„Blade Runner 2049“: Dieser Film macht uns zu Androiden

In „Blade Runner 2049“ entwirft Villeneuve eine Welt, die befremdlich und anziehend zugleich ist – und bisweilen wie eine moderne Kunstinstallation aussieht.
In „Blade Runner 2049“ entwirft Villeneuve eine Welt, die befremdlich und anziehend zugleich ist – und bisweilen wie eine moderne Kunstinstallation aussieht. (c) Sony Pictures
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Ridley Scotts Science-Fiction-Klassiker bekommt mit Denis Villeneuves „Blade Runner 2049“ eine vor allem ästhetisch überwältigende Fortsetzung: Leben will man in dieser Welt nicht, aber sie bestaunen. Ab Freitag im Kino.

Wenn ein Film so reich in seiner Auseinandersetzung mit philosophischen Fundamentalfragen und gleichzeitig so überwältigend in seiner Ästhetik ist wie „Blade Runner 2049“, ist zunächst unklar, wo man anfangen soll. Schweigen. Stottern. Erstaunt sein. Nach den richtigen Worten suchen. Und dann ganz naiv festhalten, dass einem das Gesehene (auch wenn einem die Analogie abgetragen vorkommt) wie ein erhabener, düsterer, betörender, fiebriger, verzweifelter, atemberaubender Traum vorgekommen ist. Dass man sich im Dickicht der vielen Plot-Twists zuweilen etwas verloren fühlte, spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Immerhin sind die faszinierendsten Träume meistens auch die verwirrendsten.

Der erste Teil, „Blade Runner“, 1982 unter der Regie von Ridley Scott entstanden, ist inzwischen ein viel gelobter Klassiker des Science-Fiction-Genres. In Anlehnung an den Film Noir spielte er in einem von Dauerregen durchtränkten Los Angeles – nur eben anno 2019. Dekadenz, Müll, Überbevölkerung, fliegende Autos und omnipräsente Leuchtreklame prägten das extrem detailverliebte Produktionsdesign dieser babylonischen Sündenmetropole. Harrison Ford verkörperte damals einen Bogart-artigen Detective namens Deckard, der einer Spezialeinheit der Polizei, den Blade Runners, angehört: Diese sind darauf spezialisiert, sogenannte Replikanten, die gesetzeswidrig die Erde betreten haben, aufzuspüren und zu exekutieren. Replikanten schauen wie Menschen aus, sind aber Roboter, die über Superkräfte verfügen, nur vier Jahre alt werden können und zur Kolonialisierung neuer Planeten konstruiert wurden.

Ryan Gosling als Roboter

Im zweiten Teil, „Blade Runner 2049“, der 30 Jahre später spielt, hat sich an diesem abscheulichen Sklavensystem kaum etwas geändert. Nur, dass bestimmte Replikanten unter der Auflage, in regelmäßigen Tests ihre Loyalität zu den Menschen unter Beweis stellen zu müssen, inzwischen in eine Art futuristische Gestapo aufgenommen wurden. Der von Ryan Gosling gespielte K ist so einer: Er stößt schon bald auf ein Geheimnis, dessen Enthüllung die gesamte Gesellschaftsordnung umzuwerfen verspricht. Und trifft dabei auch auf den gealterten Deckard, wieder verkörpert von Harrison Ford.

Der für seine Stilsicherheit bekannte Regisseur Denis Villeneuve liefert mit seinem Sequel alles andere als einen faden Aufguss des Originals ab, sondern fügt der Ursprungsidee weitere existenzialistische und soziologische Abgründe hinzu. Während der Vorgänger noch eine vergleichsweise intime Geschichte mit wenigen Figuren und einer simplen Schlusspointe erzählte, erweist sich die Fortsetzung als ein kompliziert verschachteltes Epos, das zwar ebenfalls von der Ununterscheidbarkeit zwischen Schein und Sein, Künstlichkeit und Echtheit, Maschine und Mensch zehrt, sie aber viel selbstreflexiver behandelt – als würde der Film aus dem popkulturellen Zeichensystem schöpfen, das ihm sein Vorgänger hinterlassen hat, es aber gleichzeitig drehen, wenden, transzendieren, ohne es jemals billig zu parodieren.

Zudem ist er viel kontemplativer und ätherischer inszeniert. Manch ein Schauplatz, der im gemächlichen Schritt abgegangen und in einer Breitwand-Totalen gebannt wird, wirkt wie eine moderne Kunstinstallation. Einmal tauchen gigantische Schenkel und Münder im roten Endzeit-Licht auf. Hologramme, die ekstatische Lustbefriedigung versprechen, locken wie Sirenen. Mit unvergleichlicher Gestaltungsliebe entwirft Villeneuve eine Welt, die befremdlich und anziehend, erschreckend und verführerisch, dystopisch und utopisch zugleich anmutet. Man will in ihr nicht leben, aber sie sehen, bestaunen, studieren (wozu einem die Zeit gelassen wird) möchte man sie doch.

Der französische Philosoph Felix Guattari meinte einmal, der Wahrnehmungstaumel, in den uns das Kino versetze, rühre daher, dass wir darin selbst zum Apparat, zur Maschine werden. Deswegen bergen Filme, in denen künstliche Wesen die Hauptrollen übernehmen, wohl auch so einprägsame Erfahrungswerte. Selbst zu einer Maschine geworden, vermeinen wir, wie nun in „Blade Runner 2049“, das Gefühl von Schnee oder Regen auf der Haut dieser Androiden nachempfinden zu können, werden sozusagen zu einem sensiblen, vielleicht auch ein wenig sentimentalen Artgenossen. Für diese sinnlich-poetischen Momente, die einen direkten Eindruck davon verschaffen, worum es dem Post-Humanismus geht, hat Villeneuve ein sehr genaues Auge. So weit geöffnet wie das aus der berühmt gewordenen Einstellung am Anfang von beiden Filmen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2017)

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