Kino: „Politik in Küche und Ehebett“

Regisseurin Petra Volpe beim Gespräch im Wiener Hotel Triest.
Regisseurin Petra Volpe beim Gespräch im Wiener Hotel Triest.(c) Florens Kosicek
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Schweizer Frauen haben erst 1971 das Stimmrecht bekommen. Petra Volpe zeigt mit großem Erfolg, wie in einem kleinen Alpendorf darum gerungen wurde.

Ein kleines Dorf in Appenzell zu Beginn der Siebzigerjahre. Nora Ruckstuhl trägt Röcke, ist Hausfrau, brave Ehefrau, Mutter von zwei Söhnen und Dienerin des Schwiegervaters. Doch als sie die Annonce eines Reisebüros sieht, kommt sie eines Tages auf die verwegene Idee, dass sie gern außer Haus arbeiten würde, weil sie Sockenwaschen und Staubsaugen nicht glücklich machen. Als ihr Mann es ihr – gesetzlich gedeckt – verbietet, wird Nora klar, dass die Sache, für die ein paar Frauen auf der Straße werben, auch mit ihr zu tun hat: Die Männer des Landes sind aufgerufen, darüber zu entscheiden, ob Frauen das Stimmrecht bekommen sollen.

„Das Private ist politisch“, sagt Petra Volpe, das sei das universelle Thema des Films – und wohl der Grund dafür, warum ein Werk, das nach sprödem Inhalt (Frauenwahlrecht) und einer schrulligen Schweizer Eigenheit klingt, gerade weltweit Erfolge feiert. In den USA läuft der Streifen aus den Schweizer Alpen im Oktober im Kino an, auch in China hat man ihn eingekauft, in Europa sowieso. Kein Zufall, glaubt Volpe, die in Berlin und New York lebt und zur Premiere nach Wien gekommen ist. Fünf Jahre nachdem sie zu schreiben begonnen hat, sei ihr Film über Demokratie und Zivilcourage noch aktueller als gedacht – mit Trump in Amerika und Rechten in Europa, „die fordern, dass sich das Rad der Zeit zurückdreht und die Frau zurück an den Herd geht“.

„Sie haben alle gekämpft“

Volpe, geboren 1979, ist selbst in einem Schweizer Dorf aufgewachsen, als Enkelin des Bäckers und Tochter eines Gastarbeiters. „Wir waren die Italienerkinder, wir mussten ganz besonders anständig sein, um zu beweisen, dass wir gute Ausländer sind.“ Gleichberechtigung sei für sie schon früh Thema gewesen. „Ich hab meine Mutter und Großmütter mitgekriegt.“ Die italienische Großmutter war unglücklich in einer fast erzwungenen Ehe gefangen, ihre eigene Mutter warnte sie früh, nicht zu jung zu heiraten, die Ehe sei ein Gefängnis. „Sie hätten sich nicht Feministinnen genannt, aber sie haben alle irgendwie gekämpft.“

Auch die kleinen Dinge seien ihr aufgefallen. „Dass ich abtrocknen muss, und mein Bruder nicht. Ich fand, wir sind Geschwister, warum wird das nicht gerecht aufgeteilt?“ Das Label einer Feministin habe sie stets gern getragen. „Ihm haftet ja eine fiese Begrifflichkeit an. Man wurde als unfuckable abgestempelt, davor hatten viele meiner Generation Angst.“ Apropos: In „Die Göttliche Ordnung“ geht es mit Humor auch um Kleidung (Jeans!) und Orgasmen. „Sich politisch zu betätigen fängt in der Küche an“, glaubt Volpe, „und geht weiter im Ehebett.“

Dass sich gerade auch Frauen gegen das Frauenwahlrecht stellten, wurde ihr erst bei der Recherche bewusst. „Das waren Frauen, die zum Teil schon in machtvollen Positionen waren, Anwältinnen, Ärztinnen, Apothekerinnen, mit wohlhabenden Männern verheiratet. Da ging es einfach darum, dass sie den Kuchen nicht teilen wollten.“ Dazu kam Nationalismus, geprägt von der Tatsache, dass die Schweiz von zwei Weltkriegen verschont geblieben war. „Man dachte, uns geht's gut, also machen wir es richtig und verändern das jetzt lieber nicht.“ So habe man apokalyptische Bilder heraufbeschworen und mit der „göttlichen Ordnung“ argumentiert – „das ist natürlich ein Wahnsinnsargument“.

Wie spät das Frauenwahlrecht eingeführt wurde, werde auch heute nicht groß unterrichtet. „Der Skandal wird unter den Teppich gekehrt. International war es für die Schweiz einfach wahnsinnig peinlich. Im Unterricht lernen wir etwas über die Schlacht am Morgarten, aber die hundertjährige Frauenbewegungsgeschichte der Schweizerinnen kommt nicht vor.“

Wichtig waren Volpe in ihrem Film auch die Männer – Max Simonischek als Noras zögernd dazulernender Ehemann, Nicholas Ofczarek als unglücklicher Schwager. „Mir war wichtig zu zeigen, dass Männer vom Patriarchat auch zerquetscht werden“, sagt Volpe. „In der Gegend, wo wir gedreht haben, bringen sich die Männer reihum um. In den ländlichen Gegenden, wo es wirtschaftliche Probleme gibt, sind die Männer extremem Druck ausgesetzt, die Versorger sein zu müssen. Wenn Männer begreifen, dass Gleichberechtigung ein Kampf ist, der auch sie befreit, dann ist ein großer Schritt getan.“

ZUR PERSON

Petra Volpe wurde 1970 als Tochter eines Italieners und einer Schweizerin in Suhr geboren. Sie studierte Kunst in Zürich sowie Dramaturgie und Drehbuch an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam. Volpe ist mit einem Amerikaner verheiratet und lebt als Drehbuchautorin und Regisseurin in Berlin und New York. Sie schrieb u. a. das Drehbuch für „Heidi“ mit Bruno Ganz. „Die Göttliche Ordnung“ gewann den Schweizer Filmpreis für Drehbuch, Beste Darstellerin und Beste Nebendarstellerin. Der Film läuft ab 3. August im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.07.2017)

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