Filmfestspiele von Venedig: Schrumpfsatire über das große Ganze

Träumen vom großen Glück als verkleinerte Menschen: Audrey (Kristen Wiig) und Paul (Matt Damon) in „Downsizing“.
Träumen vom großen Glück als verkleinerte Menschen: Audrey (Kristen Wiig) und Paul (Matt Damon) in „Downsizing“. (c) Paramount Pictures
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Am Mittwoch eröffneten die 74. Filmfestspiele von Venedig mit der Sci-Fi-Satire „Downsizing“, in der Matt Damon zum Däumling wird. Christoph Waltz steigert als serbischer Lebemann den Schrulligkeitsfaktor.

Der Mann am Mikro ist klein – sehr klein. Keine zehn Zentimeter dürfte er messen. Trotzdem hängt der ganze Saal an seinen Lippen. Denn der Däumling ist Wissenschaftler – und dank seiner Erfindung, einem Verkleinerungsprozess für organisches Leben, lässt sich der Planet buchstäblich gesundschrumpfen: Überbevölkerung und Umweltprobleme gehören nun endlich der Vergangenheit an. Ein Kollege hält einen schwarzen Müllbeutel hoch: Dies sei der gesamte Abfall, den dreißig Mini-Menschen im Laufe von fünf Jahren erzeugt hätten! Paul Safranek (Matt Damon) staunt, als er im Fernsehen von der Innovation erfährt. Schon bald wird er sich der Prozedur selbst unterziehen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben.

Schrulligkeit kann man der Prämisse von Alexander Paynes „Downsizing“, der gestern das Filmfestival von Venedig eröffnete, nicht absprechen. Eingangs wundert man sich fast, dass Direktor Alberto Barbera eine derartige Kuriosität an den Anfang der altgedienten Festspiele gestellt hat. Doch nach einer Weile schält sich heraus, wo Payne mit seiner Sci-Fi-Dramödie hin will, und die Wahl leuchtet ein: „Downsizing“ ist groß angelegte Zivilisationskritik im Kleinformat.

Der kleine Mann wird noch kleiner

Und der Durchschnittstyp Paul ihr Brennpunkt. Ein kleiner Mann ist der sympathische Einfaltspinsel aus Omaha schon zu Beginn. Als Physiotherapeut hält er sich und seine Frau Audrey (Kristen Wiig) mehr schlecht als recht über Wasser. Als Bekannte die Entlastungen und Vorzüge ihres neuen Mikro-Daseins anpreisen – als Liliputaner steigt die Kaufkraft enorm – scheint die Abkürzung ins Glück gefunden. Das Paar fasst den Plan, sich auf das Abenteuer einzulassen.

Dass selbiges (weitgehend) ausbleibt, gehört zu den zentralen Pointen des Films. Nicht die Größe muss man ändern, sondern die Lebenseinstellung – so Paynes Kernbotschaft. Der Weg zur Erkenntnis ist allerdings lang und voller Abschweifungen. „Leisureland“, die Klein-Großstadt, in die Paul nach seiner Verwandlung einzieht, steht für die hohlen Versprechungen der Kredit- und Konsumökonomie. Paul lebt hier zwar in einem Palast – jobbt aber trotzdem im Call-Center. Zuhause herrscht weiterhin gepflegte Langeweile, bloß mit protziger Deko. Einzig Pauls serbischer Nachbar Dusan (mit Akzent und Goldkettchen gespielt von Christoph Waltz) sorgt als ausgefuchster Lebemann im Spießerdorf für Abwechslung. Nach einer von Dusans Hauspartys lernt Paul die vietnamesische Putzfrau Gong Jiang (Hong Chau) kennen. Sie führt ihn aus der Sloterdijk'schen Kuppelwelt in die verwahrlosten Randbezirke, wo die Kehrseite der Wohlstandskultur zum Vorschein kommt.

Payne hat „Downsizing“ in Interviews als Rückbesinnung auf seine satirischen Wurzeln beschrieben. Aber der Biss von Filmen wie „Election“ fehlt seiner jüngsten Arbeit. Mit seinen späteren Lebenskrisendramen („Sideways“, „About Schmidt“, „Nebraska“) teilt „Downsizing“ die Diagnose, dass der moderne (US-)Bürger lieber vor Problemen davonläuft, als ihnen ins Auge zu blicken.

Visuelle Gags und feine Ironie

Der Humor ist Payne zum Glück nicht abhandengekommen, doch er geht recht sparsam damit um. Abgesehen von einer Handvoll aufgelegter visueller Gags (Spediteure, die zwei Rieseneheringe schleppen, schlafende Bonsai-Menschen, die mit Schippchen aufgeklaubt werden) und einer Reihe karikaturesker Gastauftritte (neben Waltz steigern Udo Kier und Laura Dern den Verschrobenheitsfaktor) gibt es nicht viel zu Lachen. Dafür wird es gegen Ende richtig sentimental, und „Downsizing“ erscheint als Lehr- und Rührstück im Geiste Frank Capras, dessen Moral etwas gar zu allgemein-gefühlig ausfällt. Zumindest hat der finale Wendepunkt einen feinen ironischen Unterton: Am Ende ist es Faulheit, die Paul vor einem letzten großen Fehler rettet.

In den vergangenen Jahren hätte man meinen können, dass auch Venedig ein „Downsizing“ bevorsteht – die internationale Konkurrenz (allen voran Toronto und Telluride) rückte dem Festival zusehends auf die Pelle. Doch seine 74. Ausgabe wartet mit gewichtigen Premieren auf, die zahlreiche Stars auf den Lido bringen werden: Etwa Darren Aronofskys Edel-Horror „Mother!“ mit Jennifer Lawrence und Javier Bardem, Paolo Virzìs „The Leisure Seeker“ mit Helen Mirren und Donald Sutherland oder Andrea Pallaoros „Hannah“ mit Charlotte Rampling. Künstlerische Aufwertung des Wettbewerbs darf man sich indes von Guillermo del Toros neuem Fantasy-Märchen „The Shape of Water“ erhoffen – und von Frederick Wisemans „Ex Libris“, einer epischen Doku über die New Yorker Stadtbücherei. Einer von gleich zwei (!) dreistündigen Beiträgen im Rennen um den Goldenen Löwen: Auch so lässt sich ein Napoleon-Komplex bekämpfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.08.2017)

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