Horrorklassiker „Suspiria“: Hexen, Horror, Feminismus

Tilda Swinton als Madame in einer hexenhaften Frauen-WG.
Tilda Swinton als Madame in einer hexenhaften Frauen-WG.(c) Alessio Bolzoni/Amazon Studios
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Das Remake von „Suspiria“, dessen Vorlage einst auf dem Index stand, ist jedenfalls ungewöhnlich. Horror wird in den zweieinhalb Stunden nur in kleinen Häppchen serviert.

Luca Guadagninos Remake des Horrorklassikers „Suspiria“ fieberten viele entgegen, auch aufgrund des Leumunds der Vorlage von 1977. Obwohl Dario Argentos Meisterwerk in Deutschland erst kürzlich vom Index entfernt wurde, gehört es längst zum Kinokanon. Bei Verteidigungen des schmuddelbehafteten Horrorgenres führt man den Film oft ins Feld: Sein zügelloser Farbenrausch, seine unvergleichliche Fiebertraumatmosphäre würden ihn zum Meilenstein des Kinoexpressionismus adeln.

Jene, die sich nun vom neuen „Suspiria“ eine sklavische Huldigung ihres Lieblingsfilms erhoffen, sollten den Weg ins Kino bleibenlassen. Guadagnino, Regisseur der Oscar-prämierten Romanze „Call Me by Your Name“, wählt einen anderen, im Grunde den einzig richtigen Zugang: die freie Neuinterpretation. Er eignet sich das Material an, transformiert es – wie es kürzlich Denis Villeneuve in seinem „Blade Runner“-Sequel vorgemacht hat. Unmittelbar ins Auge springt die ausgewechselte Farbpalette. Argentos Pinselstrich war satt, kräftig, voller aggressiver Primärfarben, rot-grün-blau schillerndes Grauen. Guadagnino taucht die Welt in gedämpfte Herbsttöne: Bernsteinbraun, Rubinrot und Taubengrau bestimmen die Szenerie – wenn sie nicht in schummrigem Schatten versinkt.

Der Herbst, namentlich der Deutsche Herbst, bestimmt auch die Handlung: Während das Original in Freiburg spielt und mit seinem dunkelbunten Psychospektakel den Ängsten der Zeit eher indirekt Ausdruck verleiht, projiziert Guadagnino die Vorstellungswelt der Vorlage in seine eigene, stilisierte Vision der bleiernen 1970er-Jahre. Die junge, unbedarfte Susie (Dakota Johnson) kommt aus Ohio nach Berlin, um an einer renommierten Tanzakademie zu studieren. Draußen halten Baader-Meinhof, Landshut- und Schleyer-Entführung die Welt in Atem, an kahlen Mauern prangen Protestgraffiti, hin und wieder gehen Bomben hoch. Doch auch im Inneren der Institution herrscht bedrohliche Stimmung: Eine Studentin ist verschwunden, ominöses Flüstern geistert durch die Gänge, die Aura eines vergifteten Fassbinder-Melodrams liegt in der Luft. Ist Susie gar in einen Hexenzirkel hineingeraten?

Buchstäblich kaputtgetanzt. Bei Argento würde man hier den Parkettboden unter den Füßen verlieren und in eine triebhafte Phantasmagorie purzeln; Guadagnino hält sich vergleichsweise zurück, er verfährt, auch das eine bewusste Neuorientierung, eher intellektuell. Zwar vergisst er nicht auf den Horror, serviert ihn allerdings nur sporadisch, in Form alibimäßiger Appetithäppchen. Die Pièce de résistance kommt früh: Susie, dank schwarzer Magie psychophysisch mit einer renitenten Kommilitonin verbunden, tanzt diese buchstäblich und unwillkürlich kaputt: Jede Bewegung ein knochenbrechender, muskelzerreißender, körperverknotender Schlag in die Magengrube. In puncto klassischer Schockwirkung bildet diese brutale Sequenz bereits den einsamen Höhepunkt; der Rest des Films wirkt eher wie ein von gotischem Grusel und surrealen Traummontagen umdüstertes Psychodrama über Radikalisierung und Feminismus.

Aus diesem Subtext macht der Film keinen Hehl, auch nicht aus der Hexenhaftigkeit der Tanzlehrerinnen: Schon zu Beginn sieht man, wie sie um den Tisch ihrer Frauen-WG kongregieren – ein Bataillon eminenter Schauspielveteraninnen, darunter Ingrid Caven, Angela Winkler, Sylvie Testud und Renée Soutendijk (Jessica Harper, die Hauptdarstellerin des Originals, hat einen kleinen Gastauftritt). Guadagninos Stammmimin Tilda Swinton gibt eine Madame, die, wie es heißt, schon dem Frauenbild der Nazis Paroli bot. Diese Hexen, wird schnell klar, sind nicht nur (oder zumindest nicht alle) böse. Ein Walpurgiskonvent als subversive Gleichberechtigungsgemeinschaft, diese gar nicht neue Idee wird hier noch einmal im Rahmen eines postmodernen Diskursfilms ausklamüsert, es geht auch um Mutter-Tochter-Beziehungen, Psychoanalyse, die Last nationalsozialistischer Vergangenheit.

Betörender Soundtrack. Auf den ersten Blick wirkt das alles ziemlich vielschichtig und dicht, zuweilen auch anstrengend; denn es zieht sich zweieinhalb Stunden lang über sechs Kapitel, und ist erzählerisch nicht unbedingt elegant konstruiert. Aber man bleibt dabei, auch wegen des betörenden Soundtracks des Radiohead-Frontmanns Thom Yorke und sinnlich eindringlicher Momente. Bis sich das Finale im Rausch eines Opferrituals doch wieder bei Argento einfindet, oder zumindest nicht weit weg von ihm.

Festival am Lido

Bis 8. September läuft heuer das am 29. August eröffnete Festival am Lido.

Es zählt zu den weltweit bedeutendsten Festivals für anspruchsvolle Filme, neben der Berlinale und dem Filmfestival von Cannes.

Der Goldene Löwe wird am 9. September verliehen, Juryvorsitzender ist heuer Guillermo del Toro.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2018)

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