„Good Time“: Durch die Nacht mit Ach und Krach

Robert Pattinson will nach „Twilight“ als „echter“ Schauspieler wahrgenommen werden. In „Good Time“ spielt er seine bisher interessanteste Rolle.
Robert Pattinson will nach „Twilight“ als „echter“ Schauspieler wahrgenommen werden. In „Good Time“ spielt er seine bisher interessanteste Rolle.(c) Polyfilm
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Im tragikomischen Thriller „Good Time“ erfindet sich „Twilight“-Star Robert Pattinson neu als Überlebenskünstler, der seinen Bruder aus dem Gefängnis befreien will. Unterhaltsam!

Glücklich, wer ein Bruderherz sein Eigen nennt! Brüder halten fest zusammen und sind füreinander da: Stützen in schwierigen Zeiten, Retter in schlimmster Not, immer für einen Spaß zu haben. So wünscht man es sich zumindest. Leider gibt es aber auch noch ganz andere Brüder. Solche, die man lieber auf Abstand hält – weil sie jener Kraft angehören, die stets das Gute will und doch nur Böses schafft. Connie Nikas ist dafür ein Musterbeispiel. Am Anfang des tragikomischen Thrillers „Good Time“ platzt er in die Therapiesitzung seines geistig behinderten Bruders Nick und „befreit“ ihn aus der Obhut seiner Seelsorger. Nick gehört zur Familie, Nick ist kein Spacko, Nick passt hier nicht hin. Connie liebt seinen Bruder über alles. Er weiß ganz genau, was das Beste für ihn ist. Und das Beste ist, wie sich herausstellt, ein Banküberfall.

Verkörpert wird Connie von „Twilight“-Star Robert Pattinson. Dieser hat die letzten fünf Jahre damit zugebracht, das „Twilight“ vor dem „Star“ wegzukratzen und vom Teenieschwarm zum „echten“ Schauspieler zu avancieren. Er arbeitete mit Autorenfilmgrößen wie David Cronenberg und Werner Herzog zusammen, versteckte seinen Schmachtcharme hinter Bärten und Akzenten. Langsam scheint die Strategie zu greifen: Pattinsons Rolle in „Good Time“ hat bereits Oscar-Gemunkel befeuert.

Connie ist auf jeden Fall die interessanteste Figur, die der 31-Jährige bisher spielen durfte. Mit Jägerbart und Struwwelhaar wirkt er wie jemand, der eben erst aufgestanden ist, und zwar mit dem falschen Fuß. Dieser Eindruck wird von überraschendem Erfindungsreichtum konterkariert. Nur ziehen Connies Einfälle meist mehr Probleme nach sich, als sie lösen. Zunächst geht der Bankraub glatt. Doch dann explodiert das Sicherheitspäckchen, die Nerven winken ab, und ehe man sich's versieht, sitzt Nick im Kittchen und wird dort von Mitinsassen krankenhausreif geprügelt. Das kann Connie, der entkommen ist, natürlich nicht auf sich beruhen lassen. Er zieht alle Register, um seinen Bruder zu befreien – und rennt dabei ins Verderben.

Patscherte Odyssee durch New York

So gerät „Good Time“ zu einem atemlosen, vom satten Synthesizersoundtrack Daniel Lopatins angepeitschten Nachtflug durch New Yorker Halb- und Nebenwelten: Kautionsbüros, Spitäler, Wohnungen von Arm und Reich – auch ein heruntergekommener Vergnügungspark dient als Schauplatz. Connie macht im Zuge dieser patscherten Odyssee allerlei Bekanntschaften – und hat keine Skrupel, sie mit Flunkereien für seine Zwecke zu missbrauchen. Sein Talent, sich aus der Affäre zu reden, rettet ihm dabei oft den Hals. Mit der Chuzpe eines Überlebenskünstlers schummelt er sich an Sicherheitsbeamten vorbei oder zieht einem Gspusi (Jennifer Jason Leigh) mit falschen Versprechungen Geld aus der Tasche. Aber jedem Schritt nach vorn folgen zwei zurück.

Josh und Benny Safdie, das Brüderpaar hinter der Kamera, wissen hingegen wirklich, was sie tun. Mit rau-ruppigen Filmen über prekäre Stadtexistenzen haben sie sich in der US-Independentfilmszene einen Namen gemacht. Benny auch als Schauspieler: In „Good Time“ gibt er den introvertierten, sensiblen Nick mit brillantem Understatement. Angeblich hat sich Pattinson aus heiterem Himmel bei den Safdies gemeldet, als Fan geoutet und zur Disposition gestellt. Die Zusammenarbeit ist auf alle Fälle symbiotisch: Das Duo erreicht Star sei Dank erstmals ein breiteres Publikum, der Schauspieler steigert seine „Street Credibility“.

In gewisser Hinsicht stellt das Endergebnis eine kalkulierte Anomalie dar. Sie bedient ganz bewusst die Sehnsucht nach einer Kinozeit, in der Figuren noch Ecken und Kanten hatten, Sympathieträger noch keine Sympathler sein mussten, man vom Scheitern erzählen durfte und die Leinwände voll von authentischen Typengesichtern und abgetakelten Drehorten waren – der Zeit von John Cassavetes und „Dog Day Afternoon“. „Good Time“ präsentiert all das (und mehr) auf knallige, markige Weise, badet es im schummrigen Neonlicht, ergötzt sich an den betörend unsauberen Bildern von Kameramann Sean Price Williams. Dass die ganze Retro-Glückseligkeit auch etwas Aufgesetztes hat, übersieht man gern: Dafür ist das albtraumhafte Abenteuer zu sehr eine Hetz.

Und spätestens, als am Schluss die altersweise Stimme Iggy Pops erklingt, in einem extra für den Film verfassten Song, ist es um einen geschehen: „I look ahead at a clear sky / Ain't gonna get there / But it's a nice dream, it's a nice dream.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.11.2017)

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