„Aladdin“, ein märchenhaftes Trugbild

Will Smith spielt den Flaschengeist, Mena Massoud Aladdin.
Will Smith spielt den Flaschengeist, Mena Massoud Aladdin. Walt Disney Pictures
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Die kommende „Aladdin“-Realverfilmung weckt nostalgische Gefühle für „arabische Nächte“. Doch bei aller Zeichentrick-Unschuld steht der Disney-Klassiker in zweifelhafter Tradition langlebiger Hollywood-Orientalismen. Ein kritischer Überblick.

Als die ersten Bilder zum Realverfilmungsremake von Disneys Zeichentrick-Klassiker „Aladdin“ im Internet aufpoppten, war der Hauptaufreger Will Smiths gewöhnungsbedürftige Blaumann-Aufmachung für seine Rolle als Flaschengeist Dschinni. Doch es gab auch kritische Stimmen, die ernstere Anliegen zum Ausdruck brachten. Wie würde diese Fassung des beliebten Märchens aus „Tausendundeiner Nacht“ die arabische Welt in Szene setzen? Das Original taugt in den Augen vieler nicht als Vorbild: Seine Vision des Orients möge in den Neunzigern unverfänglich gewirkt haben – doch aus heutiger Sicht mute sie an wie ein Kompendium untragbarer Klischees.

In einer Zeit, die den Vorwurf der kulturellen Aneignung allzu schnell im Anschlag hat, ist man angesichts mancher Mahnungen geneigt, präventiv die Augen zu verdrehen. Doch im Fall von „Aladdin“ fällt das schwerer als anderswo. Dabei geht es weniger um die Trivialisierung arabischer Kultur als um die Fortschreibung westlicher Vorurteile, wie sie der Literaturtheoretiker Edward Said in seinem Standardwerk „Orientalismus“ umriss: Die Darstellung des Orients als verführerische, aber letztlich rückständige Fantasiedimension – und dankbare Kontrastfolie für ein aufgeklärtes Abendland.

Schon das Einstiegslied des „Aladdin“-Ani­mationsfilms sorgte 1993 für Kontroversen – und führte nach Protesten arabisch-amerikanischer Organisationen zu einer nachträglichen Entschärfung. Erst hieß es: „Oh, I come from a land / From a faraway place / Where the caravan camels roam / Where they cut off your ear / If they don’t like your face / It’s barbaric, but hey, it’s home.“ Später wurden daraus neutralere Strophen über weites Flachland und intensive Hitze. Doch das Porträt der fiktionalen Stadt Agrabah mit ihren grobschlächtigen, handabschneidenden Obsthändlern und krummsäbelschwingenden Söldnern blieb unangetastet. Der ironische Titel eines damaligen Kurzberichts der „New York Times“: „It’s Racist, But Hey, It’s Disney“.

Die Handlung ist in der fiktiven Stadt Agrabah angesiedelt.
Die Handlung ist in der fiktiven Stadt Agrabah angesiedelt. Walt Disney Pictures

Feuerwerk der Stereotype

Dem kann man entgegensetzen, dass Disney-Cartoons per definitionem zur Karikatur neigen und dass auch Filme wie „Der Glöckner von Notre Dame“ oder „Pocahontas“ mit nationalen Stereotypen hantieren. Und dass die für den Westen prägende Aladdin-Geschichte gar nicht aus dem Nahen Osten stammt, sondern aus der Feder des französischen Übersetzers Antoine Galland, der sie seiner Version von „Tausendundeine Nacht“ hinzudichtete – ebenso wie „Ali Baba und die vierzig Räuber“ (Gallands Nacherzählung spielt übrigens in China). Überdies kam die Inspiration für viele Details der Disney-Produktion aus der zeitgenössischen Popkultur: Aladdins markante Fallschirmhosen etwa waren denen des Spaß-Rappers M.C. Hammer nachempfunden.

Doch das ändert nichts daran, dass sich die im Vorspann besungenen und anschließend eindrucksvoll ausgemalten „arabischen Nächte“ des Zeichentricks vornehmlich aus altgedienten Verallgemeinerungen speisen. Und dass diese das Kino-Image des Orients seit der Geburt der US-Filmindustrie besetzt halten, unabhängig von Genre oder Zielgruppe. Der 2017 verstorbene Autor Jack Shaheen zählte zu den eifrigsten Chronisten der Darstellung arabischer Figuren in Hollywood-Produktionen. In seinem Buch „Reel Bad Arabs“ zog er nach der Sichtung von über 900 Arbeiten aus knapp 100 Jahren kommerzieller US-Filmgeschichte triste Bilanz. Die überwiegende Mehrheit davon zeige „bärtige Mullahs, steinreiche Scheichs, terroristische Attentäter, schwarze Beduinen und lärmige Schacherer“, wie Shaheen an anderer Stelle schrieb.

Fragwürdige, wenngleich moderat ambivalente Exotisierung findet sich schon in einem frühen Melodram wie „Der Scheich“ (1921). Rudolph Valentino, Latin-Lover-Sexsymbol der Ära, gibt die Titelfigur Ahmed Ben Hassan. Dieser entführt in Nordafrika eine eigensinnige Lady (Agnes Ayres) und versucht, sie sich (in Anlehnung an „Die Schöne und das Biest“) gefügig zu machen. Über Umwege erblüht aufrichtige Liebe. Der Twist, der das ermöglicht: Ahmed ist gar kein Araber, sondern europäischer Herkunft. Der rassistisch unterfütterte Typus des lüsternen Paschas sollte später in weit kruderen Ausformungen zum Tragen kommen.

Relative Differenziertheit

Das Morgenland erscheint im Vorkriegshollywood zumeist als Hort halbseidener Sehnsüchte, wo die Zügel der Zivilisation locker sitzen, Ekstase winkt und Gefahr droht. Immer wieder dient dabei die Wüste als gefühlsverstärkender Hintergrund: In der schwelgerischen Romanze „Der Garten Allahs“ (1936) befeuern Panoramen der Sahara Marlene Dietrichs Leidenschaft zu einem Trappistenmönch (!) – und in John Fords „The Lost Patrol“ (1934) gerät die mesopotamische Wildnis zum existenziellen Schlachtfeld eines britischen Soldatentrupps. Später fungierte Persien als Märchenspielplatz voller fantastischer Fabelwesen, fliegender Teppiche und magischer Talismane, wie im Stopptrick-Kultstreifen „Sindbads siebente Reise“ (1958), der rezenten Videospielverfilmung „Prince of Persia: Der Sand der Zeit“ (2010) – oder eben in „Aladdin“.

Eine Phase relativer Differenziertheit brachten die großen Breitwandschinken der 1960er- und 1970er-Jahre. „Lawrence of Arabia“ (1962) bot Omar Sharif die Gelegenheit, einen würdevollen Wüstenkrieger zu mimen. In diese Periode fällt auch das Ausnahmeepos „The Message“ (1976), das unter Beteiligung von Anthony Quinn und Irene Papas das Leben des Propheten Mohammed nachzeichnet – ohne ihn auf der Leinwand abzubilden. Doch diverse politische Entwicklungen – die erste Ölpreiskrise, die iranische Revolution – machten den Nahen Osten in den USA unbeliebt. Spätestens nach dem Ende des Kalten Krieges lösten Araber Russen als Vorzugs-Action-Bösewichte ab.

Meist traten sie als radikalislamische Fanatiker in Erscheinung, wie im selbstironischen Schwarzenegger-Knaller „True Lies“. Nach dem 11. September spitzte sich diese Tendenz zu – auch dank Serien wie „24“ und „Homeland“. Mit bitterer Ironie notierte Jack Shaheen in einer seiner letzten Reden, dass die Kinorollen für Schauspieler mit arabischen Wurzeln nun mehr Charakter hätten als früher: Statt namenloser Terroristen dürften sie inzwischen namenlose Jihadisten spielen.

Reaktionen auf Trump? Doch langsam scheint ein Umdenken stattzufinden – zum einen als Reaktion auf die islamfeindliche Rhetorik Donald Trumps, zum anderen als Teilaspekt grundsätzlicher Inklusionsbestrebungen der Traumfabrik. Wie so oft macht das (Online-)Fernsehen den Anfang: Die Webshow „East of La Brea“, die von der Selbstfindung junger Muslime in Los Angeles erzählt, feierte unlängst beim renommierten South-by-Southwest-Filmfestival in Texas Premiere. Rami Malek, ein Darsteller mit ägyptischen Wurzeln, darf sich spätestens seit „Bohemian Rhapsody“ einen Superstar heißen. Und Disney legte bei der Hauptrollen­besetzung seines Aladdin-Remakes exorbitante Behutsamkeit an den Tag – geworden ist es schließlich der in Kairo gebürtige Kanadier Mena Massoud. Ohne fliegenden Teppich wird der Blockbuster dennoch nicht auskommen – verständlicherweise.

Aladdin

Guy Ritchie hat Regie geführt bei der Ver­filmung des Stoffs, in den Hauptrollen sind Mena Massoud, Will Smith und Naomi Scott zu sehen. Ab 23. Mai in österreichischen Kinos.

("Die Presse-Kulturmagazin", 12.04.2019)

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