Ein Tollpatsch auf Datingabwegen

Das Alter hat seine Mimik noch meisterlicher gemacht: Pierre Richard als alter Herr, der auf die Liebe im Internet hofft – und damit ein herrliches Chaos stiftet.
Das Alter hat seine Mimik noch meisterlicher gemacht: Pierre Richard als alter Herr, der auf die Liebe im Internet hofft – und damit ein herrliches Chaos stiftet.(c) Filmladen
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Die beglückende Rückkehr des Filmkomikers Pierre Richard: Als greiser Monsieur Pierre sucht er die Liebe online – schickt aber einen jungen Mann zum ersten Rendezvous.

Der „Große Blonde mit dem schwarzen Schuh“ war ein Franzose – und doch ein deutsches Erfolgsprodukt. In den frühen Siebzigerjahren begeisterten sich Deutsche und Österreicher für den zerstreuten, ein wenig an Thomas Gottschalk erinnernden Filmkomiker. Über diesen Umweg wurde Pierre Richard auch in seiner Heimat zum geliebten „Tollpatsch auf Abwegen“ (so ein Filmtitel), erst seit den Neunzigern wurde es still um ihn. Umso mehr überrascht Richard nun mit seiner Rückkehr in „Monsieur Pierre geht online“. Der Film transponiert sehr frei die alte Geschichte von Cyrano de Bergerac ins Zeitalter des Internets. In der berühmten Verfilmung dieses Bühnenstücks spielte Gérard Depardieu den hässlichen Dichter, der zum Ghostwriter eines schönen jungen Mannes wird.

Was Pierre Richard als Komiker ausmacht, hat man vielleicht noch nie so deutlich gesehen wie an seinem alt gewordenen Gesicht. Dessen Furchen scheinen Richards berührende Mimik nur noch reicher gemacht zu haben. Beweglich wie eh und je schwankt diese hier zwischen hoffnungsfreudig, verzagt und enttäuscht, konzentriert, verschmitzt und listig, irritiert, hilfesuchend und einsam. Aggression fehlt in diesem Ausdrucksspektrum, Richards Figuren stehen unter dem Vorzeichen der Gutartigkeit. Mögen sie noch so viele Fehler haben oder machen – wer so dreinblickt, dem kann das Publikum nur alles verzeihen.

Und es ist nicht wenig, was Monsieur Pierre von seiner Pariser Wohnung aus anrichtet. Anfangs verbringt er seine Tage noch allein am Projektor sitzend, wieder und wieder die alten Filme abspielend, auf denen seine verstorbene Frau ihm in Großaufnahme entgegenlacht. Doch dann verordnet die resolute Tochter dem Freund ihrer Tochter, Pierre in das Internet einzuweihen. Keine leichte Sache: Auf die telefonische Anweisung, „das Fenster“ zu öffnen, lüftet er, aber „es geht immer noch nicht“ . . . Pierre findet jedoch Geschmack am Surfen, als er merkt, dass das Internet bei der Liebessuche helfen kann. Unnachahmlich der Entschuldigung heischende Seitenblick zum Foto seiner Frau, bevor Monsieur Pierre beginnt, sich in die Datingseiten zu versenken.

„Sie vögeln in meinem Namen!“

Seine Formulierungen und Fiktionen treffen per Mail direkt in die schöne Seele einer schönen jungen Frau aus Brüssel. Doch was tun beim ersten Dating, zumal Pierre ein Foto seines nichts ahnenden jungen Computerlehrers Alex als Profilfoto verwendet hat? Er fleht diesen also an, statt ihm zum Rendezvous zu gehen, um die Lage zu sondieren. Natürlich ist alles, was sich daraus ergibt – „Sie schreiben ihr in meinem Namen!“, „Es sind eher Sie, die in meinem Namen vögeln!“ –, voller Unwahrscheinlichkeiten. Aber wen stört das bei einer Komödie? Wichtiger ist, dass „Monsieur Pierre geht online“ seine Figuren nicht für billige Pointen verrät; man lacht viel, aber fast nie auf ihre Kosten. Zu sympathisch ist der sich abstrudelnde junge Alex (Yaniss Lespert) oder die wie einem Schillerdrama entsprungene reine Liebende Flora, wundervoll gespielt von Fanny Valette. Sie hat sich in den jungen Mann verliebt, im Glauben, dass er den Tod seiner Partnerin beweint, so wie sie den Tod ihres Partners. Wie gesteht man vor diesen mitleidig glänzenden Augen, dass alles erlogen war?

Wen liebt eine Frau, wenn sie sich in die Worte eines Mannes und den Körper eines anderen verliebt? Als Flora die Wahrheit erfährt, kommt es zu einer schönen symbolischen Szene, bei der Flora sich allmählich von Pierre weg und Alex zuwendet, als dieser endlich für sich – als er selbst – zu sprechen beginnt. Armer Pierre, nun ist er wieder allein. Dass der Film auch ihn noch im letzten Moment mit einem Happy End versorgt, wirkt wie die pickige knallrosa Cocktailkirsche auf einer helldunklen Schwarzwälderkirschtorte – aber völlig verständlich. Einen alten Herrn, der sich so verschmitzt eine Rose ans Gesicht halten, so innig mit einer imaginierten Frau durchs Zimmer tanzen kann, leer ausgehen zu lassen, das hätte das Publikum dem Regisseur wohl nie verziehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.08.2017)

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