„Das Vaterspiel“: Absolute Antithese zum NS-Kino

Michael Glawoggers „Das Vaterspiel“ nach Josef Haslingers Roman verblüfft durch raffinierte Bildsprache – und die Musik von Olga Neuwirth.

Am Anfang ein Anruf aus New York, der die Geschichten verknüpfen wird. „Natürlich, wie könnt ich dich vergessen?“, meint der junge Mann mit dem Spitznamen Ratz (Helmut Köpping): „Deine Stimme klingt noch immer wie aus dem Fernsehen.“ Tatsächlich wird die Figur am anderen Ende der Leitung den ganzen Film über unwirklich bleiben: Mimi (Sabine Timoteo), frühere Studienfreundin von Ratz, leidet an einer seltenen Erkrankung und hat kein einziges Haar am Körper – in einer Nacktszene wirkt sie fast wie eine Schaufensterpuppe. Ihre Auftritte sind ein wiederkehrendes Irritationsmoment: Immer wieder mit neuer Perücke, als würde ein Formwandler durch den Film geistern.

Auch Das Vaterspiel, Michael Glawoggers kühne und selektive Adaption des gleichnamigen Romans von Josef Haslinger, ist eine Art Formwandler: Seine Erzählstränge sind zwar bis in die Detailmotive kompliziert vernetzt, aber die Themen- und Handlungsblöcke sind so gegeneinander montiert, dass die Risse in der Konstruktion hervorgehoben werden, nicht die Verbindungen. Wie ein Puzzle, bei dem sich herausstellt, dass manche Teile nicht (ganz) passen.

Das moderne Konstruktionsprinzip wird von Olga Neuwirths außergewöhnlicher Komposition zum Film betont: ehrfurchtgebietende, dissonante Neutönergebilde, deren Einsatz radikal mit gemütlichen Begleitmusiknormen bricht – weniger eine Musik zum Film als Klänge, die neben den Bildern ein Eigenleben führen.

Eine Inhaltsangabe auf dem Papier kann notgedrungen nur einen ungenügenden Eindruck davon geben, wie verblüffend und befremdend sich das Vaterspiel entwickelt. In Fragmenten entfaltet sich zum einen die Geschichte von Ratz: Der frustrierte Sohn eines SPÖ-Ministers (Christian Tramitz) lebt noch immer sehr studentisch und kultiviert seinen Vaterhass, indem er ein Computerspiel im Ego-Shooter-Stil programmiert, bei dem alle niederzuschießenden Gegner das Gesicht seines Vaters tragen. (Auf anderen Vertriebswegen wird es dann als Onlinedownload zum Hit.) Ratz hofft es zu verkaufen, als er auf Mimis Einladung nach New York kommt: Aber den begierigen Interessenten am „new genocide game“ wird die Angelegenheit zu mulmig, als er auf der Vaterfigur beharrt. Inzwischen offenbart sich, was sein einstiger Schwarm von Ratz will: Er soll den Keller ihres Hauses ausbauen. Dort versteckt sie seit 32 Jahren ihren Großvater, einen untergetauchten litauischen Nazi-Kriegsverbrecher, der schweigsam Patiencen legt. In unvermittelt einmontierten Rückblenden, die weit in der Vergangenheit liegen, sieht man einen von Ulrich Tukur gespielten Mann, der die Ermordung seines Vaters in Litauen 1941 zu Protokoll gibt und den Täter identifizieren will.

Gegenentwurf zu Haneke

Das klingt überfrachtet und konstruiert, aber gerade, weil Glawogger die Zusammenführung der Elemente konsequent verweigert, entwickelt sich eine faszinierende Dynamik. Wäre der Stoff als konventioneller Film umgesetzt, in dem sich alle Puzzleteile ergänzen würden, bliebe am Ende nur ein Haufen Klischees und abgepackter Kommentare zu Schuld und Verdrängung, Medien und Mord, Vergangenheit und Moral. Das Vaterspiel lässt sich nicht auf simple Lesarten reduzieren: Es bleibt ein Rest, der nicht einfach abzuschütteln ist. Vieles ist unerklärt oder nicht in ein System einzugliedern: In dieser irritierenden Offenheit und in seinem Porträt der Generationenverhältnisse ist Glawoggers Film auch ein interessanter Gegenentwurf zu Michael Hanekes Das weiße Band, und sowieso die absolute Antithese zum leicht konsumierbaren Kino mit NS-Themen, das in den USA und Deutschland reüssiert.

Zwei herausragende Filme in einem Jahr

Aber während sich die Erzählung von Das Vaterspiel nicht schließt, sind alle Charaktere in ihrer Welt eingeschlossen, nur die Reibung des Aufeinandertreffens dieser Welten ist zu spüren (bis in eigentümliche Leerstellen und unterschiedliche Sprechweisen): Glawogger inszeniert die Figuren wie hinter Glas, distanziert, dabei in intensiver Klarheit. Der formale Einfallsreichtum ist ebenso typisch für den Regisseur wie sein experimentierfreudiger Umgang mit Konventionen und Genres. Das Vaterspiel ist quasi sein Gefängnisfilm – damit auch das kühle Yin zum warmen Yang seiner organisch dahinfließenden Drogenkomödie Contact High.

Kaum zu glauben, dass Glawogger in einem Jahr zwei so herausragende Filme gelungen sind: Zusammen sind sie eine – natürlich irgendwie glawoggerisch verschobene (er kann halt offenbar nicht anders) – Quersumme seines Schaffens.

AUF EINEN BLICK

Frustrierter Ministersohn bewältigt seinen Vaterkomplex mit der Entwicklung eines Ego-Shooters, den er verkaufen will. Interessenten zögern: Ballern auf den Vater ist ihnen zu extrem. In einem Keller birgt eine Frau ihren Großvater, einen Nazi-Verbrecher. Diesen Plot hat der steirische Regisseur Michael Glawogger (49) unter Vermeidung von Klischees inszeniert. „Das Vaterspiel“ erschien 2000, Autor Josef Haslinger hatte seinen Durchbruch 1995 mit „Opernball“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.11.2009)

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