So entspannt war Tarantino lang nicht mehr

Lang war unklar, ob Quentin Tarantinos neuer Film rechtzeitig für Cannes fertig wird. Das Ergebnis ist streckenweise vergnüglich, zuweilen zweifelhaft. Leonardo DiCaprio strawanzt darin als ehemaliger Westernheld durch ein minutiös rekonstruiertes Hollywood der 1960er-Jahre.
Lang war unklar, ob Quentin Tarantinos neuer Film rechtzeitig für Cannes fertig wird. Das Ergebnis ist streckenweise vergnüglich, zuweilen zweifelhaft. Leonardo DiCaprio strawanzt darin als ehemaliger Westernheld durch ein minutiös rekonstruiertes Hollywood der 1960er-Jahre.Festival de Cannes
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„Once Upon a Time . . . in Hollywood“, Quentin Tarantinos neunter Film, ist ein Streifzug durch die Kinoindustrie der 1960er, in den Hauptrollen: Brad Pitt und Leonardo DiCaprio.

Die Publikumsreihen bei den Filmfestspielen von Cannes wirken derzeit vergleichsweise licht. Vielleicht liegt es am wechselhaften Wetter, vielleicht auch daran, dass der geschäftige, parallel zum Wettbewerb geöffnete Filmmarkt bereits am Zusammenpacken ist. Doch als am Dienstag die Premiere von Quentin Tarantinos jüngstem Streich „Once Upon a Time . . . in Hollywood“ bevorstand, zogen sich die Schlangen vor dem Palais des Festivals ins Endlose.

Obwohl Tarantino längst vom Enfant terrible zum Elder Statesman des US-Kinos avanciert ist, schafft es sein Name immer noch, die Erwartungen der internationalen Cinephilie in luftige Höhen zu schrauben. Cannes hat besondere Bedeutung für den 56-Jährigen: Der Grundstein seines Weltruhms wurde hier gelegt, als sein Zweitling „Pulp Fiction“ die Goldene Palme gewann. Das war 1994. Seither ist der Regisseur ein gern gesehener Gast an der Croisette – umso mehr, wenn er Superstars wie Brad Pitt und Leonardo DiCaprio im Schlepptau hat.

Da ist man auch bereit, Abgabe-Deadlines zu lockern. Im April war noch unklar, ob Tarantinos Film rechtzeitig fertig wird, seine Teilnahme am Wettbewerb wurde mit Verspätung annonciert. Bis kurz vor Festivalbeginn soll der Perfektionist im Schneideraum gesessen sein. Nicht schlimm: Spannung ist schließlich auch ein Publicity-Motor.

Zwei Freunde wursteln sich durch L. A.

Die Sensation, die sich manche erhofft hatten, blieb jedoch aus. Dem Hype um jedes seiner neuen Werke wirklich gerecht zu werden, das schaffte Tarantino zuletzt bei der Weltkriegsrevision „Inglourious Basterds“, die 2009 in Cannes Premiere hatte. „Once Upon a Time . . .“ kommt an dessen effektvolle Neuausrichtung nicht heran – ist aber wieder ein interessanter, streckenweise vergnüglicher und zuweilen strittiger Beitrag zur „historischen“ Periode des Regisseurs.

Wie schon sein Titel verrät, nimmt er das Herzland der Traumfabrik in den Blick. Wir schreiben das Jahr 1969: Rick Dalton (DiCaprio), einst Held beliebter Fernsehwestern, und Cliff Booth (Pitt), sein bester Freund und Stuntman, wursteln sich so gut es geht durch den Alltag einer im Wandel begriffenen Filmindustrie. Im Grunde war's das: Viel mehr an Handlung wird nicht offeriert.

Ursprünglich hieß es, der Film würde sich um die berüchtigten Manson-Morde drehen. Diese sind letztlich nur eine Fußnote – wenn auch eine gewichtige. Vielleicht liegt das auch an Stimmen, die nach dem Weinstein-Skandal lauter wurden: Ist Tarantino, ein Ziehkind des verfemten Produzenten (der neue Film ist seine erste Arbeit, die nicht unter dessen Ägide entstand) und Liebhaber lustvoller Gewaltdarstellung, wirklich der Richtige, um sich dieses heiklen Themas anzunehmen?

Jedenfalls vertreibt sich „Once Upon a Time . . .“ die Zeit vornehmlich damit, an der Seite der Protagonisten durch ein minutiös rekonstruiertes, bildschönes Los Angeles der späten 1960er zu strawanzen, augenzwinkernd in dessen Kunstlicht- und Schattenseiten zu schwelgen und Schmäh zu führen. Lang ist's her, dass ein Tarantino-Film so episodisch, anekdotisch und entspannt daherkam. Eigentlich besteht „Once Upon a Time . . .“ nur aus Abschweifungen, und das Studiosetting bietet dem Regisseur reichlich Gelegenheit, seinen Steckenpferden zu huldigen, einfach mal für ein paar Szenen in einen Westerndreh hineinzudriften oder Legenden wie Bruce Lee liebevoll auf die Schippe zu nehmen. Kurzauftritte von Kurt Russell, Al Pacino, Bruce Dern und anderen veredeln das knapp dreistündige Geschehen.

Den emotionalen Kern bildet dabei die Beziehung zwischen Booth und Dalton: Der eine in sich ruhend, ein Mann der Taten und Geheimnisse, der andere ein von Selbstzweifeln geplagter Narziss. In ihrem Verhältnis spiegelt sich der widersprüchliche Charakter Hollywoods zwischen Handwerk, Showgeschäft und Kunst, zwischen knallhartem Pragmatismus und elender (Macho-)Dekadenz wider. Ob sie Sympathieträger sind oder nicht, bleibt bis zum Schluss Ansichtssache.

Eine ganz andere Art von Schauspielerei verhandelt „Parasite“, Bong Joon-hos bissige Satire auf die Klassenklüfte Südkoreas. In diesem Wettbewerbsbeitrag theatert sich eine findige Familie aus dem Gesellschaftskeller Seouls in den Hausstand einer weit besser betuchten Sippschaft hinein. Doch irgendwann muss sie sich eingestehen, dass es kein wahres Leben im falschen geben kann – oder zumindest keines, das nicht auf Kosten Dritter geht.

FILMFESTSPIELE CANNES

Wettbewerb. Tarantinos neuer Film ist einer von heuer 21 Wettbewerbsbeiträgen. Selten war das Feld von so vielen namhaften Regisseuren geprägt: Auch Jim Jarmusch, Pedro Almodóvar, Terrence Malick, die Dardenne-Brüder, Ken Loach und die Österreicherin Jessica Hausner haben Chancen auf die Goldene Palme, die am Samstag verliehen wird.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.05.2019)

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