Shirin Neshat: Poesie und Kitsch

Das Spielfilmdebüt der iranischen Künstlerin Shirin Neshat kommt jetzt ins Kino. Ein Gespräch über die Vorzüge der Videopiraterie und … Eyeliner.

TIPP

Die Exiliranerin Shirin Neshat lebt seit über 35 Jahren in New York und wurde durch ihre Fotos und Video-Installationen berühmt, in denen sie sich immer wieder mit der Situation muslimischer Frauen auseinandersetzt. Eine ihrer ersten und bekanntesten Fotoserien,„Women of Allah“, zeigt verhüllte Frauen, deren Hände, Gesichter und Fußsohlen mit Kalligrafie versehen sind. Sechs Jahre arbeitete Neshat an ihrem ersten Spielfilm „Women Without Men“, 2009 wurde sie in Venedig mit dem Silbernen Löwen für die beste Regie ausgezeichnet. Die Geschichte basiert auf dem gleichnamigen Buch der iranischen Autorin Shahrnush Parsipur und handelt von vier Frauen im schicksalsträchtigen Jahr 1953. Vor dem Hintergrund der Unruhen um den Sturz des demokratischen Präsidenten Mohammad Mossadegh flüchten die Hauptdarstellerinnen in einen paradiesähnlichen Garten und leben noch einen Moment den Traum der Freiheit.

Ihr Film wirkt in seiner Langsamkeit stellenweise wie eine Installation oder ein Tableau vivant. Wie viel Kunst ist der Handlung noch zuträglich?

Jeder Frame dieses Films wurde schon im Vorfeld stark diskutiert, das Licht, die Kamera, das Produktionsdesign, alles wurde wirklich wie bei einem Tableau vivant feinsäuberlich inszeniert. Die große Herausforderung war: Wir wollen einen künstlerischen Film machen, aber auch eine Art Zeitdokument schaffen, und das alles mit einer visuell experimentellen Bildsprache. Eine große Hürde war das Buch selbst: Es ist sehr poetisch und steht dem magischen Realismus nahe, eine komplizierte Geschichte, die wie ein Puzzle geschrieben ist.

Wann ist es noch Poesie und wo fängt Kitsch an?


Für Iraner ist Poesie etwas sehr Natürliches. Und Poesie hat noch einen anderen Vorteil: Manchmal hilft sie die Zensur zu umgehen, denn das Verwenden von Allegorien und Metaphern ist eine großartige Methode für das iranische Volk, das System auszutricksen. Poesie kann also auch sehr subversiv sein, sie ist nicht nur gleichzusetzen mit Sentimentalität. Darum geht es mir.

Es scheint, als ob die iranische Gesellschaft eine besondere Kunstfertigkeit darin entwickelt hat, vieles im Verborgenen zu halten. Auch der Garten in Ihrem Film hat ein geheimes Innenleben.

Mich hat es immer sehr interessiert, die Gegensätze zuzuspitzen: die Innen- und die Außenwelt, die Natur versus die Stadt etc. Im Film war die Stadt die Außenseite des menschlichen Körpers und der Garten das Innenleben. Diese Idee kommt aus der bildenden Kunst, und um sie zu transportieren, haben wir alles mit filmischen Mitteln zugespitzt: Wenn man in die Stadt kommt, dominiert das reale Bild, da gibt es Action, Lärm, Gewalt, und wenn man in den Garten kommt, dann stoppt das alles, es ändern sich die Bildsprache, der Sound, die Farben. Das ist der Kontrast zwischen dem Magischen, Philosophischen, und dem Realen, Politischen.

Wie haben Ihre Verwandten im Iran reagiert? Konnten sie den Film sehen?

Gestern erst habe ich von meiner Mutter gehört, dass sie meinen Film – der ja im Iran verboten ist – in den Straßen, in den Geschäften unter der Hand verkaufen. Das geschieht durch Videopiraterie, und das freut mich sehr, weil die Leute dort ein solches Interesse und ein großes Bedürfnis haben, diesen Film zu sehen. Sie sind wirklich bewegt, weil dieser Film ihnen einen fast schon vergessenen Teil ihrer Geschichte zurückbringt. Und er hat für mich seinen Zweck erfüllt: nämlich eine Bedeutung für die Iraner und auch für die Nichtiraner zu bekommen.

Ist es nicht so, dass Filme mit einem politischen Inhalt einer uns sehr fremden Kultur von den Kritikern eher nicht so hart angefasst werden?

Die waren beinhart mit mir, das können Sie mir glauben. An diesem Film wurde alles diskutiert: der politische und der künstlerische Inhalt, die experimentelle Form, die Darstellerinnen, wie er gedreht wurde, wie er geschnitten ist. Viele Filme aus dem Iran sind eher Doku-Dramen, sie bilden das ab, was dort gerade vor sich geht, sind informativ, aber wenig künstlerisch. Aber dieser Film wurde ebenso sehr verrissen wie gelobt, weil er eben ein Experiment mit der Kinosprache und Form ist. Und ich bin froh darüber, weil ich keinen Film wollte, der als reine Geschichtsstunde dient. Also, die Kritiker nahmen ihn schon ordentlich auseinander.

Ist es nicht anstrengend, dass Sie auf jeder Party, bei jeder Einladung immer wieder zum Thema „Frauen im Iran“ befragt werden?

Ich versuche vorsichtig zu sein, weil ich zwar sehr interessiert und involviert bin, aber kein Experte. Und wenn mich Leute in eine solche Konversation einbinden und ich fühle, dass da andere sehr viel mehr wissen als ich, da bin ich sehr ehrlich und bestehe darauf, dass sie mich bitte nicht als Sprachrohr betrachten sollen. Ich lebe noch nicht mal dort, das wäre ja scheinheilig, wenn ich den Anspruch erheben würde, von hier aus die Situation der Frauen im Iran kommentieren zu können.

Sie schminken Ihre Augen sehr auffällig. Haben Sie das erfunden?

Ja, jetzt könnte ich sagen, das ist was ganz Spezielles. Aber die Wahrheit ist, ich hab keine Ahnung, woher das kommt, ich tue das schon, seit ich ein Teenager bin, und es geht gar nicht darum, mich damit besonders zu verschönern, es ist eher etwas, das ich nicht mehr aufgeben kann, weil es mir Sicherheit gibt. So nach dem Motto: Wenn sich schon alles rundherum verändert, habe ich zumindest etwas, das gleich bleibt. Und es ist bizarr, weil keiner es so macht, also nirgends auf der Welt, nicht hier und auch nicht im Iran. Es ist meine eigene Erfindung. Ich verlasse nie das Haus ohne mein Make-up – noch nicht mal, wenn ich mit meinem Hund Gassi gehe.

Women Without Men, ab 10. 9. im Kino

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