Film: Dieser Zar liebt gefährlich

Eros, endlich mit Gottes Segen: So schlecht ist die deutsche Prinzessin Alix (Luise Wolfram) auch nicht, wird Nikolaus (Lars Eidinger) am Ende klar.
Eros, endlich mit Gottes Segen: So schlecht ist die deutsche Prinzessin Alix (Luise Wolfram) auch nicht, wird Nikolaus (Lars Eidinger) am Ende klar.(c) V.Sevastynov
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Der russische Skandalfilm „Mathilde“ kommt zu uns. Interessanter als er selbst ist die Geschichte des Kampfes um ihn – geführt von Verteidigern dunkler Mythen.

Ein Jahr voller Aufruhr ist dem Kinostart von „Mathilde“ in Russland vorausgegangen – und das alles, weil der Film von einer Liebschaft des letzten Zaren erzählt. Weil der Regisseur Alexej Utschitel sich die zum Teil dichterische Freiheit gönnte, die heiße Affäre nicht pünktlich mit der Verlobung des Zaren enden zu lassen. Radikale orthodoxe Aktivisten, die den Zaren als in jeder Faser seines Lebens Heiligen verehren, sehen das als Blasphemie.

Glimpflich hat es geendet, zumindest vorläufig. Am Mittwoch wurden rund um die Filmpremiere nur einige orthodoxe Aktivisten verhaftet. Davor: Hartnäckige Versuche der Politikerin und Zarenverehrerin Natalja Poklonskaja, den Film zu verbieten, Protestaufmärsche und Drohungen gegen die Kinobetreiber (die viele dazu brachten, den Film nicht zu zeigen). Ein Kino wurde angezündet, ein Molotowcocktail auf das Büro des Regisseurs Alexei Utschitel geschleudert, Autos brannten vor dem Büro von dessen Anwalt. Sogar die obersten staatlichen und kirchlichen Gremien sahen sich genötigt, zur Ruhe zu mahnen, bis hinauf zum russischen Präsidenten und zum Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche.

Ordnung besiegt (weiblichen) Dämon

Und nun: Zugunfälle, Ballonfahrten und brennende Fähren. Waterboarding im Glaskäfig und spiritistische Sitzungen – auch im Film „Mathilde“ geht es rund. Ab kommender Woche kann man die wilde Liebesgeschichte, von der sie handelt, auch in Österreich sehen. Dass Nikolaus der Ballerina Matilda Kschessinskaja verfallen ist, kann man angesichts der wunderschönen, vulkanisch spielenden polnischen Schauspielerin Michalina Olszańska nur verstehen. Dass Mathilde, dieser zu allerlei gesellschaftlichen Provokationen aufgelegte Wildfang, ihn ebenfalls liebt, weniger – der junge Zar, gespielt vom deutschen Schauspieler Lars Eidinger, wirkt milchbubenhaft und ziemlich hölzern.

Immerhin überlegt er, für die Ballerina auf die Krone zu verzichten. Er wächst auch charakterlich. Zuletzt siegt Pflicht über Neigung, „Niki“ erkennt seine Verantwortung für das „Volk“ und entscheidet sich für die gütige, inbrünstig religiöse deutsche Prinzessin Alix. „Gott hat alles richtig gemacht“, sagt er am Ende. Der (weibliche) Dämon des Chaos ist besiegt, Nikolaus ist in Seelenqualen zum würdigen Herrscher gereift.

Russland ist am Ende wieder in Ordnung. Und mit seinem Plädoyer für ebendiese Ordnung, garantiert durch sakrosankte Autorität, kann „Mathilde“ der Staatsspitze nur willkommen sein. Optisch und dramaturgisch schon beeindruckend opulent, ist der Film freilich peinlich schlicht in seinen Dialogen, zum Teil steif in seiner Figurenzeichnung. Er ist damit auch ein wenig Repräsentant einer sterilen Historienfilmkultur (die freilich in diesem Fall auch nicht schlechter ausfällt als ein mittelmäßiger Hollywoodstreifen).

Alles andere als steril ist der Streit rund um „Mathilde“, in dem es um die Deutungshoheit über russische Geschichte und Identität geht. Und das nicht zufällig rund um den 100.?Jahrestag der Oktoberrevolution, die zur Ermordung der Zarenfamilie führte. Im Mittelpunkt der Protestbewegung gegen „Mathilde“ stehen orthodoxe Aktivisten rund um die sektenhaften monarchistischen „Zareboschniki“ (deutsch „Zarenanbeter“). Für sie ist der von der russisch-orthodoxen Kirche heilig gesprochene Zar sündenfrei durch und durch. „Die Zareboschniki sind sehr aktiv und gut organisiert, eine Art Graswurzelbewegung, die außerhalb der Kontrolle durch die kirchliche Hierarchie operiert“, sagt der Journalist Sergej Chapnin, ehemaliger Chefredakteur führender Medien der russisch-orthodoxen Kirche, im Gespräch mit der „Presse“. Das macht sie zum Problem für die Kirche wie für den Staat. Einerseits passen sie zur patriotischen Stimmung, die Putin mit seiner Beschwörung der „traditionellen Werte“ in den vergangenen Jahren ermuntert hat. Andererseits sind sie aber unberechenbar. „Heute protestieren sie gegen ,Matilda‘“, sagt Chapnin. „Aber gegen wen werden sie morgen protestieren – vielleicht gegen die Politik des Präsidenten?“

Kopf der monarchistischen orthodoxen Bewegung ist der Priestermönch Sergej Romanov. Einst wegen Mordes hinter Gittern, wirkt er heute im Kloster von Ganina Jama, wo die Leichen der Zarenfamilie 1918 von den Bolschewiken vergraben wurden. Romanov glaubt wie viele Zareboschniki, dass hinter der Ermordung der Zarenfamilie eine jüdisch-freimaurerische Verschwörung stand. Dies wiederum fügt sich in einen weiteren alten Mythos: dass Christus in der Geschichte sich immer wieder verkörpert habe, auch in Zar Nikolaus. Was aus dessen Ermordung eine Wiederholung der Ermordung des Gottessohns durch die Juden macht.

Zarenmord als „jüdische Verschwörung“

Unter Romanovs Schutzherren, munkelt man, sollen auch hohe Funktionäre des russischen Geheimdienstes, wichtige Geschäftsleute und Abgeordnete sein. Vor allem aber ist Romanov ein spiritueller Berater eben jener jungen Politikerin, die ein Verbot von „Mathilde“ erwirken wollte. Die attraktive 37-Jährige wurde zum Gesicht der Proteste.

Der „Fall Mathilde“ spielt auch in einen Streit um die Zarenreliquien hinein, der Russland in den kommenden Monaten noch beschäftigen wird. Längst hat der Staat diese Reliquien als echt anerkannt, die Kirche zögerte bis jetzt, eben wegen jener Zareboschniki: Ihre Verschwörungstheorie ist mit der Echtheit der Reliquien nicht vereinbar.

Nun, vor dem 100. Jahrestag der Ermordung am 17. Juli 2018, will die Kirche die Reliquien endlich anerkennen. Der „Fall Mathilde“ habe das noch schwieriger gemacht, meint Chapnin. „Wie kann die Kirche nach all dem Aufruhr sagen: ,So, liebe Leute, und jetzt lasst uns die Reliquien anerkennen!‘ Die Kirche ist, glaube ich, sehr unglücklich mit der Situation. Sie weiß – diese Leute können noch zorniger und aggressiver werden. Und sie lassen sich nie überzeugen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.10.2017)

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