Apokalypsen aus Österreich

Valerie Pachner (links) als Karrierefrau Lola – in „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer.
Valerie Pachner (links) als Karrierefrau Lola – in „Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer.(c) ©_juhani_zebra
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Österreich zeigt wieder Präsenz bei der Berlinale. Im Wettbewerb läuft Marie Kreutzers Drama »Der Boden unter den Füßen«, das böse Blicke auf die moderne Arbeitswelt wirft.

Gleichförmigkeit kann man den heurigen Berlinale-Beiträgen Österreichs nicht vorwerfen: In Summe fächern sie ein ästhetisches Spektrum auf, dessen Spannweite die des experimentierscheuen Festivalwettbewerbs spielend übertrifft. Doch die gemeinsame Herkunft bleibt deutlich: Dem „Feel-bad“-Ruf, der heimischem Kino (nicht nur) im Ausland anhaftet, werden alle von ihnen gerecht. Packt man sie auf einen Haufen, entsteht ein formidables Panorama dräuenden (oder längst eingetretenen) Unheils – lauter Leinwand-Reiter der Apokalypse.

Den kleinsten Maßstab hat dabei der vom Format her größte Film: Marie Kreutzers „Der Boden unter den Füßen“, der am Samstag ins Rennen um den Goldenen Bären ging. Das Drama nimmt die moderne Arbeitswelt in den bösen Blick. Lola (Valerie Pachner) ist Unternehmensberaterin – und ein Karrieremenschen-Vorzeigemodell. Früh aufstehen, joggen, an die Arbeit: Kunden ködern, Eindruck schinden, Erfolge vorweisen. Burn-out sei in dieser Branche „wie Lepra“, heißt es einmal – also ein Fremdwort. Über ihre Schwester Conny (Pia Hierzegger), die mit paranoider Schizophrenie im Otto-Wagner-Spital einsitzt, spricht Lola nicht so gern. Das könnte Kollegen auf falsche Gedanken bringen. Doch die Verdrängte will sich nicht abwimmeln lassen – und fordert ihren Tribut.

Eine Weile wirkt der Film wie ein Schauerstück. Connys Briefe an Lola, ihre anonymen Anrufe, all das erscheint als gespenstische Mahnung des Unbewussten einer rücksichtslosen Leistungsgesellschaft. Doch ganz verfällt Kreutzer dem Unheimlichen nicht, ihre Kritik bleibt weitgehend konkret. Lolas Slim-Fit-Milieu ist ein Hort eklatanter Widersprüche: Beim Geschäftsessen Coq au vin, sonst Fastfood zwischen Tür und Angel. Vordergründig Emanzipation und Gleichberechtigung, unterm Tisch Stöckelschuhpflicht und Sexismus. Nicht die besten Bedingungen für die (Zwischen-)Menschlichkeit, die Conny ihrer Schwester abringen will. Kreutzer inszeniert in kühlen, auf Film gedrehten Breitwandbildern, Pachner überzeugt, Hierzegger etwas weniger – so ganz nimmt man ihr die innere Zerrüttung nie ab.

Protest. „Der Boden unter den Füßen“ versteht sich nicht zuletzt als politischer Kommentar: Bei der Pressekonferenz trug die Regisseurin eines der von ihr popularisierten „Not My Government“-T-Shirts – und bekannte sich so zur schon 2018 in Berlin präsenten Protestkultur heimischer Filmkünstler.

Der Geist einer anderen Regierungskritikerin, Elfriede Jelinek, beseelt „Die Kinder der Toten“, eine in der „Forum“-Nebenschiene vorgestellten Adaption ihres gleichnamigen Werks. Auch hier geht es anfangs gruselig zu: Körnige Super-8-Aufnahmen, nebelverhangener Wald. Doch statt der Furcht kommt die Farce. Im Modus eines Stummfilms, inklusive zitternder Zwischentitel, verwurstet dieses vergnügliche Filmchen Heimatkitsch und Zombieschlacht zu einem Brachialangriff auf das alpenländische Selbstbild – bis alle gemeinsam verwesen. Statisten aus Mürzzuschlag defilieren als untote Täter und Opfer heimischer Gewalt-Geschichte durch die schrille Satire eines Melodrams. Dass der Dreh eine Gaudi war, merkt man dem Film ein bisserl zu sehr an: Vor lauter Blicken und Grinsern gen Kamera driftet die ohnehin bewusst saloppe Inszenierung irgendwann komplett ins Amateurhafte ab, was dem Ganzen viel vom intendierten Biss nimmt. Durchgehend begeistert dafür das Sounddesign von Wolfgang Mitterer und Matz Müller, dessen Klangwolken einer Blaskapelle des Grauens zu entströmen scheinen.

Auf der Tonspur von „Erde“, der jüngsten Doku von Nikolaus Geyrhalter, entspinnt sich hingegen eine Symphonie des Schaufelns und Scharrens, Schabens und Sprengens. Der am Freitag im Forum uraufgeführte Film bietet einen Überblick der monumentalen Ab- und Umbauarbeiten, denen der Mensch seinen Planeten mit stetig steigendem Wirkungsgrad aussetzt.

Jedes Kapitel beginnt mit einer Luftbildaufnahme des Schauplatzes, ob Steinbruch, Salzbergwerk oder Kupfermine. Dann geht es ans bildgewaltige Eingemachte. Detonationen erschüttern den Boden, Maschinen „fressen sich durch den Berg“, wie es ein Arbeiter formuliert. In Interviews räsonieren die Fuhrwerker über ihr Tun, oft sehr poetisch und eindringlich. Denkwürdig sind regionale Unterschiede: „Die Erde ist eine grausame Gespielin“, scherzt ein Fahrer in Kalifornien, gibt sich aber siegessicher: „Wenn alle Stricke reißen, gibt es immer noch Dynamit.“ In Österreich übt man sich lieber in Demut: „Von Santa Barbara bewacht, sind Tunnel, Stollen, Oberschacht.“ Die ökologische Botschaft der Weltreise kristallisiert sich, typisch für Geyrhalter, nur langsam heraus, am Ende bleibt aber kein Zweifel daran, dass der Film als Fanal gedacht ist: Wenn sie weiter so bedenkenlos Berge versetzt, könnte sich die Menschheit vor einer Sackgasse wiederfinden, impliziert eines der letzten Bilder.

Doch es geht immer noch schlimmer: Der gebürtige Linzer Rainer Kohlberger imaginiert sich in seiner Avantgardeminiatur „It has to be lived once and dreamed twice“ gleich in die Postapokalypse hinein: Das Bild durchzuckt von weißem Rauschen, der Ton vom dunklen Raunen einer Frauenstimme. Ihr Monolog führt bis zur absoluten Selbstauslöschung im Namen des Fortschritts: „If we can explain mind in terms of brain, then there is no mind at all.“ Prost Mahlzeit! 

FILME IN BERLIN

„Der Boden unter den Füßen“ von Marie Kreutzer, mit Pia Hierzegger und Valerie Pachner. Soll am 19. März der Eröffnungsfilm der Diagonale in Graz sein. Kinostart in Österreich am 22. März.
„Die Kinder der Toten“ von Kelly Copper und Pavol Liska, nach dem gleichnamigen Roman von Elfriede Jelinek. „Die Kinder der Toten“ entstanden 2017 im Auftrag des Steirischen Herbsts (damals noch unter der Intendanz der nunmehrigen Wiener Stadträtin Veronica Kaup-Hasler), als Inszenierung des Nature Theatre of Oklahoma (das trotz Namens aus New York stammt), und zwar in Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Kinostart am 5. April.
„Erde“ von Nikolaus Geyrhalter, Dokumentarfilm, Kinostart am 17. Mai.
„It has to be lived once and dreamed twice“ von Rainer Kohlberger, Sounddesign von Peter Kutin.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.02.2019)

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