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Frauenliebe in Korea, Männerliebe im Knast: Fünf Film-Empfehlungen

(c) Miramax
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Wien schillert in den Farben des Regenbogens. Der EuroPride-Marsch zieht über den Ring, teils in Erinnerung an Anerkennungskämpfe. Auch im Kino erfahren sie Würdigung, ob fiktional oder dokumentarisch.

Paris is Burning

Von Jennie Livingston, 1990
Netflix

Sie heißen Paris Duprée und Pepper LaBeija, Willi Ninja und Brooke Xtravaganza. Sie leben in New York. Doch ihr wahres Zuhause ist der Ballroom. Hier sind sie Königinnen und Könige, ernten tosenden Applaus für schillernde Kostüme und ausgefallene Posen. Als Teil einer Familie, die sie sich selbst ausgesucht haben, einer Gemeinschaft, die sie akzeptiert. Die Drag- und Voguing-Bälle, die Jennie Livingstons Kultfilm „Paris is Burning“ würdigt, waren mehr als bloße Maskenfeste. Sie boten Randständigen einen Zufluchtsort – und die Möglichkeit, widrigen Umständen zum Trotz als Stars gefeiert zu werden. Im Mittelpunkt des Films steht die eindrucksvolle, vielseitige Körperkunst seiner Protagonisten. Doch sie kommen auch zu Wort, schildern Regeln und Vokabular der Szene, prangern Klassenklüfte und Rassismus an. Oder spenden Weisheit: „If you shoot an arrow and it goes real high, hooray for you!” Dass auch Gegenkulturen nicht vorm Anpassungsdruck und Wettbewerbsgeist der Reagan-Ära gefeit waren, spart der Film nicht aus. Inzwischen ist seine Welt im Mainstream angekommen. Netflix-Shows wie „Pose“ nehmen auf ihn Bezug, und Reality-TV hat dank „RuPaul’s Drag Race“ wieder Farbe bekommen: Der Ballsaal ist jetzt überall.

Milk

Von Rob Epstein, 1984
Netflix

Am 8. November 1977 wurde Harvey Bernard Milk in den Stadtrat San Franciscos gewählt. Erstmals in der US-Geschichte übernahm jemand ein höheres politisches Amt, der keinen Hehl aus seiner Homosexualität machte. Ein knappes Jahr später wurde Milk von seinem Kollegen Dan White ermordet. Doch für die Lesben- und Schwulenbewegung war er längst zur Ikone avanciert. Milks Kampf gegen Diskriminierung und sein Kameracharisma sind in Rob Epsteins oscarprämierter Doku „The Times of Harvey Milk“ verewigt. Ein berührendes, relativ schmalzfreies Spielfilmdenkmal setzte ihm indes New-Queer-Cinema-Doyen Gus Van Sant. In der Hauptrolle: Sean Penn mit verschmitztem Lächeln und sanft tapsender Stimme.

X-Men

Von Bryan Singer u. a., ab 2000
Netflix

Ein bunter Haufen verhaltensauffälliger Außenseiter, die von der Normgesellschaft geächtet werden, schließt sich zusammen, um mit vereinten Kräften für Gerechtigkeit zu kämpfen. Dass die X-Men-Superheldentruppe (der freilich nicht nur Männer angehören) auch als Regenbogenbande interpretiert werden kann, wussten schon ihre Comic-Urheber. Als Identifikationsangebot für Marginalisierte stellten die X-Filme (im Netflix-Abo gibt es drei davon) lange Zeit eine Blockbuster-Ausnahmeerscheinung dar. Ihr Federführer Bryan Singer galt als verkappter LGBT-Aktivist in Hollywoods konservativem Großbudgetsegment – bis die Missbrauchsvorwürfe gegen ihn überhandnahmen. Die Zukunft der Reihe liegt nunmehr in Disney-Händen.

Die Taschendiebin

Von Park Chan-wook, 2016
Amazon

In den Annalen des Prestigekinos finden sich einige schwule Liebesgeschichten. Bei lesbischen sieht die Sache vergleichsweise dürftig aus. Entsprechend euphorisch fielen die Reaktionen aus, als Todd Haynes‘ „Carol“ (im Netflix-Abo) in Cannes Premiere feierte. Ein Jahr später erregte Park Chan-wooks „Die Taschendiebin“ weniger Aufsehen – dabei erzählte auch dieser, ebenso auf dem Roman einer englischsprachigen Schriftstellerin fußende, gleichfalls opulent ausgestattete Historienfilm vom gegenseitigen Begehren zweier Frauen als subversivem Emanzipationsmotor im Patriarchat. Nur halt in jenem Südkoreas anno 1930. Mit etwas mehr Sex und Gewalt. Und Einstellungen aus der Vaginalperspektive.

Un chant d‘amour

Von Jean Genet, 1950
archive.org

Ein Kerker, benachbarte Zellen. Zwei einsame Männer unter den wachsamen Augen der Obrigkeit. Klopfzeichen. Sehnsucht. Begehren. Ein Strohhalm, durch ein schmales Mauerloch geschoben, wird zum klandestinen Kommunikationskanal. Im Rhythmus eines Traums steigern sich die Fantasien ins Ekstatische. Der Urheber dieses erotischen, zum Teil auch sadomasochistischen Bildgedichts? Jean Genet. Sohn einer Prostituierten, Deserteur, Vagabund und Kleinkrimineller. Selbst mehr als einmal Häftling. Außerdem: Romancier, Dichter, Dramatiker und Politaktivist. Ein Mann, für den Schmutz und Schönheit in keinerlei Widerspruch standen. Ein Schutzpatron der Außenseiter. Von Jean-Paul Sartre als „Saint Genet“ gefeiert. Dank Bowie im Titel des Track „The Jean Genie“ am Pophimmel verewigt. Verehrt von Fassbinder, dessen letztes Werk „Querelle“ auf einem von Genets Romanen basiert. Und von Todd Haynes, dessen Langfilmdebut „Poison“ von seinen Schriften inspiriert wurde. „Un chant d’amour“ ist Genets einzige filmische Arbeit, aber sie bleibt. Eine unvergessliche Ode an unbändige Leidenschaft, die sich von keiner sozialen Ordnung unterdrücken lässt. Nicht, dass man es nicht versucht hätte: Zur Zeit seines Erscheinens wurde der Film (zu sehen in der lizenzfreien Online-Mediathek archive.org) verboten.

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