„Der Trafikant“: Freud mit sehr viel Requisite

Ein letztes Treffen im Café: Sigmund Freud (Bruno Ganz) und sein Freund Franz (Simon Morzé).
Ein letztes Treffen im Café: Sigmund Freud (Bruno Ganz) und sein Freund Franz (Simon Morzé).(c) Tobis Film
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Nikolaus Leytners Film „Der „Trafikant“ nach dem Roman von Robert Seethaler hat allzu viel von einem Historienschinken. Und Seethalers leichten Ton trifft er auch nicht.

An Seethalers „Der Trafikant“ (2012) scheiden sich ja die Geister. Es gibt Menschen, die von dem entzückenden Buch über einen von der Liebe und den politischen Wirren gebeutelten Lehrling in Wien schwärmen und von der behutsamen Schilderung der Freundschaft mit dem großen Sigmund Freud. Und es gibt Menschen, die waren enttäuscht. Die Dialoge passen nicht, sagen sie. Und überhaupt wirke das Buch vergleichsweise hölzern.

Das ist ungerecht. Denn sie sind nur deshalb enttäuscht, weil sie vorher Seethalers Roman „Ein ganzes Leben“ gelesen haben, der dem österreichischen Autor eine Nominierung für den Man Booker International Prize einbrachte. Tatsächlich findet sich aber schon in „Der Trafikant“ viel von dem, was „Ein ganzes Leben“ dann zu einem Ausnahmebuch des Jahres 2014 machte: Diese Fähigkeit, vom größten Drama ganz undramatisch zu erzählen, in diesem leichten Ton, der gar nichts Geplaudertes hat, mit großer Sanftheit, die uns die Wucht des Schicksals umso begreiflicher macht.

Simon Morzé als Provinzbub

Nun wurde „Der Trafikant“ von Nikolaus Leytner verfilmt. Und gleich zu Beginn sehen wir den jungen Franz tief unten am Grund des Attersees im grünen Wasser zwischen Schlingpflanzen schweben, ganz reglos. Man ist erleichtert, als er sich dann doch plötzlich bewegt. Ein Symbol dafür, dass er sich gefangen fühlt? Abgeschottet von der Umwelt? Ein Hinweis darauf, dass Franz ja später Freud, den großen Deuter der Träume, treffen wird? Das ist zu laut, zu bedeutungsschwanger, genauso wie das große Gewitter zu Beginn des Films, das scheinbar genau so im Buch steht – und doch ganz anders. Beiläufiger. Feiner. Nicht so dräuend und verkündigend. Nein, den Seethaler-Ton trifft dieser Film nicht. Nicht zu Beginn und auch nicht später.

Nur, später hält uns zumindest die Geschichte gefangen: Die vom freundlichen Provinzbuben, der nach Wien zu einem Trafikanten – dem ehemaligen Geliebten der Mutter – in die Lehre geht. Was lernt er nicht alles: Dass Zigarren regelmäßig gerollt werden müssen, um den Geschmack nicht zu verlieren. Dass ein guter Trafikant „Genuss und Lust verkauft – und manchmal Laster“. Dass er diskret sein muss und das Schundheftl für den Kunden in eine seriöse Zeitung einschlagen. Dass die Liebe wunderschön ist, aber manchmal verflixt wehtut. Dass man nur fast an ihr stirbt. Dass man sich manchmal im Leben entscheiden muss. Und das Böse immer noch viel böser ist, als man glaubt: Der Trafikant wird denunziert und von den Nazis verhaftet.

Mit einem Satz: Der Bub aus der Provinz wird erwachsen.
Und er lernt Sigmund Freud kennen. Bruno Ganz spielt diesen Freud nicht als den großen Meister der Psychoanalyse, sondern als freundlichen Herrn von nebenan, der sich gern mit dem jungen Burschen unterhält – jedenfalls lieber als mit so manchem seiner Patienten. Warum? Weil er offen ist? Weil er alles neu erlebt und frisch? Weil sein Kummer so unverstellt ist?

Bilderbuch-Wien

Da sind ein paar schöne Szenen dabei. Aber auch dann stört, dass in diesem Wien der späten Dreißigerjahre alles ein wenig gar zu pittoresk ist. Stets hat man das Gefühl, die Schauspieler bewegten sich durch Kulissen, durch eine in Sepia getauchte Bilderbuch-Stadt voller guter alter Bilderbuchfahrräder und guter alter Bilderbuchautos und Bilderbuchfleischhauer mit bilderbuchmäßig blutigen Schürzen. Auch in der Trafik: Jede Zeitung wirkt kunstvoll drapiert, alles so fein säuberlich an seinem Platz, dass man gern etwas durcheinanderbringen möchte. Sogar die Holzkrücken wirken wie hübsch arrangierte Requisiten. Ob deshalb Johannes Krisch als Trafikant so seltsam schaumgebremst spielt? Und einen der Kummer der Mutter (Regina Fritsch) seltsam kalt lässt? Die Einzige, die wirklich lebendig sein darf, die wirkt, als könnte sie auch im Jahr 2018 leben, ist Emma Drogunova als Anezka.

So recht weiß man nicht, was diese seltsame Nostalgie, diese ästhetische Überhöhung einer grausamen Zeit mit Robert Seethalers Geschichte über das Hereinbrechen des Nationalsozialismus zu tun haben soll. Ist das der Versuch, den Ton des Buchs zu imitieren? Dann ist er jedenfalls gründlich gescheitert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2018)

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