Selbst der Held ist korrupt: Film noir im Arabischen Frühling

„Die Nile-Hilton-Affäre“, herausragend inszeniert, erzählt von einer Verschwörung, die im nächtlichen Kairo von 2011 weite Kreise zieht.

Ein Thriller begnügt sich damit, sein Publikum in Spannung zu versetzen – meist mit einer einfachen Prämisse. Ein Mord hat sich zugetragen. Ein Kriminalbeamter betritt den Tatort. Auf diesen Einstieg greift auch „Die Nile-Hilton-Affäre“ zurück. Da es sich aber um keinen gewöhnlichen Krimi, sondern um einen Film noir handelt, ist der Ermittler kein anständiger Gesetzeshüter und sein Gegenspieler auch kein moralisch verwirrter Einzeltäter. Eine Gräueltat steht in diesem Genre niemals für sich allein. Deswegen ist der Film noir auch traditionsgemäß schwindelerregender. Statt die Wiederherstellung einer zwischenzeitlich gestörten Ordnung zu propagieren, wird diese selbst als Brandherd des Verbrechens bloßgelegt. In Tarik Salehs herausragend inszeniertem Copdrama umso mehr, als das gesamte System, in dem sich die Figuren bewegen, von Korruption und Machtgier angetrieben wird: Selbst der janusköpfige Held hat da eine Schwäche für unversteuerte Extrahonorare.

In Kairo, kurz vor dem Ausbruch der Revolution von 2011, erstrecken sich die kriminellen Verflechtungen, die im Film mit investigativem Eifer aufgedeckt werden, von ganz unten bis zum Autokraten Mubarak und zu seinen Schergen. Jeder erweckt den Verdacht, etwas mit der Verschwörung zu tun zu haben. Hinter jedem Vorhang, den Major Noredin (grandios: Fares Fares) lüftet, verbergen sich zahllose neue. Er nimmt die Spur zuerst nur auf, weil er sich davon weitere Einnahmen durch Schweigegeldzahlungen verspricht. Allerdings zieht ihn seine Suche zunehmend in einen Strudel falscher Fährten, bis er irgendwann selbst zum Opfer des Systems wird, von dem er zuvor profitiert hat.

Unter dem künstlich aufgehellten Nachthimmel schaut die arabische Metropole wie ein brodelnder Hexenkessel aus. Die Luft ist dick, die Atmosphäre hochentzündlich. Eine böse Ironie, wenn dann ausgerechnet die demonstrierenden Massen einen Funken erzeugen, der die brisante Wahrheit hinter der Mordserie auszulöschen droht. Auf dass der nächste Despot den Umsturz wieder leichtfertig auf die restaurative Pointe des schlichten Thrillers zurückbrechen könnte, auch wenn die gesellschaftliche Wirklichkeit weiter wie im Film noir funktioniert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2017)

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