Katzenfilm "Kedi": Istanbuls Straßenkatzen schnurren alle Klischees

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Liebhaber flauschiger Vierbeiner werden an „Kedi“ ihre helle Freude haben: Die Doku versteht sich als Ode an die Straßenkatzen von Istanbul. Ihr Blick ist eher fetischistisch als poetisch.

„Wenn eine Katze zu deinen Füßen miaut, lächelt dich das Leben an“, heißt es an einer Stelle von „Kedi“. Der Spruch bringt gut auf den Punkt, wie grenzenlos fasziniert von ihren tierischen Hauptdarstellern diese Doku ist. Ginge es nach ihr, wären „Felidae“ und „Felicitas“ dasselbe Wort. Und eigentlich ist „Kedi“ (Türkisch für Katze) gar keine Doku, sondern ein Bildgedicht. Besser gesagt: ein visueller Kalenderspruch. Oder: das filmische Äquivalent jenes Posters, auf dem sich ein Kätzchen an einem Ast festhält, mit dem Appell, sich „nicht hängen zu lassen“.

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„Kedi“ versteht sich als Ode an die über 30.000 Straßenkatzen von Istanbul. Diese werden nicht nur toleriert, sondern respektiert (auch aufgrund des relativ hohen Stellenwerts von Katzen im Islam). Im Film mutet die Stadt an wie ein Schlaraffenland für herrenlose Miezen: Kein Lokal verwehrt ihnen einen Imbiss, Speisereste purzeln im Überfluss von den Tischen der Cafés, Wassernäpfe stehen an jeder Ecke. Die Kamera heftet sich (auf Katzenhöhe) an die Pfoten diverser Streuner, begleitet sie bei ihren Streifzügen, dokumentiert die Beziehungen, die Menschen zu ihnen aufgebaut haben. Dabei wird jede psychologische Projektion sofort per Musik und Montage bekräftigt und verwandelt unscheinbare Muzis kurzerhand in veritable Charakterkatzen.

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Die „Psychopathin“, der „Sorglose“, die „Jägerin“: Alle werden vermenschlicht und ihren Spitznamen entsprechend in Szene gesetzt, dürfen eifersüchtig sein und entschlossen, traumatisiert und glücklich. Die Menschen spiegeln sich in den enigmatischen Kreaturen: Ein Mann sorgt sich um ausgesetzte Babykätzchen, seit er von einem verwilderten Kater zu einer prallen Geldbörse geführt wurde – ein unmissverständliches Gotteszeichen. Eine junge Frau sieht in einer Katze mit markanten Augenbrauen einen Ausdruck ungehemmter Weiblichkeit. Irgendwann hat der Film alle Katzenklischees durch: Freiheit, Frechheit, Eigensinn, Weisheit, Spiritualität, Unergründlichkeit und Resilienz. Immer wieder sucht das Bild nach Transzendenz in mandelförmigen Augen – ein wenig wirkt das alles wie die Inversion von Ulrich Seidls „Tierische Liebe“.

Von YouTube mitproduziert

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Die Begeisterung der türkischstämmigen, in Los Angeles lebenden Regisseurin Ceyda Torun für ihre Protagonistinnen ist nachvollziehbar. Auch große Kinokünstler wie Chris Marker und Stan Brakhage ließen sich von Katzen zu Laufbildhaikus inspirieren. Und der Ambition, ihnen einen Langfilm zu widmen, der mehr ist als bloße Naturdoku, muss man Respekt zollen. Doch Toruns Zugang ist nicht poetisch, sondern fetischistisch. Dass eine Katze per se noch kein zwangsläufig spannendes Motiv darstellt, scheint ihr nicht wirklich klar zu sein. Ihre oft in schlampig-impressionistischer Manier geschnittene Arbeit reiht anspruchslose Digitalaufnahmen schnurrender, sitzender, hüpfender Tiere aneinander – bis man sich in einem endlosen Katzenvideo gefangen fühlt (passenderweise wurde „Kedi“ von YouTube mitproduziert).

Dennoch vermittelt der Film einen Eindruck davon, welche Rolle Katzen in der soziokulturellen Tradition der Türkei spielen – auch als Trägerinnen einer unausgesprochenen Sehnsucht, eines unbestimmten Optimismus. Nur ihre politische Bedeutung wird ausgespart: Immer wieder sorgen Katzen für Schlagzeilen. Etwa 2015, als drei von ihnen die Sicherheitsabsperrungen beim G20-Gipfel in Belek durchbrachen und am Ehrenteppich Platz nahmen. Letztlich muss man sich doch eingestehen: Katzen gehört die Welt.

Ab Freitag im Kino.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2017)

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