Jerry Lewis: Lustig bis zum Schluss

FILE PHOTO: Cast member Jerry Lewis poses during a photocall for the film 'Max Rose' at the 66th Cannes Film Festival
FILE PHOTO: Cast member Jerry Lewis poses during a photocall for the film 'Max Rose' at the 66th Cannes Film FestivalREUTERS
  • Drucken

Am Sonntag starb der große Körperkomiker. Er spaltete die Meinungen – und verkörperte mit Vorliebe gespaltene Persönlichkeiten. Ein Nachruf.

Fast scheint es, als hätte die Welt mit dem Tod von Jerry Lewis nicht nur ein einzelnes Komikergenie verloren, sondern etliche. Denn in seiner Brust wohnten viele Seelen – und wenn er sie um die Vorherrschaft kämpfen ließ, lagen Millionen vor Lachen am Boden. Als Kindskopf und Blödelmaschine brachte er es zu einem der erfolgreichsten Unterhaltungskünstler der Nachkriegszeit, doch seine größten Schöpfungen sind im Kern allesamt Zerrissene: Gespaltene Persönlichkeiten, die von widerstreitenden Trieben und Umwelteinflüssen in zuckende Nervenbündel verwandelt werden. Oder sich buchstäblich entzweien – wie in Lewis‘ womöglich bekanntestem Film, der genialen Jekyll-und-Hyde-Klamotte „Der verrückte Professor“. Lewis war ein Mann mit tausend Gesichtern. Sein Talent bestand darin, sie alle auf einmal zu tragen.

Ins Showgeschäft zog es den 1926 in Newark als Joseph Levitch geborenen Spaßmacher schon früh. Seine Eltern waren beide Entertainer – der Vater Vaudeville-Schauspieler, die Mutter Pianistin. Die Begeisterung für die Bühne, den Applaus und die Anerkennung eines dankbaren Publikums legten sie ihm quasi in die Wiege. Bereits in der Schule als Klassenclown bekannt, suchte er bald unter dem Namen Jerry Lewis nach richtigem Rampenlicht und begann in Nachtclubs aufzutreten. Vor allem seine pantomimischen Begleitungen eingespielter Songs stießen auf Anklang. Doch erst im Kontrast mit einem glatten Widerpart kam seine Begabung wirklich zum Vorschein: An der Seite des lässig-gelackten (Schnulzen-)Sängers Dean Martin stieg Lewis rasant zum Weltstar auf.

Martin und Lewis, „Sex and Slapstick“

Das Duo verfeinerte eine Dynamik, die sie von der Bühne übers Radio ins Fernsehen und schließlich auf die große Leinwand führte: „Sex and Slapstick“. Martin gab mit cooler Contenance den Frauenschwarm und „straight man“, während Lewis zum hyperaktiven Kind regredierte. Er schnitt Grimassen, sägte Nerven und quasselte Strippen in einer unverkennbaren Gummistimme – ohne Luft zu holen. Besonders zu Beginn legten die beiden großen Wert auf Improvisation, was ihren Auftritten unerhörte Spritzigkeit verlieh. Und obwohl Lewis‘ infantiles Rumalbern ein harmloser Spaß für die ganze Familie war, hatte es eine subversive Schlagseite: Seine unkontrollierbaren Faxen wirkten wie Impulsrevolten eines fleischgewordenen Systemfehlers gegen den Normierungsdruck der amerikanischen Fünfziger.

„The Kid“ and „The Id“ nannte er seine akklamiertesten Charaktertypen; „Id“ steht zwar für „Idiot“, könnte aber genauso gut das Unbewusste meinen. Die Filme von Lewis und Martin gehören zu den lustigsten ihrer Ära. 1956 kam es nach 17 gemeinsamen Kinoproduktionen zum Bruch des ungleichen Gespanns – nicht zuletzt, weil sich Lewis zusehends künstlerische Selbständigkeit wünschte. Mit „The Bellboy“ („Hallo, Page!“), einer präzise getakteten und formal erstaunlich ambitionierten Gagperlenkette, stieg der Komiker zum „Total Film-Maker“ (so der Titel eines seiner Bücher) im Geiste Charlie Chaplins auf. Er wurde Autor, Regisseur, Produzent und Hauptdarsteller in Personalunion. Und als ob das nicht genug wäre, kann man ihn schon hier in einer Doppelrolle bewundern. Er spielt den Pagen – und eine Parodie seiner eigenen Star-Persona.

Warum Frankreichs Intellektuelle Lewis liebten

Es folgte eine Reihe exaltierter und extravaganter Arbeiten, die zuweilen in einer absurden Parallelwelt angesiedelt scheinen: Realismus war für Lewis immer Nebensache. Stattdessen nahm er Anleihen bei seinem Regie-Mentor, dem Kinocartoonisten Frank Tashlin:

Für „The Ladies Man“ (1961) ließ er im Studio eine Villa errichten, in der jedes Zimmer monochrom ausgemalt war. Statt einer Handlung setzte es eine assoziative Nummernrevue. Dieser Sinn fürs Surreale und Abstrakte trug wohl auch dazu bei, dass seine Filme unter jungen Intellektuellen in Frankreich enorme Popularität erlangten. Im Gesicht von Lewis, schrieb Jean-Luc Godard, verbindet sich „für Augenblicke das Äußerste an Künstlichkeit mit der Noblesse des wahren Dokumentarfilms“. Die US-Kulturkritik hatte hingegen Schwierigkeiten mit seiner eigentümlichen Körperkomik, tat ihn zumeist als Hampelmann ab. Dabei hatten Lewis‘ plastisch-elastische Performances längst nichts ulknudelhaftes mehr, sondern erstrahlten als Gesamtkunstwerke virtuoser Überspanntheit.

Nie gezeigt: Possenreißer im KZ

In den Siebzigern schwand Lewis‘ Stern. Ein Versuch, seine ernste Seite explizit zu machen, scheiterte: „The Day The Clown Cried“, in dem ein Possenreißer ins KZ geschickt wird, verzettelte sich in Rechtsstreitigkeiten und wurde nie fertiggestellt. Daraufhin zog sich der Comedykönig zurück – und trat im Kino bis zu seinem Lebensende nur noch periodisch in Erscheinung. In vergnüglichen Spätwerken wie „Hardly Working“ oder in seriösen, selbstreflexiven Rollen – etwa als „King of Comedy“ im gleichnamigen Drama von Martin Scorsese. Zur Ehre gereichte ihm auch sein unablässiger Einsatz für karitative Organisationen – und der Einfluss, den er auf Nachfolger wie Jim Carrey ausübte.

In jüngeren Interviews sparte die Hollywoodlegende nicht mit pikanten Anekdoten: Etwa der Behauptung, das Gerücht von einer Affäre zwischen Marilyn Monroe und John F. Kennedy sei nicht mehr als ein Gerücht. Woher er das wisse? Weil er selbst eine Affäre mit Marilyn hatte!

2016 entwickelte sich ein Gespräch mit ihm zum viralen Hit, in dem er den Fragenden gewitzt mit einsilbigen Antworten abbügelte – das spontane Kabinettstück eines wachen Geistes. Am Sonntag starb Lewis im Alter von 91 Jahren. Lustig war er bis zum Schluss.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.