Die Leiden des jungen Goethes

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Philipp Stölzl versucht sich an "Goethe!". Eine Klamotte aus Sturm und Drang, die zwischen Betulichkeit und Übermut schwankt. Mit Goethes Biografie hat dieser überlange Videoclip nur in groben Umrissen zu tun.

„Mir schlug das Herz; geschwind zu Pferde/Und fort, wild, wie ein Held zur Schlacht!“, schrieb 1771 der amourös aufgeheizte junge Johann Wolfgang Goethe in Straßburg. Da war sein Sehnen noch auf Sesenheim und die Pfarrerstochter Friederike ausgerichtet. Im Tempo eines Stürmers und Drängers hat auch Regisseur Philipp Stölzl seinen opulenten Spielfilm über das erwachende Dichtergenie verfasst. Da wird geritten und gestritten und geherzt, bis die Träne quillt. Historisch ist nur das Set, das in Görlitz aufgebaut wurde, um deutsche Städte im 18.Jahrhundert nachzuempfinden, die sogar noch eine barocke Note haben.

Der Film beginnt mit einer angeblich gescheiterten Prüfung des 21-jährigen Studenten an der rechtswissenschaftlichen Fakultät in Straßburg, begleitet den Referendar ans Reichskammergericht in Wetzlar 1772 und endet mit dem inzwischen europaweit berühmten Autor wieder daheim in Frankfurt am Main. Goethe!, mit großem Ausrufzeichen, schwankt zwischen Betulichkeit und Übermut, aber eigentlich sollte der Film Werther!! genannt werden, denn mit Goethes Biografie hat dieser überlange bildungsbürgerliche Videoclip nur in groben Umrissen zu tun – aber viel mit seinem ersten Roman.

„Lecket mich!“ im Sommerschnee

„Hier irrt Stölzl!“, werden deutsche Studienräte mehrfach über das Geschehen auf der Leinwand sagen. Da wird dreist gefälscht, fantasiert, vereinfacht, dass es eine Freude ist. Vermutlich sind sogar die echten „Leiden des jungen Werthers“ (sic!) näher an der Wahrheit als die modische Interpretation dieser für Goethes frühe Dichtung prägenden Lebensphase. Nach der angeblich negativen Prüfung in Straßburg (er schloss mit einer Disputation „cum applausu“ sein Lizenziat ab, das gleichwertig dem Doktorat war, seine Dissertation war den Professoren theologisch zu heikel) schreibt er tänzelnd in den Schnee (mitten im August): „Lecket mich!“

Nicht nur der Werther also, sondern auch der „Götz“ und später noch Urszenen des „Faust“ werden en passant in die Handlung eingebaut. Die dreht sich vor allem um die Begegnung Goethes mit Charlotte Buff. Alexander Fehling und Miriam Stein spielen diese Tändelei erfrischend. Den späteren Gatten Charlottes, Gerichtsrat Kestner, gibt Moritz Bleibtreu, und auch ihm passt die Rolle vorzüglich. Stölzl hat dieses Dreiecksverhältnis dramatisch zugespitzt. Laut Quellen waren Kestner und Buff bereits vier Jahre verlobt, das Paar reagierte gelassen auf die Verliebtheit Goethes. Einen Kuss konnte der seiner Verehrten abpressen, dann war er schon wieder fort für den nächsten halbherzigen Eroberungsversuch, um eineinhalb Jahre später den „Werther“ zu schreiben – seinen ersten Bestseller. Darin ist auch der Selbstmord des unglücklichen Karl Wilhelm Jerusalem verarbeitet. Von ihm erfuhr Goethe erst nach der Abreise aus Wetzlar, im Film ist er unmittelbar dabei.

Romantische Fummelszene

Bei Stölzl lernen Goethe und sein Vorgesetzter gleichzeitig die neunzehnjährige Tochter des Witwers Buff (Burghart Klaußner) kennen. Goethe darf ihre „Festung“, wie er in Unkenntnis der wahren Verhältnisse Kestner verrät, nehmen. Eine romantische Fummelszene. Aber Lotte entscheidet sich, wie das im richtigen Leben auch meist so ist, für das Sichere, für Kestner. Der duelliert sich trotzdem mit dem Konkurrenten. Goethe kommt deshalb in den Kerker und schreibt dort rasend schnell den „Werther“, übergibt ihn Lotte. Und die lässt ihn auch gleich drucken.

Papa Goethe (Henry Hübchen) hat inzwischen den Bengel heimgeholt, in die eigene Kanzlei, aber, oh Wunder! Als der über die Gassen geht, sieht er begeisterte „Werther“-Fans, die bereits mit dem Büchlein winken. Bereitwillig klettert Goethe auf eine Kutsche und signiert seine Leidensgeschichte.

In Wahrheit wollte der spätere Dichterfürst von seinem ungestümen Frühwerk recht rasch nichts mehr wissen. Aber wer will denn in dürftiger Zeit so kleinlich sein? Besser 100 Minuten Kostümfest, das einen komplexen Charakter auf Soap-Niveau bringt, als gar kein Bezug zu den Schicksalsjahren der Aufklärung. Goethe! ist ein Film für die ganze Familie. Für Schüler, die den Klassiker als feschen Twen kennenlernen, für deren Eltern, die ihre versäumte Jugendlektüre auffrischen wollen, und für Kritiker, die wie üblich den Famulus Wagner spielen. Ab Freitag im Kino

Goethe in Wetzlar

Der Roman „Werther“ (1774) war Johann Wolfgang Goethes (1749–1832) erster Bestseller. Darin verarbeitete er die vergebliche Liebe zu Charlotte Buff (1753–1828), die er 1772 als Referendar in Wetzlar kennenlernte.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2010)

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