Adam Wingards toller Indie-Horrorthriller „The Guest“ macht einen Afghanistan-Veteranen zum Extremtherapeuten einer Vorstadt-Sippschaft.

Colin Farrell als Soldat

Auch Don Siegels unterschätztes Psychodrama „The Beguiled“ (1971) kann dieser Kinogattung zugeordnet werden: Während des Sezessionskriegs kommt ein schwer verwundeter Yankee (Clint Eastwood) in einem abgeschiedenen Mädcheninternat im Süden unter. Anstatt ihn an die Konföderierten auszuliefern, lassen ihm die Frauen Schutz und Schonung angedeihen – getrieben von verleugnetem Begehren. Aus Angst (aber auch, um auf Nummer sicher zu gehen) macht der Soldat jeder von ihnen schöne Augen. Und natürlich fällt das nach einiger Zeit mit voller Wucht auf ihn zurück.

Siegels Werk ist roh und ungezügelt, angereichert mit feuchten Traumsequenzen und intensiven Suspense-Momenten. Es stellt die Drangsal des Mannes in den Vordergrund: Eastwoods nuancierte Performance war ein bewusster Unterwanderungsversuch seines knochenharten Revolverheldenimages (womöglich ein Grund für den damaligen Flop des Films an den Kinokassen). Doch seine Figur wird keineswegs zum unschuldigen Opfer stilisiert. Vielmehr erscheinen alle Beteiligten als Leidtragende eines unmenschlichen Ausnahmezustands – Regisseur und Star verstanden „The Beguiled“ nicht zuletzt als Statement gegen den Vietnam-Krieg.

Bei den diesjährigen Filmfestspielen in Cannes präsentierte Sofia Coppola („Lost in Translation“) eine Neufassung des Stoffs, der im Übrigen selbst auf einem Buch basiert – und heimste damit prompt den prestigeträchtigen Regiepreis des Festivals ein. Warum, ist auch zum Kinostart in Österreich nicht ganz ersichtlich: Coppolas blutleere Arthaus-Version der „Verführten“ (so der deutsche Verleihtitel) kann dem Material nichts Neues abgewinnen.

Diesmal ist es Colin Farrell, der als Corporal John McBurney von einem pilzsammelnden Mädchen aufgelesen und vor die Tore eines überwucherten Anwesens gebracht wird, wo sie und ihre Freundinnen von der forschen Martha Farnsworth (Nicole Kidman) und ihrer scheuen Gehilfin Edwina (Kirsten Dunst) zu braven Damen erzogen werden – mitten im Krieg.

Die Eskalation lässt auf sich warten

Schnell lernt McBurney seine erotische Ausstrahlung zu nutzen, selbst die jugendliche Alicia (Elle Fanning) macht sich an ihn heran. Doch sein siebter Himmel trübt sich erheblich, als das Spiel mit den Herzen auffliegt. Die Handlung ist also großteils ident mit der Vorlage. Allerdings erlaubt sich Coppola ein paar wesentliche Änderungen. Es fehlen etwa die (streitbaren) inneren Monologe, die in Siegels Film das Innenleben der Protagonistinnen offenbarten. Überdies die Nebenfigur einer widerständigen afroamerikanischen Sklavin. Und nicht zu vergessen: alles, was das Original spannend machte.

„Die Verführten“ will ein subtiler Thriller sein, doch am Ende ist er einfach nur subtil. Statt rabiater Leidenschaften setzt es gedämpfte Ambivalenzen – sein Geschlechterkrieg wird weitgehend mit Platzpatronen geführt. Das hat zur Folge, dass die Machtverhältnisse nicht mehr so eindeutig sind: Wer hier wen unter Kontrolle hat, muss in jeder Szene neu verhandelt werden. Die Frauen wirken so ein Stück weit weniger wie Spielbälle ihrer Gefühle, die den Schlichen eines Homme fatal erliegen. Aber gleichzeitig nimmt die schaumgebremste Stimmung dem Geschehen jeglichen Drall. Eine große Eskalation wird in Aussicht gestellt, kommt aber nie zum Tragen – und irgendwann ist der Film einfach aus. Am besten funktioniert er noch als ästhetisches Objekt, passabel gespielt (vor allem Kirsten Dunst bleibt in Erinnerung) und exquisit ausgeleuchtet (Philippe Le Sourd verwandelt die Flora von New Orleans in eine nebelverhangene Märchendomäne).

Sonst ist an dieser unnötigen Neuauflage leider kaum etwas verführerisch.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2017)

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