Tim Burtons "Alice": Wunderland ist abgebrannt

Wunderland abgebrannt
Wunderland abgebrannt(c) Disney
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Tim Burtons unpersönlicher Fantasiefilm "Alice im Wunderland" ist eine der buntesten und üppigsten Versionen des Stoffes – und eine der geistlosesten. Absehbar und deprimierend gleichförmig wird das Ende angesteuert

Kaum kommt Alice ins Wunderland, findet sie ein verzaubertes Fläschchen und einen magischen Kuchen: Trinkt sie aus der Flasche, schrumpft sie auf Zwergengröße. Beißt sie in den Kuchen, wird sie wieder riesengroß. Bei Tim Burtons Neuverfilmung von Alice im Wunderland haben die Ausstatter reichlich Kuchen bekommen, während die Disney-Drehbuchautorin Linda Woolverton (König der Löwen) wohl gleich ein paar Fläschchen leer gesoffen hat: Es ist eine der buntesten und üppigsten Versionen des Stoffes – und eine der geistlosesten.

Bezeichnend, dass Burtons Alice (Mia Wasikowska) nicht in ein Wunder-, sondern in ein „Unterland“ zurückkehrt: Sie ist mittlerweile 19 Jahre und soll auf einer aristokratischen Gartenparty den Antrag eines blassen und blasierten Nasenbohrer-Lords annehmen. Verständlich, dass sie lieber wieder dem weißen Kaninchen hinterdrein ins Loch springt, auch wenn sie ihren Besuch als Kind im Zauberreich vergessen hat.

Dessen Zauber vermittelt sich exklusiv in grellen Digitaltricks, die mehr Persönlichkeit haben als die Figuren: Auch wenn Helena Bonham Carter bei ihrem Gatten Burton wieder heiter-hässliche Szenen (und Figur) machen darf – ihre Rote Königin ist im Wesentlichen eine artifizielle Wüterinnenwichtin mit Riesenkopf. Auch inszenatorisch ist Persönlichkeit Mangelware: Als hätte Burton einfach Entwürfe für das Produktionsdesign abgeliefert und irgendein Regiefließbandarbeiter des Disney-Studios für die uninspirierte Umsetzung gezeichnet.

Lewis Carrolls originale Alice setzte ihre Vorstellungskraft ein, um die Langeweile zu überwinden: Burtons Alice langweilt, weil es an Imagination jenseits farbenfroher Computerspiellandschaften fehlt. Die Odyssee von Alice führt nicht zu fantastischen Höhenflügen, sondern ist Plattform einer platten Parabel: ein lautes Action-Abenteuer um pseudofeministische Selbstverwirklichung im konservativen Korsett. (Ist es Zufall, dass Disneys einstiger Plötzlich Prinzessin!-Star Anne Hathawayals gute Weiße Königin eingreift?Ihre exzentrische Darstellung ist jedenfalls origineller, als es der Film verdient.)

Plötzlich Kolonialherrin! In üblem 3-D.

Absehbar und deprimierend gleichförmig wird das Ende angesteuert: Alice triumphiert selbstverständlich über viktorianischen Zwänge – und geht als Kolonialherrin nach China. Echt vorbildlich! Indes missbraucht man selbst den Jabberwock aus Lewis Carrolls großem Nonsens-Poem: Aus dem für jede Interpretation offenen, schillernden Symbol wird ein Spezialeffekt-Einheitsdrache, grad recht als fader Bösewicht im Schlusskampf. Dieses Finale war übrigens wie alle Szenen mit viel Bewegung im Bild in der dreidimensionalen Projektion bei der Pressevorführung unscharf und anstrengend für die Augen – wie die Szenen im Halbdunkel, das durch den Helligkeitsverlust beim Aufsetzen der 3-D-Brillen eher an totale Düsternis grenzte. Alice war einer der Filme, die rund um die Avatar-Kampagne mitten in der Produktion vom zwei- zum dreidimensionalen Spektakel aufgemascherlt wurden. So wie sich das 3-D-Ergebnis hier darstellt: ein technischer Rückschritt.

Auf einen blick

Über 20 Verfilmungen gibt es von„Alice im Wunderland“, freie Adaptionen wie Tim Burtons am Donnerstag anlaufender Film gar nicht mitgerechnet. Wichtigste Versionen: die ersten Stummfilme (1903, 1910); ein seltsamer Hollywood-Spielfilm mit Stars – wie Cary Grant als Schildkröte – (1933); der psychedelische Disney-Zeichentrickfilm (1951); und die surreale Adaption durch Animationskünstler Jan Švankmajer (1988).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.03.2010)

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