Heimatfilm: Europa auf der Kleinstadtleinwand

(C) Heimatfilmfestival
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Das Festival „Der neue Heimatfilm“ bietet schon seit 1988 internationales Kino im lokalen Rahmen der oberösterreichischen Gemeinde Freistadt. Provinziell ist an der Veranstaltung nichts.

„Du bleibst doch da?“, fragt der alte Bauer seinen Sohn, der im Begriff ist, fortzuziehen ins Tal, wo die lang ersehnte Freiheit wartet. Sein Blick wirft die jahrelange Unterdrückung des Erziehers mit rechtschaffener Gewalt auf ihn zurück: eine unmissverständliche Antwort. So endet „Schöne Tage“, Fritz Lehners meisterliche Verfilmung von Franz Innerhofers Roman über dessen albtraumhafte Kindheit auf dem Land. 1988 lief er auf dem ersten Heimatfilmfestival in Freistadt. Heuer konnte man ihn im Zuge der 30. Ausgabe, die Sonntag zu Ende ging, wieder sehen. Denn „Der neue Heimatfilm“ – so der offizielle Titel – hat mit Alpenkitsch und ähnlichen Betulichkeiten nichts am Hut. Heimatfilm ist hier schlicht ein Film, der weiß, wo er herkommt. Der etwas über konkrete Lebensrealitäten an konkreten Orten erzählt, ihre spezifische Atmosphäre vermittelt, auf Verklärung verzichtet. „Europudding“ (also charakterlose Programmkino-Konfektionsware, die überall und nirgendwo spielen könnte) glänzt durch Abwesenheit.

Am Festival fühlt man sich schnell daheim. Mitten in der beschaulichen, denkmalgeschützten Altstadt der kleinen Mühlviertler Gemeinde wird eine erkleckliche internationale Filmauswahl präsentiert, umgeben von gotischen Bürgerhäusern und mittelalterlichen Wehrtürmen. Als Veranstaltungszentrum dient das altgediente Kino. Wolfgang Steininger, Intendant des Festivals und Urgestein der oberösterreichischen Filmszene (auch das Crossing-Europe-Festival in Linz hat er mitbegründet) leitet den Familienbetrieb. Obwohl „Der neue Heimatfilm“ vornehmlich ein lokales Publikum bedient, ist das Programm alles andere als provinziell. Mit großen Namen kann es nicht aufwarten, doch die kleinen wurden mit Bedacht gewählt – und lassen sich als Gäste gern blicken. Ihre Filme fächern ein spannendes Sozialpanorama auf, das den Heimatbegriff aus unterschiedlichsten Perspektiven beleuchtet; Lyrisches und Kritisches, Poetisches und Politisches stehen Seite an Seite.

Und wie sich zeigt, ist Heimat längst nichts mehr, was man als Postkarte an die Wand hängt. Immer wieder muss man sie umdefinieren, Risse kitten – oder sie komplett neu erfinden. Eben das macht Marija, Titelheldin des gleichnamigen Films von Michael Koch. Sie hat die Ukraine verlassen, um sich eine neue Existenz in Dortmund aufzubauen: keine leichte Aufgabe. Das rau-realistische Drama lebt von einer Tour-de-Force-Performance der deutschen Schauspielerin Margarita Breitkreiz – und Georg Friedrich als starkem Nebendarsteller. Die Protagonistin des serbischen Beitrags „Requiem for Mrs. J“ will sich ob der Tristesse ihrer Verhältnisse gleich zu Beginn aus dem Leben verabschieden – und findet letztlich Trost in ihrer brüchigen Familiengemeinschaft.

Träume aus der Transsibirischen

Auch der Sieger des Spielfilmwettbewerbs demonstriert, dass jedes Heimatverständnis auf wackligen Beinen steht, besonders, wenn es Verbrechen verdrängt. In Ferenc Töröks Eastern „1945“ kommen zwei Juden nach Kriegsende in ein ungarisches Dorf. Niemand weiß, warum. Doch ihre bloße Präsenz reicht aus, um die Bevölkerung in Panik zu versetzen – schließlich hat sich jeder auf die eine oder andere Art schuldig gemacht. Der Dokumentarfilmpreis ging an „Platzkart“, der den Zuschauer auf eine Reise mit der transsibirischen Bahn mitnimmt. Dort begegnen einem Menschen, die von ihren (verlorenen) Träumen berichten und ein beklemmendes, dennoch optimistisches Sittenbild der russischen Gesellschaft zeichnen. Heimat ist hier vor allem eines: immer in Bewegung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2017)

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