Filmkritik „Licht“: Vom Dunkel ins Licht und retour

Maria Dragus als blinde Pianistin drückt dem Film mit nervösem Mienenspiel und erratischer Körpersprache ihren Stempel auf.
Maria Dragus als blinde Pianistin drückt dem Film mit nervösem Mienenspiel und erratischer Körpersprache ihren Stempel auf.(c) Christian Schulz/Geyrhalterfilm (© Christian Schulz)
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Am Samstag hat Barbara Alberts neuester Film, „Licht“, Österreich-Premiere. Maria Dragus brilliert als blinde Musikerin, die gegen eine bornierte Gesellschaft ankämpft.

Die Augen rollen hin und her, der Mund verzieht sich, das Haupt ruckelt vor und zurück: Maria Theresia Paradis spielt Klavier. Das innere Schauspiel – die ekstatischen Gemütsbewegungen, die die Virtuosin auf ihr Musikinstrument überträgt – bleibt jedoch unerkannt. Ihr Publikum, die feinen Damen und Herren der besseren Wiener Gesellschaft um 1770, sehen nur das Äußere, die Zirkusnummer, die Freakshow: Eine blinde Pianistin, magnifique! Andere spielen zwar besser, tuschelt man, aber die sind halt nicht blind. Die Kombination aus Begabung und Erkrankung hat Paradis, die im Kindesalter ihr Augenlicht verloren hat, Berühmtheit gebracht – und eine Gnadenpension von der Kaiserin höchstpersönlich.

Die Eltern sind damit durchaus zufrieden. Sie tingeln durch die Salons und führen ihre aufgemascherlte Tochter vor wie ein exotisches Tier.

Um Heilung bemühen sie sich trotzdem. Bislang brachte das jedoch nur Unglück. Die unterentwickelten Behandlungsmethoden der Fachärzte hinterließen Paradis mit wunder Kopfhaut, ausgetrockneter Nase und angeschlagenem Selbstbewusstsein. Zeit für Alternativmedizin: Die Therapien des Magnetiseurs Franz Anton Mesmer sind zwar umstritten, aber sehr im Schwange – vielleicht hat er ja eine Lösung parat. „Alles ist besser als das da“, sagt Papa Paradis mit Fingerzeig auf seine Resi. Man merkt schon: Diese junge Frau braucht keine Kur, sie braucht Menschlichkeit. Und Mesmer ist vielleicht kein Wunderheiler, aber an Einfühlungsvermögen mangelt es ihm nicht.

Barbara Alberts jüngster Film, „Licht“, der im September beim Filmfestival Toronto uraufgeführt wurde und heute im Rahmen der Viennale Österreich-Premiere feiert, erzählt von zwei gescheiterten Befreiungsversuchen. Jener des Freidenkers Mesmer von der Borniertheit seiner Zeitgenossen und, mit mehr Nachdruck, jener von Maria Paradis von der Degradierung zum aparten Objekt.

Ob Mesmers Ideen von der unsichtbaren Kraft des „Fludiums“ die Hirngespinste eines Esoterikers waren und ob sich Paradis als Musikerin und Komponistin mit etablierten Größen messen konnte, spielt dabei kaum eine Rolle. Spannend sind die beiden Figuren für Albert vor allem als Träger eines verschobenen Blickwinkels; weil sie aufgrund ihrer Vision respektive Blindheit nicht anders können, als die Widersprüche und Absurditäten der verblendeten Gesellschaft infrage zu stellen.

Séanceartige Sitzungen

Der Heilungsprozess, den Mesmer bei Paradis in Gang gesetzt haben soll, rührt im Film weniger vom Handauflegen her als von Nähe, Aufmerksamkeit und der Schaffung eines Freiraums zur persönlichen Entfaltung, der ihr von den (übertrieben karikaturesk gezeichneten) Ego-Eltern verwehrt wurde. Im Zuge von séanceartigen Magnetsitzungen kann sich die verzärtelte, verlegene und verklemmte 18-Jährige gesundschreien. Bald kann sie grobe Schemen erkennen, Freiheit und Glück scheinen in greifbare Nähe zu rücken. Doch die Umwelt schlägt spornstreichs zurück: Die Rückkehr ihres Sehvermögens macht Maria erneut zur „Sensation“, begafft von Medizinern und Soiree-Gästen.
„Wie eine Amerikanerin aus dem kanadischen Urwald“, heißt es nun. „Ganz unverbildet!“ Und Mesmer, der nach offizieller Anerkennung ringt, nutzt das aus.

Schnell zeigen sich weitere Schattenseiten der Erleuchtung: Kaum hat Maria begonnen, den neuen Sinn für sich zu erschließen, soll er ins ästhetische Korsett (als sie beim Spaziergang etwas Dreck bestaunt, wird sie flugs korrigiert: Das sei Mist und folglich gar nicht schön). Überdies dämmert ihr, dass sie mit ihrer Blindheit auch ihrer sozialen Sonderstellung verlustig geht. Aus solchen Widersprüchen zieht „Licht“ ein Gros seiner Dramatik. Und obwohl der Film als Porträt des Wiener Bürgertums im 18. Jahrhundert sehr um Authentizität bemüht ist – im bunt-schnörkeligen Rokoko-Aufputz von Kostüm und Kulisse ebenso wie in der Gespreiztheit der Sprache – verweist seine Kritik an einer patriarchalen, von eklatanten Ungleichheiten, Klatsch- und Geltungssucht geprägten Welt klar in die Gegenwart. Nur heißen die Feministen und Chauvinisten hier eben „Spermisten“ und „Ovulisten“.

Angesichts dessen fällt es schwer, den Vergleich zu Jessica Hausners motivisch sehr ähnlichen „Amour Fou“ (über die verhängnisvolle Beziehung zwischen Heinrich von Kleist und Henriette Vogel) zu meiden; formal fällt „Licht“ mit seinen flirrenden Berührungsbildern, die Marias gedämpfte Wahrnehmung vermitteln sollen, aber doch ganz anders aus – und ist letztlich ungeachtet aller Rückschläge hoffnungsvoller. Seine größte Stärke bilden ohnehin die beiden Hauptdarsteller: Devid Striesow gibt Mesmer mit der kantigen Souveränität eines Maverick, der schon viel einstecken musste und trotzdem nicht ganz verbittert ist, während Maria Dragus (zuletzt zu sehen in „Tiger Girl“ von Jakob Lass) mit nervösem Mienenspiel und erratischer Körpersprache dem Film einen unnachahmlichen Stempel aufdrückt. Am 10. November startet „Licht“ bundesweit.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2017)

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