Denzel Washington jagt den Todeszug

(c) AP (Robert Zuckerman)
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Unstoppable - Außer Kontrolle: Scotts Hochspannungsthriller über einen führerlosen Zug mit Giftladung mit Washington in der Hauptrolle ist großes proletarisches Action-Kino mit politischer Dimension. Ab Freitag.

Als die Katastrophe ausgelöst wird, ist ihr Ausmaß noch nicht abzusehen: Ein übergewichtiger Rangierarbeiter ignoriert die nicht angeschlossenen Druckluftbremsen und springt vom anfahrenden Zug, um eine Weiche umzustellen. Doch ist er zu langsam, um die beschleunigende Lok wieder einzuholen, die Kollegen lachen in der Ferne. Als aber erste Versuche scheitern, den führerlosen Zug zu stoppen, wird die Lage schnell brandgefährlich: Einige Waggons sind mit hochgiftigen Chemikalien beladen und auf der Strecke liegt eine große Kurve, bei der die Entgleisung unvermeidlich ist – mitten im Stadtgebiet.

Klassisch: Der Zug und das Kino

Die Ausgangsposition von Tony Scotts mitreißendem Thriller Unstoppable – Außer Kontrolle, lose inspiriert vom echten Fall der 2001 führerlos dahinrasenden „Crazy Eights“, ist eine klassische Suspense-Situation: Der Zug und das Kino sind seit den Anfängen der Filmgeschichte eng verbunden. Damals war schon die Bewegung der auf dem fahrenden Vehikel angebrachten Kamera eine Sensation. Pionier D.W. Griffith ließ 1915 einen Strang seines einflussreichen Epos Intolerance in einer atemberaubenden Verfolgungsjagd zwischen Auto und Zug kulminieren, ähnlich krönte Alfred Hitchcock 1932 seine Kuriosität Number Seventeen, die mit einer Bahnkollision endete – ein in der Hochblüte des Katastrophenfilms in den 1970ern oft variiertes Motiv.

Das filmisch automatisch packende Spannungsverhältnis zwischen beengtem Raum an Bord und rasanter Beschleunigung des Zugs in der Weite der Landschaft hatte indessen so unterschiedliche Meisterwerke wie Richard Fleischers Krimi Narrow Margin, Robert Aldrichs Hobo-Saga Emperor of the North Pole oder Andrei Kontschalowskis existenziellen Actionfilm Runaway Train geprägt.

In diese Reihe stellt sich Scott mit Unstoppable: „Runaway Train“ ist auch die Schlagzeile der atemlosen Live-Fernsehberichte von Fox News, die die Handlung begleiten. Letztes Jahr hatten Scott und sein bevorzugter Hauptdarsteller Denzel Washington im Krimi-Remake The Taking of Pelham 123 eine U-Bahn-Entführung mit stillstehendem Gefährt bewältigt. Nun wird virtuos die Geschwindigkeit gesteigert: Als waghalsige Versuche, den Zug unter Kontrolle zu bringen, misslingen, versuchen ein Zugführer-Veteran (Washington) und sein neuer Zugbegleiter (Chris Pine, der Kirk aus dem letzten Star-Trek-Film) unter Einsatz ihres Lebens, den rasenden Zug abzubremsen, indem sie mit ihrer Lok von hinten andocken.

Stimmungsbild der USA

Der für seine delirierenden Bilderkaskaden berüchtigte Regisseur inszeniert das hochspannend und schnörkellos: Scotts abstrakte Action-Painting-Effekte unterbrechen nur gelegentlich bildmächtig die Spannungsdramaturgie, während der Zug Hindernisse pulverisiert und auf das große Desaster zurast.

Bemerkenswert sind dabei die politischen Untertöne, die nicht nur in den Hintergrundskizzen der Lebensumstände der zwei todesmutigen proletarischen Helden deutlich werden: Washingtons Figur etwa ist gerade nach 28 Jahren Dienst entlassen worden – und gibt dennoch nicht auf. Unstoppable wirkt geradezu wie ein Stimmungsbild der USA nach den Novemberwahlen: Klassenkonflikte und Unzufriedenheit prägen den Umgang miteinander, die Zukunftsaussichten sind trübe. Noch hat das Volk seinen angeborenen Optimismus nicht verloren. Aber die Lage bleibt verzwickt: Der größte Lacher am Ende ist bei näherer Betrachtung eigentlich der bitterste Moment im Film.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.11.2010)

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